Christa Astl

Die rote Blume im ewigen Eis




 

 
Resi und Rosa lebten zusammen. Beide träumten von einem Königsohn, der um ihre Hand anhalten würde. Die Entscheidung wäre ihm aber sehr schwer gefallen, denn beide Mädchen waren wunderhübsch anzuschauen. Resi hatte gelockte blonde Haare, Rosa lange glatte schwarze. Stundenlang konnten sie vor dem Spiegel stehen und ihr wohlgefälliges Äußere betrachten.
Einmal stritten die Mädchen darüber, wer von ihnen wohl die schönere sei, und bei dem heftigen Streit zerbrachen sie ihren großen Spiegel. Das war nun ein arger Jammer. Sie versuchten die Scherben zusammen zu kleben, aber einige waren so klein, dass sie sie nicht einfügen konnten, und Rosa stach sich dabei in den Finger und blutete. Da dachte Resi an das Märchen vom Schneewittchen, dessen Mutter sich ein Kind gewünscht hatte, weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz. Schneewittchen war von einer bösen Hexe vergiftet worden...
Weiter wagte Resi nicht mehr zu denken, denn so sehr hasste sie ihre Schwester nun wirklich nicht. Sie wäre eben nur gerne die Schönere gewesen, damit sie der Königssohn geheiratet hätte, wenn er die beiden gesehen hätte.
Eines Nachts, es war Winter und ein arger Schneesturm fegte ums Haus, klopfte es ans Tor. Die Mädchen fürchteten sich sehr. "Mach auf" sagte Resi zu Rosa. "Mach du auf, ich fürchte mich", sagte Rosa zu Resi. Wieder pochte es ans Tor, diesmal noch eindringlicher und kräftiger. "Vielleicht ist es ein armer Wanderer, der sich im Schneesturm verirrt hat, den müssen wir herein lassen, er könnte sonst erfrieren", meinte nun Rosa. So fassten sie sich ein Herz und gingen mitsammen um zu öffnen. – Doch schnell warfen sie die Türe wieder ins Schloss. Da draußen stand, auf die Hinterpfoten aufgerichtet, ein großer grauer Bär!
Noch einmal klopfte es, und dann hörten sie eine Stimme. Denn der Bär begann zu sprechen: "Lasst mich ein, ihr beiden Schönen, es soll euer Schaden nicht sein".
Ein sprechender Bär? War es ein verzauberter Prinz? Oder hatte sich ein Räuber in ein Bärenfell gewickelt? In ihrem Haus gab es nichts zu stehlen, und so beschlossen die Mädchen, noch einmal das Tor zu öffnen. Ihre Neugierde war doch zu groß.
Der Bär musste sich bücken beim Eintreten, so groß war er. "Danke, dass ihr mich eingelassen habt" sprach er mit einer angenehm menschlichen Stimme. "Wer bist du denn?" Resi, die temperamentvolle und immer vorlaute, hatte als erste ihre Stimme wieder gefunden. "Das darf ich euch heute noch nicht verraten. Ich bin auf der Wanderschaft von einem Wald zum anderen, und möchte mich nur kurz bei euch aufwärmen", erklärte der Bär.
Rosa, die stille, immer nachdenkliche, hatte Mitleid mit dem Bären, brachte einen großen Teppich, den sie vor dem Feuer ausbreitete. "Leg dich hier her, das ist der wärmste Platz im ganzen Haus" sprach sie. "Ich danke dir, du bist sehr lieb zu mir" sagte der Bär und streckte sich der Länge nach auf dem Teppich aus. Und ich?, dachte Resi, bin ich denn nicht lieb? Sie wusste aber nicht, was sie dem Bären noch für einen Dienst erweisen könnte. Die ganze Nacht aber konnte sie nicht schlafen, so sehr ärgerte es sie, dass der Bär ihre Schwester "lieb" genannt hatte.
Am nächsten Morgen stand sie früher auf, um mit dem Bären allein zu sein. Aber der Bär war schon bereit aufzubrechen. "Wo willst du denn hin, lieber Bär?" fragte sie recht freundlich, "kann ich noch was für dich tun?" – "Nein danke, ich brauche nichts, ich muss weiter", erwiderte dieser kurz und knapp. Resi ließ nicht locker: "Sag einmal, du bist doch gar kein echter Bär, wieso kannst du denn sprechen?" – Da musste der Bär mit der Wahrheit heraus. Inzwischen war auch Rosa aufgestanden und hatte die letzte Frage gehört. Sie zupfte ihre Schwester am Ärmel, um sie zum Stillsein zu ermahnen, zu spät, die Frage war gestellt. Und der Bär antwortete: "Du hast es richtig erkannt, ich war ein Mensch, den eine große Zauberin und Hexe in dieses Untier verzaubert hat." – "Warum denn?" Resi konnte ihre Neugier nicht bezähmen, obwohl Rosa ihr wieder einen bösen Blick zuwarf. "Ich hätte die Hexe heiraten sollen, als sie sich mir als junges schönes Mädchen gezeigt hat. Sie entführte mich in den Wald und in ihr Zauberschloss. Sie hatte genau so schöne lange schwarze Haare", sprach er zu Rosa, die ihn erschrocken anschaute. "Nein, keine Angst, du bist nicht die Hexe, das habe ich am Abend schon erkannt, als du mir den warmen Platz angeboten hast"
Wieder fühlte sich Resi zurück gesetzt, ließ sich aber nichts anmerken. " Können wir dich nicht erlösen?" fragte sie weiter. "Nur durch die wahre Liebe eines ehrlichen Mädchens kann ich erlöst werden, aber dieses Mädchen muss eine schwere Aufgabe erfüllen. Es muss die rote Blume finden, die im ewigen Eis wächst. Es ist ein langer beschwerlicher Weg dorthin. Aber jetzt lasst mich gehen, ich muss wieder weiter. "Wohin denn?" fragte Resi noch, aber der Bär hatte die Frage nicht mehr gehört.
