Horst Werner Bracker

. . . Brief an meinen Freund Johann

 

Lieber Johann! Lieber Freund!

Dein Brief hat mich bekümmert. Du weißt doch, ich mag es nicht,- wenn Du traurig bist. Du schreibst, dass es Dir gesundheitlich nicht gut geht. Deine Beine wollen nicht so, wie Du es willst. Die Durchblutung ist gestört. Arteriosklerose nennt die Medizin dieses Krankheitsbild. Du bist wie ich, siebenundsiebzig Jahre alt, Johann! Da ist die frische und Elastizität der Venen verloren gegangen. Auch haben sich die Venen durch Ablagerungen an den Wänden verengt, so dass der Blutdurchfluss eingeschränkt ist. Befolge die Empfehlungen der Ärzte und verharre nicht in Resignation und Lethargie.
Johann, - wie lauten unsere Maxime doch gleich, die wir mit zwanzig Jahren zu Papier brachten? Die unser Motto sein sollten, nach denen wir leben wollten?
Unbeugsam - unser Wille! Körperlich - hart wie Stahl! Pantheistische Spiritualität,
(Deus sive natura!) Naturalistischer Lebensweise, gepaart mit Achtsamkeit, Empathie, Gerechtigkeitssinn! Gegenseitige Hilfe und Beistand in schwierigen Lebenslagen!
Erinnere dich an die Zeit, als wir noch jünger waren.
Was haben wir beide alles zusammen erlebt!
Die vielen Reisen. Denke an die Lagerfeuer in Nord Schweden!
Die Extremwanderungen, „Vom Elbestrand zum Alpenrand!“
Unsere Träume, die endlosen Diskussionen, oft bis spät in die Nacht!
 
Nun sind wir alt Johann! Unser beider Leben hat seinen Lauf genommen!

Wenn ich mein Leben Revue passieren lasse, denke ich, ich habe ein erfülltes Leben gehabt!
Ich bin sicher, dass auch Du mit deinem Leben im Reinen bist!
Du lebst in Rom und ich lebe in Hamburg.
Das Alter hat ein Netz um uns gewebt, es hält uns fest, hemmt unsere Beweglichkeit, dämpft unsere Unternehmungslust, macht uns Still und genügsam. Als ich deinen Brief gelesen, musste ich an das Lied aus der „Schwimmer Saga, denken: ´es waren zwei Königskinder´. Auch wir können nicht zueinander kommen Johann, wir wohnen viel zu weit.
Aber was uns im Alter bleibt, was uns niemand nehmen kann und was uns für immer verbindet, sind unsere erlebnisreichen und bunten Erinnerungen aus jenen Tagen, als wir noch jung und wagemutig waren.
Johann, obgleich wir weit voneinander entfernt wohnen, sollen unsere Kontakte nie abreißen! Lass uns auf einer gehobenen, persönlichen ebne kommunizieren, indem wir uns Briefe schreiben, so wie wir es immer taten. Damit bezeugen wir unsere Wertschätzung, - die wir immer für einander hatten.
Wenn ich einen Brief von Dir in Händen halte, muss ich erst einmal tief durch atmen. Jeder Brief von Dir löst Freude in mir aus. Dann gehe ich nach oben ins Büro, öffne deinen Brief und schau aufmerksam auf deine Schrift. Dein Schriftbild verrät mir deine Gemütsverfassung, in der Du Dich befandst, als Du den Brief verfasstes. Ist es glatt, mit Schwung geschrieben, warst Du guter Dinge! Dann nicke ich lächelnd mit dem Kopf und bin glücklich. Sind die Buchstaben „kräkelich“, gänzlich ohne Schwung Johann, dann ging es Dir nicht gut. Sorgenvoll ist dann mein Gemüt. Ich bemühe mich, schnell zu antworten und nach deiner Gesundheit zu fragen.
Während ich deinen Brief lese, habe ich manchmal das Gefühl, Du sitzt neben mir. Dann lasse ich denn Brief auf meinen Schoss sinken und beginne zu träumen.
Ganz von selbst reihen sich Bilder aneinander, Bilder, aus früheren Zeiten laufen realistisch, - wie ein Film vor meinem geistigen Auge, ab. Bis ein Geräusch mich aus meinen Träumen holt. Bei deinen Brief im September 2014, führte mich mein Erinnerungstraum nach Orsa am wunderschönen Orsasjön See. Unser Zelt stand auf einer kleinen Insel mit Blick auf den wunderschönen, herbstlich geschmückten See. Seine Ufer waren so farbenfroh, so voller Romantik, dass wir uns nicht satt sehen konnten.
Weißt Du noch wie still es war, Johann?

