Uwe Hellner

Muttertag im Luftschutzkeller

Unser kleiner Koffer steht wieder gepackt neben dem Bett. Meine Jacke habe ich gestern herausgenommen – damit der Strauß mit den schönen Blumen reinpasst, die ich gestern noch gepflückt habe. Morgen ist ja Muttertag.

Wir haben uns die Decke über den Kopf gezogen, aber ich kann nicht schlafen. Und Hans auch nicht. Er ist ja noch kleiner als ich. Es ist ruhig draußen. Und dunkel. Aber vielleicht heulen gleich wieder die Sirenen, und dann wachen wir sowieso auf. Mama hat gesagt, dass wir unsere Sachen und die Schuhe nicht ausziehen sollen. Dann geht’s schneller.... Irgendwann schlafe ich doch ein …

Träume ich? Nein, die Sirenen heulen wirklich. Mama steht neben unserem Bett und reißt uns die Decke weg: „Schnell, schnell! Kommt!“ Sie hat Angst, das sehe ich. Und dann habe ich auch immer Angst. Nur Hans nicht. Der rutscht von der Bettkante, als müsste er zur Schule gehen. Er schnappt sich den Koffer und schleppt ihn mit beiden Händen zur Tür. Der Koffer ist viel zu schwer für ihn. Aber er will ihn tragen. Und ich lasse ihn. Er ist ja noch klein.

Das Treppenhaus ist schon voll. Und laut – obwohl kaum jemand was sagt. Draußen jaulen die Sirenen. Bomben pfeifen, schon ganz nah. Häuser krachen. Der Schein des Feuers, der durch die Fenster dringt, ist das einzige Licht im Treppenhaus. Die Lampe dürfen wir nicht anmachen. Verdunkelung! Von oben kommt als letzte Frau Krause. Sie kann ja nicht so schnell gehen. Und sie hat noch Schlappen an, und ihren Morgenmantel. Gegenüber öffnet sich die Tür: Frau Becker schiebt ihre vier Kinder heraus. Dann dreht sie sie um und schließt ab. Als wir im Erdgeschoss ankommen, herrscht vor der Kellertür Gedränge und Geschiebe wie auf dem Bahnhof: Nur Kinder mit ihren Mamas. Die meisten haben Koffer in den Händen.

Im Keller setzen wir uns wieder auf unsere Stammplätze. Anneliese hat ihren „Brummi“, den Teddybären, beim letzten Mal hier liegen gelassen. Damit ihm nichts passiert. Und damit er keine Angst kriegt, so allein im dunklen Keller, haben wir ihn hier jeden Tag besucht. Jetzt sitzt er zwischen uns. Er freut sich bestimmt, dass jetzt so viele Leute da sind.

Frau Becker hat eine Kerze mitgebracht. Die hat sie auf einer Untertasse festgeklebt und immer dabei. Frau Becker stellt die Kerze auf den Boden, damit alle ein bisschen Licht haben. Hier unten ist der Bombenlärm nicht mehr so laut. Aber Mama guckt die ganze Zeit ängstlich nach oben, genau wie die anderen Frauen. Sie tut mir leid. Und dann fällt mir ein, dass ja heute Muttertag ist. Ich nehme Hans den Koffer aus den Händen, öffne ihn und hole den Strauß heraus. Die Blumen lassen zwar ein bisschen die Köpfe hängen. Aber als ich sie Mama gebe, lächelt sie mich an. Endlich!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.05.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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