Lange konnte man im frischen Schnee seine Spuren verfolgen.
"Wollen wir ihm die rote Blume suchen? Jetzt gleich?" meinte die ungeduldige Resi. Am liebsten wäre sie gleich losgelaufen. Rosa hielt sie zurück. "Wir müssen noch warten, bis dieser schlimme Winter vorbei ist. sonst erfrieren wir ja schon unterwegs. Wir kommen ohnehin dann noch in die Kälte." So sprach die bedächtigere Rosa. Und so hatten die Mädchen noch genügend Zeit sich auf ihre Weise vorzubereiten. Sie schauten, ob ihre Schuhe in Ordnung waren, wuschen noch einmal ihre Kleider, backten Brot für die Reise. Mittlerweile schien die muntere Frühlingssonne zu ihren Fenstern herein. Da hielt es Resi nicht mehr länger, und auch Rosa sah den Zeitpunkt gekommen, um aufzubrechen.
Sie packten ihre Bündel, versperrten die Haustüre und machten sich auf den Weg.
Eigentlich wussten sie gar nicht, wohin sie gehen sollten, aber da der Nordpol mit seinem ewigen Eis im Norden lag, gingen sie in die Richtung, aus der niemals die Sonne schien. Tag um Tag waren sie unterwegs, ein Brot ums andere hatten sie gegessen, aus Quellen Wasser getrunken, bis sie eines Morgens nur mehr gefrorene Bäche fanden. Und rundum war nur mehr dickes Eis. Als die Sonne aufgegangen war, leuchtete ihnen von ferne etwas Rotes entgegen. "Das ist die rote Blume!!" schrien beide Mädchen gleichzeitig und rannten los. Resi wollte die erste sein und für sich die rote Blume pflücken. Sie gab Rosa einen Stoß, dass diese hinfiel und sich auf dem harten Eis verletzte. Rasch pflückte sie die Blume und steckte sie in eine Tasche, die sie um den Hals trug. Dann ging sie zurück zu ihrer Schwester, die sie doch nicht im Eis liegen lassen konnte und half ihr aufzustehen.
Rosa konnte nur mühsam gehen, und so dauerte der Rückweg noch viel länger, bis sie ihren heimatlichen großen Wald erreichten. Wieder war es Abend geworden und sie suchten sich einen Schlafplatz, denn ihr Haus hätten sie in der Dunkelheit nicht mehr gefunden. Rosa konnte kaum mehr laufen, sie war so müde, dass sie sofort einschlief.
Da Resi noch eine Weile wach lag, hörte sie von ferne das Brummen eines Bären. Sie ging dem Laut entgegen, ihre Schwester ließ sie liegen. Sie hoffte ja, dass es ihr Bär war, den sie nun allein erlösen und der sie als Dank dafür dann heiraten würde. Der Bär jedoch ging zornig auf sie los, sodass sie sich gerade noch zwischen einigen dicken Büschen verstecken konnte. Die ganze Nacht wagte Resi sich nicht mehr hervor. Erst am späten Vormittag schlich sie sich vorsichtig zu der Stelle, wo sie Rosa zurück gelassen hatte. - Doch diese war nirgends zu sehen, so sehr Resi auch nach ihr rief. Da bekam sie nun Angst, ob der Bär sie am Ende getötet hätte. Aufgeregt lief und suchte sie im Walde herum, schaute hinter jeden Baum, ob sie eine Spur von ihrer Schwester entdecken könnte.
Rosa indessen war schon weit weg und aus dem Wald draußen. Der Bär hatte auch sie gefunden, aber da sie ja ein gutes und ehrliches Mädchen war, hatte er sie nicht angefallen, sondern angesprochen. Wie freute sich Rosa, ihn wieder zu sehen! Doch dann begann sie bitterlich zu weinen, als sie Resis leeren Platz bemerkte, da diese ja die rote Blume bei sich trug, die den Zauber lösen könnte. "Sei nicht traurig", tröstete der Bär. "Die Blume habe ich, Resi hat sie verloren, als sie vor mir davon lief". Er zog mit einer Pfote die Blume aus seinem dicken Fell, wohin er sie versteckt hatte. und vor den Augen Rosas verspeiste er die rote Blume aus dem ewigen Eis.
Staunend beobachtete sie die Veränderung, die dann vor sich ging. Erst fielen die Haare aus, und dann wurde das Fell schrumpelig und rau und fiel schließlich zu Boden. Ein schöner junger Mann stand vor Rosa und verneigte sich vor ihr, und als er sich ein wenig ausgeruht hatte, erzählte er ihr das Zusammentreffen mit ihrer Schwester. Resi, deren Gedanken böse waren, hätte ihn nie erlösen können, so musste sie nun zur Strafe durch den Wald irren, bis sie irgendwo alleine heraus fand.
Da Rosa immer noch nicht richtig gehen konnte, nahm der Mann sie auf seine starken Arme und trug sie heim bis in sein Märchenschloss, wo die beiden glücklich ankamen und mit großer Freude begrüßt wurden. Bald wurde eine großartige Hochzeit gefeiert.
Sie lebten schon eine Zeit lang in aller Freude, als eines Tages eine arm und zerrissen gekleidete Frau ans Tor klopfte. Der Diener öffnete und führte sie vor das Königspaar. Rosa erkannte ihre Schwester und ließ ihr schöne Kleider bringen. Resi bat um Verzeihung und erhielt dann einen Platz im Schloss und durfte fortan wieder bei ihrer Schwester sein.
 
 
ChA 19.01.15
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.02.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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