Nur das ´Vibrato´ der Windharfe, das ´Tremolos´ der Pappeln war zu hören. Ein grenzenloses Schweigen lag über dieser grandiosen Seenlandschaft, die die letzte Eiszeit geformt und geschliffen hat. In den großen und kleinen Mulden sammelte sich das glasklare Schmelzwasser der Gletscher. Eine unvergleichlich große und schöne Seen Landschaft, die sich von Norwegen, Schweden bis Finnland erstreckte und Jahrtausende brauchte, bis sie so aussah, wie wir sie heute kennen, - mit stillen Wäldern gewaltigen Ausmaßes, mit wilden Tieren, wie Elch, Bär, Wolf ,Vielfraß und Fuchs und andere in großer Zahl.

Es war Herbst Johann! Du schriebst dein romantisches Herbstgedicht.

 

Der Bergsee

Friedlich umsäumen grüne Bergeshänge,
den träumenden Bergsee hell und klar.
Die Wellen läuten wie Glockenklänge.
an den Felsen wunderbar.

In den Firnen glüht das Abendrot.
Die ersten Sterne funkeln im All.
Ein letztes Mal die Sonne loht,
dann steigt die Nacht zu Tal…

 

Seit damals in Nord Schweden, - sind fast fünfzig Jahre gegangen!

