Falk Peter Scholz

Arge Probleme II

Wieder hier,

 

….wieder sitze ich im Sammelsurium aus Abschaum,Stumpfsinnigkeit und Gleichgültigkeit. 2 Etage bei der Arge!

Zu meiner Überraschung ist es diesmal unterhaltsam, da auf dieser Etage ein Kopierer steht; wo die gescheiterten Existenzen die ganze Zeit Kopien machen und wie beim Turmbau zu Babel durch einander brabbeln. Nicht das hier alle gescheitert sind, aber mal ehrlich..die guten ins Töpfchen, die schlechten nach der Arge. Die Blicke der „Älteren“, der Mitgefangenen; möchte ich meinen; sagen alles. Manche blicken schamhaft, manche entrüstet, einige erschrocken und wieder andere Blicke drücken einfach nur Wut aus. So wie mein Blick wahrscheinlich.

Ich versuche zu verstehen wieso 50ig jährige hier sitzen müssen um Urlaub zu beantragen. Urlaub heißt hier OaW, also Ortsabwesenheit. Wie bescheuert wenn man sich mal überlegt was dieses bedeutet. Ortsabwesenheit???

Bin ich nicht schon Orts abwesend wenn ich mich von einem Punkt A nach einem Punkt B bewege? Also müsste ich ja Orts abwesend sein während ich hier bei der Arge sitze. Oder bin ich vielleicht Orts anwesend weil dieses der Ort ist, wo man sein sollte wenn man keine Arbeit hat?

Arbeitslos, was für ein Schwachsinn!

Ich zum Beispiel habe jede Menge Arbeit und das jeden Tag. Arbeitslos – Beschäftigungslos, wer soll da noch durchblicken? Habe ich nicht eine Beschäftigung während ich hier sitze und diese Geschichte schreibe? Dieses bringt mich zur Überlegung wie viele von den jüngeren die hier abhängen überhaupt schreiben können, und ich meine keine SMS oder Whatsapp Nachrichten. Ich meine mit Stift und Papier. Denn ich sehe wie die Jüngeren und Älteren mich ansehen. Die jungen scheinen zu denken: „Was macht der da? Sitzt ruhig da und schreibt. Wieso schreibt der so altmodisch mit Papier und Stift.“

Und die Alten sehen mich ebenso verwundert an, ganz nach dem Motto, „Sieh mal an, das gibt es noch. Wo doch heute die Handy und Smartphone Generation den Ton angibt.“ Da komme ich mir ja schon echt wie ein Außenseiter vor.

Außerdem fällt mir jedes mal auf wie erleichtert alle sind wenn der Gong ertönt und die nächste Nummer aufgerufen wird. Ich frage mich was den meisten so durch den Kopf geht während sie hier sitzen. Die einen werden sich denken: „Was für eine Zeitverschwendung hier abzuhängen.“ Die anderen wahrscheinlich...“Man in der Zeit könnte ich noch schlafen oder Playstation zocken.“ Und wieder andere denken: „Was für eine gute Plattform für neue Storys!“ Zu denen zähle ich und mir macht es rein gar nichts aus hier zu sitzen, zu warten und die Wartezeit dazu zu nutzen mir Gedanken über die Mitgefangenen zu machen. Ich könnte jeden Tag hier sitzen, zu Studienzwecken versteht sich.

Mit den meisten will man ja eher nicht in seiner Freizeit gesehen werden, doch hier hat man eben keine Wahl. Deswegen denke ich mir: „Mach das beste draus.“ Und so schreibe ich was ich sehe, was mir auffällt und was mir manchmal unerklärlich ist. Damit meine ich es fängt ja schon damit an wie die ein oder anderen kleiden. Der alte Opa von 60 zig kommt mit geputzten Schuhen, einer Leinenhose, Hemd und Krawatte. Dazu ist er frisch rasiert und hat noch After Shave aufgetragen. Dann schaue ich nach links und erblicke die „Jugend“! Offene Turnschuhe, Trainingshose mit Flecken, ein Schlabbershirt, unrasiert und ungekämmt, nicht geputzte Zähne und Körpergeruch von fragwürdiger Note. Wenn man mich fragt müsste es für diese Respektlosigkeit ebenfalls Kürzungen des Harz 4 Satzes geben.

Es ist doch so dass die „Älteren“ viel erlebt haben, mit Sicherheit lange gearbeitet haben und nur hier sitzen weil sie entweder krank sind, oder zu alt für manche Jobs. Es ist aber auch denkbar dass sie durch ihre frühere Tätigkeit eine zu kleine Rente haben und gezwungen sind aufzustocken.

Es sind so viele Eindrücke die man hier gewinnt, so viele Erkenntnisse, dass ich mich frage wieso sich die Menschen nicht ändern. Ich für meinen Teil hatte auch mal eine schlechte Phase. Das ist ein paar Jahre her und hatte einen Grund. Nach dem Verlust meines Vaters war ich sehr schwer getroffen und alles war mir egal. So Phasen gibt es eben und man sollte nicht alles verteufeln. Wichtig ist sich wieder auf zu raffen und das Leben wieder anzupacken. Doch wenn ich mich hier so umsehe, sehe ich kaum Hoffnung auf Besserung. Ich sehe Resignation, Verzweiflung und eine große Portion Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber.

Es ist nun mal die Wahrheit dass man über die Jahre einige Leute häufiger antrifft und jedes mal denke ich: „Wie kann man noch tiefer sinken?“

Als ich heute zur Arge kam ist mir ein Mitte 20iger aufgefallen. Der stand vorm Eingang, rauchte ne Fertigzigarette und trank schon um 10 Uhr morgens die erste Flasche Billigbier; welche er ganz unauffällig in der Innentasche seiner verschlissenen Lederjacke verschwinden ließ. Ich frage mich dann immer wo das noch enden soll und wie ein junger Mensch so leben kann. Nur den Gedanken ans nächste Bier. Nichts zu fressen aber ein Smartphone!

