Thomas Kleinrensing

Selbstgespräch Nr. 12

Der schiefe Turm von Pisa ist geneigt, vier Prozent, auch den Irrglauben er sei aufgrund seiner Schieflage der Namensgeber einer OECD Bildungsstudie, versteinert zu ertragen.  Kränkungen sind ihm nicht fremd. Solange deutsche Wissensgeprüfte glauben, dass der erste Besitzer eines Führerscheines Max Mustermann hieß, kann er diese Schmeichel freie Verfremdung ertragen, denke ich.

Das `Programme for International Student Assessment´, kurz PISA, wird in unserem Land alle drei Jahre als Einschätzung der Qualität von Bildung herangezogen und auf Basis von Schulleistungsuntersuchungen bei 15jährigen in verschiedenen Schultypen durchgeführt. Im Jahr 2012 lagen die deutschen Pubertierenden im OECD Nationenvergleich im Mittelfeld und das nicht nur aufgrund der Anzahl von Akne Pickeln auf einem Quadratzentimeter, so meine Vermutung. Würde es um einen Pustel Wettstreit gehen, hieße der höchste deutsche Schulabschluss nicht Abitur sondern wie in Österreich und der Schweiz Matura (Reifeprüfung). Allerdings weiß ich nicht ob die Namensgebung in diesen Alpenländern nicht doch etwas mit der Akne Vulgaris zu tun hat.

In der innerdeutschen Bundesländer Vergleichsstudie des gleichen Jahres, PISA-E, bildeten die Bayern, Baden Württemberger und Sachsen die  Spitzengruppe der Wissenden. Als Schlusslicht leuchteten die Bremer. Dafür spielt Bremen  im aktuellen Jahr ganz passabel in der Bundesliga, immerhin Platz 9 (Tabelle 20.03.15). Ist der Ball im gegnerischen Tor, kann auch das durchaus als erfolgreicher Abschluß gewertet werden. Da kann man großzügig über verunglückte Antwortversuche der kickenden Helden und der Nachzucht im Fanblock hinwegsehen. Im Umkehrschluss liegt die Vermutung nahe, dass Teambildung mit Schulbildung nicht auf dem gleichen Feld zum Erfolg führen.

Die Stuttgarter und Freiburger aus dem Musterbildungsländle werden diese Tatsache sportlich spüren. Beide Mannschaften  müssen sich in diesem Jahr höchstwahrscheinlich aus der ersten Liga verabschieden. Sachsens Landeshauptstadt Verein Dynamo spielt schon in der Drittliga. Der Logik folgend müsste Sachsen eigentlich die PISA Studie anführen, denke ich. Nur den Bayern in München hat die attestierte gute Bildung in den Schulen fußballerisch nicht geschadet. Merke: Bildung und Geld kann eine freigängige Steuerrückstellung in der aktiven Jugendarbeit durchaus begünstigen und Erfolg fähig machen.
 
Eine Statistik ist bekannter Maßen nur so gut, wie sie das gewünschte Ergebnis einbezieht. Wer eine Statistik zusammenbaut, kann sich selbst und andere glücklich aber auch ohnmächtig machen. Das kennt jeder aus eigener medialer Erfahrung, von den Börsen- und Wirtschaftsprognosen sowie Expertengesprächen. Wie eine schwarze Null auch als schwarzes Loch interpretiert werden kann, so darf Abitur (von neulat. abiturire) auch wörtlich mit abgehen wollen übersetzt werden, egal wie, womit, wovon und wohin.

Ich war schon als Grundschüler von dem Alphabet begeistert, fällt mir ein. Nicht nur da unsere Lehrerin das so herrlich schräg auf der Melodie ´Alle Vögel sind schon da´ vorgesungen hat und wir alle mitpiepsen durften. Als sich allerdings auf dem Gymnasium Mathematik, Chemie und Latein einmischten, hat mir das Vorsingen des ABC nicht wirklich weitergeholfen. Nach der Dreizehnten abiturirrte ich und hatte sogar das große Latinum irgendwo in einer meiner Taschen, neben den Spickzetteln. Die mathematische Wahrscheinlichkeit Chemie zu studieren lief gradlinig auf null. Gut für mich und die Menschheit, beruhigte ich mich damals. Und ich hatte Recht.

