Christa Astl

Die Schneiderei (aus meiner Kindheit)




 

Sparsamkeit begann damals, in den 50er Jahren, schon beim Anziehen. Mutter strickte aus ihren aufgetrennten Sachen was für mich, Vater fand auch immer wieder Stoffstücke, woraus noch ein Kindermantel geschnitten werden konnte. Und Mutters Wintermantel wurde gewendet, denn die Innenseite war ja noch schön und nicht abgetragen. Vor Weihnachten hatte er immer eine Menge zu tun. Bei den Bauern, wir lebten ja in einem kleinen Dorf,  war es üblich, dass die Kinder, manchmal auch Dienstboten, so es noch welche gab, zum Fest neue Hosen bekamen, hin und wieder auch einen ganzen Anzug. Vater steckte sein Maßband und sein Notizheft mit einem kleinen, mit dem Messer zugespitzten Bleistift in die Innentasche seiner ärmellosen Weste, die er sommers wie winters trug und ging zum „Abmessen“. Schmunzelnd kam er nach geraumer Zeit zurück, - der Bauer hatte ihn gewiss den „Selberbrennten“ (Schnaps) verkosten lassen.
In der nächsten Zeit gehörte der Küchentisch ihm, da schnitt er die gewünschten Sachen zu. Ich lauerte darauf, dass ihm ein kleines Fetzerl Stoff übrig blieb, ich wollte ja auch nähen. Das Nähen wurde bald meine große Leidenschaft, aber Schneiderin durfte ich nicht werden, - „dabei verhungerst du“, meint Vater. Er musste auch einer anderen Arbeit nachgehen. Interessiert schaute ich zu, wie aus den einzelnen Stoffteilen eine Bubenhose entstand, - und manchmal sogar dastand – denn oft waren es sehr harte, steife Lodenstoffe, die auch von wildesten Buben nicht umzubringen waren und auf die kleineren Brüder weitervererbt wurden. Als ich bereits die Schule besuchte, nähte er mir auch eine Hose, - auf Jahre hinaus passend zum länger und weiter Machen. Normalerweise trugen Mädchen damals noch keine Hosen, doch bei meinem weiten Schulweg (eine gute halbe Stunde auf oft schlecht geräumten Wegen) wurde eine Ausnahme gemacht. In der Schule musste ich allerdings einen Rock und die damals übliche Schürze anziehen. Das Schlimmste an der Hose war der Knopfverschluss auf der Seite, oft war es fast zu spät, bis ich diese endlich offen hatte.
Manchmal kam auch Männer mit ihren Söhnen zu uns zum „Anmessen“. Spannend wurde es für mich zuzuschauen, wie Vater sich vor dem Mann niederkniete, ihn herumdrehte, das Maßband an verschiedenen Körperstellen anlegte und dann fein säuberlich in seiner verschnörkelten Schrift Zahlen in sein Büchlein malte. Die kleineren Kinder stellte er kurzerhand auf den Tisch, damit er sich nicht so bücken musste. Wenn ich auf den Tisch gestiegen wäre – unvorstellbar!!
Nach einiger Zeit kamen die Leute zur Anprobe, und pünktlich zu Weihnachten waren die Aufträge abgeliefert Die meisten Kunden bezahlten auch gleich oder gaben stattdessen Lebensmittel wie Kartoffeln, Speck und Eier. Manchen musste Vater allerdings schon bis ins Frühjahr nachlaufen, damit er zu seinem Geld kam. Im Frühjahr oder zu Schulbeginn nähte er manchmal ein Kleid oder einen Rock für mich, natürlich auch mit Zugabe für einige Jahre. Ich hatte ja niemanden zu beerben, und zerreißen durfte ich nichts!!
Im allgemeinen war Vater Herrenschneider, für Frauen nähte er nicht so gerne. Die feinen Stoffe, bei denen man mit rauen Fingern leicht hängen blieb, mochte er nicht. Doch eine Stammkundin hatte er, eine furchtbar dicke Frau, die im Geschäft sicher nicht leicht einen passenden Rock bekommen hätte. Ich habe sie nie gesehen, sie kam nicht viel vors Haus, aber Vater sagte immer, sie sei mehr dick als lang, und dass er beim Messen zwei Maßbänder brauche. Ganz habe ich das allerdings nie geglaubt.
 

ChA 2014

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