Das geht mir nicht in den Kopf.

 

Gerade setzt sich ein älterer Herr neben mich und beäugt mich fasziniert.

Noch ungewöhnlicher ist, dass er mich auch noch anspricht und mich fragt was ich da schreibe. „Ne Arge Story“, antworte ich knapp und sehe mir den Mann genauer an. Gepflegt, adrett gekleidet und wache Augen.

„Und sie“, frage ich ihn. „Was machen sie hier?“

Der Mann ist überrascht, aber antwortet mir freundlich. Er begingt mir zu erzählen wie er seinen Job verloren hatte weil seine Frau sehr schwer erkrankte und er sie pflegen müsse. Er berichtet mir davon wie er seit jener Zeit behandelt wurde und selbst hier wurde er wie ein Schmarotzer hingestellt und herablassend angesehen. „Ich komme eben nicht mehr zurecht ohne die Arge“, meint er und ich sehe wie unangenehm es ihm war. Ich fragte mich was gerecht daran war, dass Leute wie er; mit einem Leben welches einen Sinn hatte, im selben Raum mit Menschen saß die für mich noch nicht mal eine Daseinsberechtigung hatten und bei denen es wahrscheinlich nicht einmal auffallen würde wenn sie von heute auf morgen verschwunden wären, weil sie sowieso keiner vermisste.

Wieder ging der Kopierer und ich betrachtete die Frau die Ihn bediente. Sie schien sich exzellent damit auszukennen, denn sie bediente ihn als wäre es ihr Beruf. Die Frau bemerkte wohl mein Interesse und warf mir böse Blicke zu.

Nachdem sie mich ausreichend böse angesehen hatte, wandte sie sich wieder dem Kopierer zu. „Mein Gott“, sagte ich mir. „Was haben die hier nur alles zu kopieren?“ Ich für meinen Teil habe hier noch nie etwas kopiert.

Ich drehte mich zu dem gepflegten älteren Herrn um und fragte: „Haben sie schon mal was kopiert?“ Er schüttelte den Kopf. „Käme ich gar nicht mit zurecht!“ Kurz darauf wurde seine Nummer aufgerufen und er verabschiedete sich höflich. Wahrscheinlich weil er dachte dass er mich nicht mehr antreffen würde wenn er Zimmer 242 verlassen würde. Es könnte aber auch sein dass mit dem Gong alles endete und man die Gefangenschaft verließ und somit auch das Interesse verlor. Ein schreiendes Kind riss mich aus meinen Gedanken und ich bemerkte wie die Wut in mir aufstieg. Ich meine es ist ja schon eine Zumutung hier zu sitzen und sich die Zombies anzusehen, doch dann noch schreiende Kinder? Und die Mütter erst. Die freuen sich noch wenn das Balg die ganze Zeit brüllt. Das muss irgendetwas genetisches sein dass Mütter sich ein Loch in den Bauch freuen wenn Kinder schreien. Mich macht das krank und ich war kurz davor aufzustehen und mal ein Machtwort zu sprechen.

Es erinnerte mich an damals als ich noch Arbeit hatte. Zu jener Zeit arbeitete ich im Kaufhof in Aachen; genauer gesagt im Dinea Restaurant. Da sich die Spielzeugabteilung direkt neben unserem Restaurant befand, hatte ich es jeden Tag mit diesen schreienden Bälgern zu tun, die sich wie wild auf den Boden schmissen, mit den Fäusten auf den Boden schlugen und unaufhörlich herum brüllten weil sie irgendein Spielzeug nicht bekamen. Jeden Tag zerrten die Kids an meinen Nerven bis schließlich ausflippte und einer der jüngeren Mütter mitteilte, dass es gleich Kinderschnitzel gäbe wenn nicht sofort Ruhe wäre. Das führte zu meiner sofortigen Entlassung wegen Kinderfeindlichkeit und zurück zur Arge. Manchmal kann ich Leute verstehen die irgendwo ne Granate rein werfen möchten.

Der nächste Gong ertönte und endlich leuchtete meine Nummer auf. Ich packte also meinen Schreibkram zusammen und begebe mich ins Zimmer 242 um meinen Urlaub einzureichen. Wenn ich gewusste hätte wie einfach das ist, hätte ich wohl schon früher mal Urlaub gemacht.

„Wenn die 14 Tage um sind, wieder hier melden;“ erklärte mir der junge Mann hinter dem Tresen. Ich nicke kurz und verlasse 242. Draußen im Flur ist ein Riesentumult und ich setze mich entgegen meiner sonstigen Gewohnheit noch mal hin um mir das Schauspiel anzusehen. Dann zücke ich Block und Stift und verfasse die letzten Zeilen meiner Geschichte.

„Kann sich endlich mal einer um den Kopierer kümmern“, brüllt einer. „Schlamperei, ich muss Kopien machen,“ ein anderer. Eine Frau mit feuerroten Haaren mischt sich auch noch ein. „Für solche Fälle gibt es doch Techniker!“ Da meine Geschichte fertig ist, packe ich meine Sachen, stehe auf und gehe zum Kopierer mit der wütenden Menge. Ich sehe mir den Kopierer von allen Seiten an, mache eine überlegende Geste und räuspere mich.

„Kannst du den reparieren?“, fragt mich einer der Angestellten im feinen Zwirn. Ich nicke! „Sicher könnte ich das, aber es geht nicht!“ Der Mann schaut ärgerlich. „Und wieso nicht?“ Ich zucke nur mit den Schultern.

„Na weil ich Urlaub habe!“

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.02.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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