Jürgen Berndt-Lüders

Das Knöllchen. Oder auch:für manche bist du der letzte A...

Fritz-Sigismung hatte in der Kreisstadt zu tun, genauer gesagt in einigen Geschäften in der Fußgängerzone, und weil dort weit und breit kein Parkplatz zu finden war, fuhr er auf den Hof der Kreisverwaltung. Dort gab es immer Parkplätze, denn für die Angestellten und Beamten schien kein Aufwand zu groß zu sein.

Er stellte seine abgebrochene Konservendose namens Smart for two auf einen Parkplatz gleich neben das Tor. Die Plätze dort trugen zwar Reservierungen für bestimmte Autokennzeichen, aber schließlich kannte Fritz-Sigismund den Landrat persönlich. Der hieß früher einfach nur Klaus und hatte in der Schule immer bei ihm abgeschrieben. Den brauchte er im Notfall nur anzusprechen, und schon verwandelte sich gewiss jedes Knöllchen in Rauch und Asche.

Als Fritz-Sigismund sein Auto abschloss, schien die Sonne, und als die Sekretärin des Landrats die Politesse anrief um ihr mitzuteilen, dass auf dem Parkplatz des Landrats ein unwürdiger Bürger frevelte, begann es bereits zu regnen. So warf die Uniformierte ihr Knöllchen durch einen winzigen Spalt zwischen Autotür und Seitenscheibe, anstatt es unter den Scheibenwischer zu klemmen wie sonst üblich.

Fritz-Sigismund bemerkte das Knöllchen auf dem Beifahrersitz erst, als er am Montag routinemäßig die gebrauchten Tempotücher entfernte, die sich während der Woche angesammelt hatten. Tat er das nicht, bekam er Druck von seiner Frau Edelgard, die eine regelrechte Ordnungsfanatikerin war, und das galt es zu vermeiden. Empört fuhr er zur Kreisverwaltung, um sich bei besagtem Ex-Mitschüler Klaus zu beschweren, als er eben jenen aus einem Fahrzeug auf dem fraglichen Parkplatz aussteigen sah, dessen Markierung das gleiche Kennzeichen trug wie Klaus’sens KFZ.

Natürlich fuhr Klaus keinen Smart, sondern einen Mercedes-Benz S-Klasse, obwohl er bei Fritz-Sigismund einst hatte abschreiben müssen. Wie ungerecht doch die Welt war.

Eben als der Landrat die Verriegelung seiner Luxuskarosse einrasten ließ, eilte Fritz-Sigismund zu ihm und drückte ihm das Dokument mit der manifestierten Ordnungswidrigkeit  in die Hand.

„Hallo Frisi“, sagte Klaus erstaunt, denn Frisi war Fritz-Sigismund von den Mitschülern genannt worden. „Was soll ich damit?“

„Pfeif deine Bluthunde gefälligst zurück“, brüllte Frisi. „Du hast genug Parkplätze vor deinem Palais, da wirst du ja wohl mal ein paar Schritte mehr laufen können, als du es gewohnt bist.“

Klaus blickte auf das Knöllchen und begriff den Zusammenhang. „Sorry, aber ich stell mich doch auch nicht in deine Einfahrt, auch wenn deinen Gullyverstopfer noch bequem durch den verbliebenen Spalt passen würde. Gerade du würdest doch glatt die Polizei rufen.“

„Du würdest mich eh nicht besuchen“, schrie Frisi. „Hast du doch gar nicht nötig. Schreibst bei deinen Mitschülern ab, saugst ihr Wissen aus ihnen heraus und streichst sie anschließend aus deinem Bewusstsein.

Bei euch läuft sowieso einiges quer. Letzt habe ich die Kilometerzahlen auf der Ortsausgangstafel bis zur Kreisstadt zusammen gezählt. Es sind nicht achtundzwanzig, sondern neunundzwanzig, Komma fünfundsiebzig Kilometer, was dazu führte, dass ich kürzlich mit dem Fahrzeug dreihundertsiebzehn Meter vor der Tankstelle liegen blieb. Was sagst du dazu?“

Klaus schüttelte den Kopf. „Du warst schon immer ein Pfennigfuchser, ein Kleinkrämer, ein Erbsenzähler. Zahl doch einfach den Bon und park in Zukunft gegenüber. Die Plätze dort sind näher am Eingang, und...“

Frisi unterbrach. „Bei fünf Euro fängt es an und es endet bei Tausenden für Straßenverbreiterungsgebühren für Anlieger. Unersättliche Leichenfledderer seid ihr. Meint, ihr wärt was Besseres. Erst abschreiben und dann...“

Fritz Sigismunds Frau Edelgard erschien im Tor zum Parkplatz. Sie zögerte, als sie ihren Mann und den Landrat sah, und als sie ein wenig gelauscht hatte, erinnerte sie ihn an einen gemeinsamen Termin.

„Ich muss mich verabschieden“, sagte Klaus und zerknüllte das Knöllchen, was genau deswegen Knöllchen heißt, weil es meist zerknüllt wird. „Ich habe ein Bewerbungsgespräch mit deiner Frau.“ Er steckte das Knöllchen achtlos in die Tasche.

„Meinetwegen“, brüllte Frisi nach kurzem Schock. „Wir können das Geld gebrauchen, aber bitte beim Sie bleiben und niemals persönlich werden.“

„Ganz wie Sie wünschen, mein Herr“, kam vom Landrat. „Ich versuche stets, neutral zu bleiben. Meinetwegen können auch wir beide uns wieder siezen.“

Wie soll ich jetzt die Gebühr für die Ordnungswidrigkeit bezahlen, fragte sich Fritz-Sigismund. Klaus, ähm, der Herr Landrat hat den Beleg zerknüllt. Wenn ich jetzt nicht zahle, kriegt Edelgard den Job vielleicht nicht.

 

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