Manfred Bieschke-Behm

Fiktion



Agnes stand bereits am Vormittag vor der verschlossenen Tür des Buchladens in der Golzenstraße. Um die Mittagszeit das gleiche Spiel. Auch der dritte Versuch am späten Nachmittag einen offenen Buchladen vorzufinden ist erfolglos. 'Was ist hier los', denkt Agnes, während sie versucht einen Hinweis zu entdecken, der den verschlossenen Zustand erklärt. Weder im Türbereich noch an der Schaufensterscheibe klebt ein aufklärender Hinweis. 'Seltsam', murmelt Agnes vor sich hin. Die Hoffnung, dass jemand käme, der sie aufklären könnte, erfüllt sich nicht. Agnes steht im Eingangsbereich, starrt in das dunkle Ladengeschäft, drückt die Türklinke hoch und runter und wartet. Worauf? Glaubt sie, dass sich die Tür wie von Zauberhand öffnen würde und sie eintreten könne? Nichts dergleichen passiert. Uneinsichtig begibt sich Agnes auf den Heimweg und beschließt Morgen wieder zur Buchhandlung zu gehen. Noch einmal murmelt Agnes 'seltsam' vor sich hin, hofft bekommt von dem Verkehrslärm und die vielen Menschen die ihr entgegen kommen kaum etwas mit. 'Was mag der Grund für die Ladenschließung sein?', fragt sie sich und merkt, dass sie unfähig ist, ihre Gedanken auf etwas anders zu lenken. 'Ob der Ladeninhaber Karl Haferkamp plötzlich erkrankt ist und keine Gelegenheit hatte einen entsprechenden Hinweis ins Schaufenster zu hängen?' fragt sich Agnes und beantwortet die Frage mit 'Nein. Krankheit schließe ich aus'. - Es muss einen anderen Grund geben. - Aber welchen?
Gedankenversunken wechselt Agnes die Straßenseite. Sie achtet nicht auf den Verkehr. Bemerkt nicht, dass sich ihr ein Auto nähert. Nur der Aufmerksamkeit des Autofahrers ist es zu verdanken, dass nichts Gefährliches passiert. Der Fahrzeughalter bremst seinen Wagen stark ab und schafft sein Auto mit nicht zu überhörenden Quietschgeräuschen, knapp vor Agnes zum Stehen zu bringen. Agnes ist genauso erschrocken, wie der Pkw-Fahrer. Sie bleibt für einen Moment erschrocken vor dem Auto stehen, und betritt anschließend den Bürgersteig. Dort bleibt sie wie versteinert stehen.
Der junge Mann hinter dem Lenkrad kurbelt die Seitenscheibe herunter und brüllt: Kannst nicht aufpassen du blöde Kuh?" Agnes ist jetzt, wenngleich noch leicht unter Schock stehend, hellwach. Sie weiß nicht, wie sie reagieren soll. Sie entschließt sich auf das Gehörte nicht zu antworten, und setzt ihren Weg fort ohne sich umzudrehen.
Endlich steht sie vor ihrer Wohnungstür. Sie steckt den Schlüssel in das Schloss und muss erneut an den verschlossenen Buchladen denken. 'Auf Herrn Haferkamp war bisher immer Verlass. Am letzten Freitag hatte sie mit dem Buchhändler vereinbart, dass sie Anfang der nächsten Woche kommen werde, um ihr bestelltes Buch abzuholen. Es gab keinerlei Anlass zu glauben, dass es dazu nicht kommen könnte. Alles schien, wie immer. Herr Haferkamp verhielt sich unaufdringlich freundlich und wünschte Ihr ein schönes Wochenende. Er rief Agnes noch hinterher: "Viel Spaß beim Lesen."
Während Agnes sich einen Tee aufbrüht überlegt sie, ob bei ihrem letzten Ladenbesuch nicht doch irgendetwas anders war, als sonst. Ihr fällt nichts ein. 'Mach dich doch nicht verrückt. Morgen weißt du mehr', sagt sie sich selbst. Es klingt, als wollte sie sich selbst Trost zusprechen.