Meine Erinnerungen an dieser Zeit sind so klar und real, dass ich manchmal feuchte Augen bekomme, Johann! Dann überfällt mir eine große Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, - nach der wunderschönen Zeit mit Dir!
Wandernde sind immer auch Suchende, und die Sehnsucht nach jenem ultimativen Freiheitsgefühl kann süchtig machen. Nach Wind auf der Haut, nach Horizont im Blick, nach dem meditativen Rhythmus der eigenen Schritte.
Ja, der Mensch ist schon ein seltsames Wesen. Wir mögen zwar die Krone der Schöpfung sein, doch wir stehen nicht außerhalb der Schöpfung, sind also im Prinzip genauso strukturiert wie die übrigen Lebewesen.
Seiner Physis nach, gehört der Mensch dem Tierreich (Säugetieren) an. Er ist und bleibt Teil der Natur. Dieser Erdgebundenheit kann er nicht entkommen.
Wenn wir den Mutterschoß entwachsen, und die wohlige Wärme, die uns neun Monate umgab, vermissen, sind wir gezwungen zu leben. Denn mit der Zeugung, mit der Geburt wird uns der Wille zu Leben impliziert. Dass, fordernde Schreien des Säuglings nach der Mutter ist nichts anderes als der Wille zu leben. Seinen Instinkten folgend, sucht es die Mutter. Nur bei ihr findet es, was es zum Leben braucht: Nahrung, Wärme, und Zuneigung. Von der Mutter lernt es in kleinen Schritten, die ersten, wichtigen Lektionen, um im Leben bestehen zu können
Unser ganzes Leben lang, von der Wiege bis zum Tode, sind wir damit beschäftige, unseren Körper am Leben zu erhalten. Wir pflegen ihn und achten akribisch darauf, dass es ihn an nichts mangelt. Essen, Trinken, die tägliche Körperpflege, der Schlaf, die passende Kleidung, der Schutz vor Krankheiten und Invalidität ist Ausdruck dieser Bemühungen. Unsere Sinne registrieren jede Unregelmäßigkeit unseres Befindens. Jede Abweichung unserer körperlichen Funktionalität beunruhigt uns aufs Tiefste und löst Befürchtungen in uns aus. Wir beginnen nach den Ursachen unserer Befindlichkeitsstörung zu forschen und bemühen in hartnäckigen Fällen den Arzt.
Denn wir sind in unseren Körper gefangen. Er ist die Hülle, in der wir wohnen. Unsere Sinne sind die Informationsträger unseres Seins.
Sie belegen unsere Existenz. Machen uns erst existent. Vergleichbar mit einem Autofahrer, der mit seinen Sinnen das Auto durch alle Gefahren lenkt. Er schaut beobachtend aus dem Fond, hört die Geräusche des Motors und die Signale der anderen Verkehrsteilnehmer. Sein Gefühl lässt ihn die Geschwindigkeit spüren. Er sitzt wie wir in einem räumlichen Körper und ist auf die Funktionalität seines Gefährts angewiesen. Er pflegt sein Vehikel und lässt es reparieren, wenn es einen Defekt aufweist. Wir schauen durch die Augen und kommunizieren mit der Außenwelt, hören mit unseren Ohren, riechen mit unserer Nase, schmecken mit unserem Mund und fühlen mit unserer Haut. Unser Körper unterliegt den Gesetzen der Endlichkeit. Er ist verwundbar und wird von einer Vielzahl von Krankheiten bedroht. Doch dank der Fortschritte in der modernen Medizin werden die Menschen immer älter. Gegen die natürlichen Alterungsprozesse des menschlichen Körpers kann auch die moderne Medizin nichts ausrichten. Wir müssen sie klaglos hinnehmen Johann!
Bei jeder Ejakulation des Mannes werden Millionen Spermien freigesetzt. Sie alle haben nur ein Ziel, sich mit der weiblichen Eizelle zu verschmelzen. In der Regel wird es nur einer einzigen gelingen. Einer einzigen von Millionen. Das heißt, 99,9 Prozent aller Spermien, werden ihr Ziel nicht erreichen. Sie werden zugrunde gehen. Offensichtlich bedeutet das, dass es äußerst schwierig ist, sich mit einer weiblichen Eizelle zu vereinen und dadurch zu einem Körper zu kommen. Möglicherweise liegt hier das Geheimnis des Überlebenswillens des organischen Lebens begründet. Wer sich einen Körper erobert hat, will ihn nicht so einfach wieder hergeben. Das gilt gleichermaßen für den Menschen, der Tier- und der Pflanzenwelt. Es stellt sich die Frage, liegt darin das Geheimnis des Lebens? Hängen wir deswegen so sehr am Leben? Fürchten wir uns deswegen vor dem Tod?
Was aber macht den Menschen aus? Geist, Körper sagen die einen.
Seele und Körper die Anderen.
Wir sind Materie und Schöpfergeist.