Allgemeinbildung war zu meiner Zeit eher urban und allgemein gefächert. Heute wird die allgemeine Bildung durch Wahlverfahren schon frühzeitig spezialisiert und der Schüler selektiert. Im Gegensatz zu meiner Schulzeit, eröffnet das Internet heute neben dem Chatten und Einkaufen auch die Möglichkeit, sich allgemeines Wissen jederzeit zu ergooglen, ohne es im Gehirn abzuspeichern. Das übernimmt Big Brother für uns ganz automatisch. Vor einiger Zeit gab ich in die Suchmaschine Bismarck ein. Seitdem bekomme ich stetig Werbung mit sauer eingelegten Heringen.

Man kann erfahren, wem der Bachelor die letzte Rose in den Ausschnitt gepflanzt hat, dass Heidi Klump sich ihren Körper in Form tapen und tackern lässt und es in Smithville Texas gestern um 7:13 PM Ortszeit geregnet hat. Wen interessiert sowas, Floristen, Hansaplast Vertreter, Schirmhersteller? Ich befürchte, dass es gerade jene sind, welche beim PISA Test angaben, dass der mächtigste Politiker der DDR Willy Brand war und Indira Gandhi die Tochter von Nero. Man muss auch nicht unbedingt wissen wer die Teutonen geschlagen hat. Aber mit Sicherheit war es nicht der BVB.

Einige Befragte hatten zumindest ansatzweise schemenhafte Assoziationen. Zum Beispiel bei der Beantwortung der Frage zu Pearl Harbor. Das im gleichnamigen Film von Michael Bay aus dem Jahr 2001 Josh Hartnett als Kampfpilot auf dramatische Weise ums Leben kam, kann als Lichtblick gesehen werden. Großzügig kann man auch einen Punkt geben,  wenn für einige Martin Luther King die Bibel übersetzt hat. Das Hessen unmittelbar an Deutschland grenzt, könnte man aufgrund des dort gebabbelten Dialektes zumindest als satirisches Stilmittel werten.

Obgleich falsche Lösungen herauskommen, zollen die meisten Probanden zumindest den Themen und Fragen durchaus Respekt, so die Initiatoren. Die Kreuzchen beim Multiple Choise Verfahren seien ordentlich gesetzt und die handschriftlichen Antworten zum größten Teil in ganzen Sätzen formuliert worden. Heureka welch Freude mich ereilt ob solchen unterirdischen Einschätzungen.

Mir fällt diese Floskel „bildungsferne Bevölkerungsgruppen“ ein. Sind das nicht eher jene, die mindestens eine Zweitagesreise von der nächsten Schule entfernt leben? Irgendwo im unerschlossenen Dschungel von Papua Neuguinea oder in den Weiten des Australischen Outback? Aber hier in unserem Land, bildungsferne Bevölkerungsgruppen? So abgeschieden und weitläufig und dünn besiedelt sind  Mecklenburg Vorpommern und Brandenburg nun auch nicht, schon gar nicht NRW und Berlin.

Auf Deutschland bezogen ist der Ausspruch „bildungsferne Bevölkerungsgruppen“ nicht nur auf die Fläche bezogen nicht zutreffend, sondern auch die Bankrotterklärung der Bildungspolitik. Ist es falsch wenn ich denke, dass eines der reichsten Länder der Welt es sich nicht nur leisten könnte sondern erst recht müsste gute Schulbildung für jedes Kind zu garantieren? Muss eine schwarze Null unbedingt das schwarze Loch sein, in welches nach den Eltern jetzt auch noch die Kinder fallen?

Mark Twain sagte mal, dass die Erziehung und Bildung die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend sei. Das bedeutet doch dann im hier und jetzt, dass wir die Verteidigung aufgegeben und uns ergeben haben.

Der Tom
www.tom-kleinrensing.de
23.03.2015

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.03.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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