Agnes setzt sich in ihren gemütlichen Ohrensessel. Auf dem kleinen Beistelltisch liegt der Roman, den sie gerade liest. Gut zwei Drittel des Buches hat sie durch. Der Krimi 'Noch sechs Stunden bis Morgen' fesselt sie seit Tagen. Sie hat eine leise Ahnung, wer den Mord an den Verlagsinhaber begangen haben könnte, ist sich aber nicht sicher. Vielleicht hat sie sich durch geschicktes Taktieren des Autors auf eine falsche Fährte locken lassen. Vielleicht ist der Mörder nicht der Sohn des Firmeninhabers, sondern sein engster Mitarbeiter oder dessen Schwager.
So sehr sich Agnes auch bemüht gelingt es ihr nicht, sich den spannenden Lesestoff zu konzentrieren. Fortwährend schwirrt Herrn Haferkamp und sein geschlossenes Geschäft im Kopf herum. 'Vielleicht liegt er verwundet im Laden und niemand hat es bisher bemerkt? Vielleicht braucht er dringend Hilfe? Vermutlich hat er unerträgliche Schmerzen …, oh Gott wie schlimm'. Aber wenn er verletzt, oder sogar tot, im Laden läge, überlegt Agnes, wäre doch bei allem Unglück die Ladenbeleuchtung an gewesen. Aber es war dunkel. Stockdunkel im Laden.
Agnes zwingt sich, sich auf den Inhalt ihres Romans zu konzentrieren. Es funktioniert nicht. Nachdem sie eine Seite gelesen hatte, und nicht weiß, was sie gelesen hat, schlägt das Buch zu und legt es auf den Teppichboden. Anschließend steht sie auf, legt eine CD ein und kehrt leicht verwirrt zurück zu ihrem Sessel. In eine kuschlige Wolldecke gehüllt schläft nach kurzer Zeit ein.
Als sie nach gut einer Stunde wach wird, ist der Tee längst kalt und die CD zu Ende gespielt. Sie hebt das Buch auf und legt es im Bücherregal ab. Ihr Bücherregal lässt Agnes sofort wieder an die geschlossene Buchhandlung und an Herrn Haferkamp denken, dem hoffentlich nicht entsetzliche zugestoßen ist.
Agnes legt sich in ihr Bett und hofft schnell einzuschlafen. Nur mäßig gelingt ihr das. Der Tag war einfach zu aufregend für sie. Es gab ja nicht nur die Geschichte mit dem Buchladen, sondern auch die unangenehme Begegnung mit dem Autofahrer.  
Am nächsten Morgen erwacht Agnes einigermaßen ausgeruht. Sie bereitet sich ein Frühstück und überlegt, wann es sinnvoll sei, zum Buchladen zu gehen. Jetzt gleich nach dem Frühstück? Oder besser um die Mittagszeit? Vielleicht erst am Nachmittag? Agnes kann sich nicht entscheiden.
Gegen Mittag macht sich Agnes auf den Weg. Schon von Weitem sieht sie, dass im Buchladen kein Licht brennt. Der Verdacht, dass auch heute der Laden nicht geöffnet hat, bestätigt sich spätestens nach Agnes Versuch die Türklinke erfolgreich herunterzudrücken. Etwas ist anders, als gestern, stellt sie fest. Zwar gibt es immer noch keinen schriftlichen Hinweis, warum die Buchhandlung nicht geöffnet hat, aber es steckt ein handgeschriebener Zettel im Türspalt oberhalb der Klinke. Vielleicht die Erklärung. Agnes liest und ist nicht schlauer, als vorher. Irgendjemand hat auf den Zettel geschrieben 'Wenn zu ist, ist zu. Jetzt ist zu. Dahinter drei Ausrufezeichen. Agnes zückt ihren Kugelschreiber und malt ein dickes Fragezeichen dahinter und steckt den Zettel zurück in den Türspalt. Mehr fällt ihr nicht ein. Was sollte sie auch machen?  
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.02.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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