Irene-Danae Diamantis

Die Menschheit auf der Erbse



Es ist zweifelsfrei eines der gewagtesten Unterfangen, das menschliche Wesen in möglichst komprimierter Form, sowie unter Berücksichtigung der durch den durchschnittlichen Wortschatz gesetzten Schranken, triftig genug zu beschreiben. Triftig genug, sodass der grösste Teil der Angehörigen unserer Art ohne besonders gewichtige Bedenken zustimmt.
Ist man nun ehrgeizig genug, dieser Zielsetzung, welche sich ohne jeglichen Hauch von Realismus oder Bescheidenheit präsentiert, nachzugehen, so dürfte folgender Ratschlag nicht fehl am Platz sein: Die Beschreibung sollte unter dem Eindruck kritischen Denkens, der Verachtung und pessimistischen Einschätzung des gesamten menschlichen Daseins, verfasst werden.  
Denn der Mensch wird viel eher dazu geneigt sein der Beschreibung zuzustimmen, wenn diese seinem Selbstwertgefühl schmeichelt, indem sie seine eigenen Gedanken und Sichtweisen bestätigt.
Diese setzen sich meines Erachtens in stattlichem Ausmass aus Empörung und Verzweiflung über das Betragen des Menschen und dessen Werdegang zusammen.
Heutzutage empfindet man es nämlich mehr denn je als seine Pflicht, differenziert und nachdenklich, wie man zu sein hofft, besonders starke Selbstkritik auszuüben.
Hierbei muss, wiederum als Ergebnis selbstkritischen Denkens, angemerkt werden, dass es sich nur um das Scheinbild einer Selbstkritik handelt.
Glücklicherweise kann sich das Individuum selbst beruhigt hinter dem trivialen Terminus „der Mensch" verstecken.
Jeder von uns distanziert sich somit von all den Fehltritten seiner Artgenossen.
Während „der Mensch” also rücksichtslos diffamiert wird, bleibt derjenige, der dieser unzähligen einstudierten kritischen Aussagen eine Stimme verleiht, verschont.
Ein Reflex, der sich auch in meinem Text bemerkbar macht.
Diese ständige Blossstellung des Menschen, welche man in jedem Winkel aufmerksam mitverfolgen kann, strebt kein anderes Ziel an, als dass man am Ende des Tages selbstgefällig mit der Illusion weiterleben kann, furchtlos seine standesgemässe geistige Arbeit zur Aussichtslosigkeit der Welt geleistet zu haben.
Möge kommen, was wolle, man selbst, habe es ja längstens vorausgesehen, doch kein anderer habe den Drang verspürt, diesem Disaster entgegenzuwirken, weshalb es auch unvermeidlich bleibe.
Falls man nun zu einer der unter Bekanntenkreisen so beliebten intellektuellen Diskussionen herausgefordert wird, ist man kampfbereit, da in der Lage, eine anerkannte utopische Vorstellung zu präsentieren, wie es denn mit dem Menschen richtig zugehen müsste: Ein neues Bildungssystem muss daher, eine komplett revidierte Wirtschaftspolitik, nicht dieselben alten gesellschaftlichen Konventionen, eine bessere Lebensweise, eine andere Psyche, eine ganz andere Welt!
Doch man kann nicht alles ersetzen.
Die menschliche Natur ist ein unzerstörbares Fundament, welches sich auch nach jeder noch so erbitterten Revolution behaupten wird.
Was also, wenn man nicht mehr voller Leidenschaft nach Mängeln sucht?
Ist dies etwa gleichbedeutend mit dem verhassten Verb „nachgeben”?
Heißt das nicht einfach, dass man realistisch und reif genug ist, das endlose Spiel der Problemsuche aufzugeben, weil man schlicht und ergreifend seine Ruhe haben möchte?
An dieser Stelle wird man mich vielleicht bitter anlächeln und mit voller Überzeugung behaupten, ich vergeude das Zentralste in meinem Leben:
Meine Jugend! Ich vegetiere bloss vor mir hin, Sklavin des Philistertums, suche nicht nach einer Identität, nach einer Alternative, nach einer Ideologie, an der ich mich festklammere, um mich frei zu fühlen, bin arm an Erfahrungen und Erinnerungen, da ich jedes Abenteuer von mir fortjage.
Und ich werde aufblicken und mit fester Stimme sagen, dass dies vielleicht meine persönliche Revolution ist, dass ich mich zwar tatsächlich einem körperfremden System füge, dass ich jeden Morgen zur gleichen Zeit aufstehe, regulär denselben Tätigkeiten nachgehe und meinen Beitrag für die Gesellschaft leiste, welche ich nicht länger als meinen Feind, sondern als meinen Mitarbeiter betrachte, dass ich einen Plan hab, dass meine Tage voller Aktivitäten sind, die mir eine Struktur und Sicherheit bieten, aber dass ich abends nach einem anstrengenden, anspruchsvollen Arbeitstag müde, aber glücklich ins Bett gehe, womit ich ihnen, die auf ihren gelassenen, planlosen Wanderungen durch das Leben noch immer auf der Suche nach dem Glück sind, einen gewaltigen Schritt voraus bin.
So werde ich antworten, nur um wenige Augenblicke später denjenigen zuzustimmen, die bemerken, dass ich lüge.  
Wir leben wohl alle in Unsicherheit.
Haben wir die richtige Entscheidung getroffen? Gibt es da nicht noch ein Rätsel? Warum ist schon alles vorbei? Haben wir nicht irgendetwas übersehen?
Hoffentlich! Denn wenn wir schon alles gefunden haben, wieso sollen wir morgen aufwachen?
Somit wird für mich klar: Wir leben nicht nur in Unsicherheit, sondern primär von ihr.
Denn uns Menschen kann man noch so viele seidene Decken, Matratzen aus Daunenfedern und samtweiche Kissen zur Verfügung stellen, der sorglose Schlaf bleibt dennoch fern: Wir werden immer eifrig nach einer Erbse suchen, die uns jeden Abend wach hält.
Die ewige Ruhe gehört nur den Toten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.02.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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