Denn das unvorstellbar große All besteht aus Materie und Schöpfergeist. Man könnte auch sagen: Materie und Antimaterie. Wir sind beseelte Materie. Nach unserem Tod kehren wir zurück und werden wieder einst mit dem, der über allem steht: dem Schöpfergeist.
Unser Körper ist aus Erde gemacht. Er unterliegt den Gesetzen der Materie. Er ist Chemie und Physik. Komplexe Oxidationsprozesse halten ihn am Leben. Sie sind der Motor allen organischen Lebens.
Die Zeit ist ein wichtiger Faktor in unserem Leben. Sie gehorcht den Gesetzen der Endlichkeit. Sie ist der Anfang und das Ende allen Seins. Sie beginnt mit der Geburt eines Individuums und endet mit dessen Tod. Jedes Individuum, jedes Ding hat seine individuelle, programmierte Lebenszeit. Diese Lebenszeit ist unser kostbarstes Gut, wir sollten sie nutzen und nicht sinnlos vergeuden, denn sie ist das Einzige was uns auf dieser Erde wirklich gehört. Das Zeitgefühl variiert im Laufe unseres Lebens, ein zwanzig Jahre alter Mensch, hat ein anderes Zeitgefühl, als einen sechzig Jahre alten Menschen. Die Relation ist, setzt man eine Lebenserwartung von fünfundsiebzig Jahren voraus, zwanzig plus fünfundfünfzig. Das ist eine lange Zeit. Mehr als ein halbes Jahrhundert! Bei einen sechzig  jährigen hingegen, sechzig plus fünfzehn. Hier ist der Zeitzenit schon weit überschritten. Der verbleibende Rest überschaubar. Das Zeitgefühl relativiert sich also im Laufe des Lebens. Es ist ein Privileg der Jugend, das Alter zu ignorieren. Das Alter aber kann sich diese Ignoranz nicht erlauben.
Wir sollten nicht vergessen: Unsere Lebenszeit können wir nicht beliebig verlängern.
Ob wir uns an ein langes Leben in Gesundheit und Vitalität erfreuen können, hängt von vielen Faktoren ab. Eine herausragende Rolle spielen dabei die Erbanlagen, - die Gene. Sie sind das Erbgut unserer Eltern und müssen als schicksalhaft hingenommen werden. Die Gene bestimmen nicht nur unsere körperlichen Merkmale, sie sind auch für viele körperliche Gebrechen und Krankheiten verantwortlich. Die Gene sind Programm. In ihnen ist das Werden und Vergehen eines Individuums gespeichert. In zeitlichen Zyklen ist alles festgelegt. Wir können sie nicht ändern. Die Menschen in der Antike wussten noch nichts von der modernen Vererbungslehre. Die Gottheiten der damaligen Zeit waren als die schuldigen befunden. Die Sünden eurer Väter werden euch heimsuchen, bis ins dritte und vierte Glied! So kann man in der Bibel lesen. Doch wir wissen es besser, Johann.
Ein weiterer, nicht minder wichtiger Faktor in unserem Leben ist die mittelbare und unmittelbare Umwelt, in der ein Mensch aufwächst und lebt. Auch sie hält eine Vielzahl an Risiken für das Leben bereit. Wunder gibt es in unserer heutigen Zeit nicht mehr, sagen die Menschen. Doch ist es nicht verwunderlich, dass nicht weitaus mehr Menschen in dieser technisierten Welt, (allein auf Deutschlands Straßen über achtzig Millionen Autos) sterben? Ist es nicht ein Wunder, wenn Menschen in einer Großstadt achtzig oder gar neunzig Jahre alt werden? Es gibt in unserer heutigen Zeit weit mehr Wunder, als die, die in der Antike, der Bibel und anderen Berichten beschrieben wurden. Diese Berichte über Wunder und geheimnisvollen Erscheinungen sind zum größten Teil aus Mythen, aus Aberglauben und Unwissenheit der Menschen entstanden.
„Verzeih Johann!“
Ich bin in „Raserei“ gekommen. Du kennst mich ja, wenn ich zu schreiben beginne, kann ich nicht so leicht aufhören.
Doch was ich geschrieben habe Johann, ist nicht von ungefähr. Es soll dich erinnern an unsere Diskussionen und soll dich motivieren das Gleiche zu tun. Denke über meinen Brief nach und Teile mir in deinen nächsten Brief mit, wie Du die Dinge siehst!

Ich denke an Dich, Johann!          „Horas non Numero nisi serenas!“

Dein Freund Horst Werner
(eFRoMLt. 18.4.2015)

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.04.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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