Manfred Bieschke-Behm

Eckkneipe "Zum Schilderhäuschen"



Wer auch immer Simon fragt, weshalb er manchen Abend lieber in einer Kneipe verbringt, als bei sich zu Hause, bekommt zur Antwort: "In Gesellschaft schmeckt das Bier einfach besser." Den eigentlichen Grund, dass sich im Zustand seines Alleinseins vermehrt Einsamkeit breitmacht, spricht er nicht aus.
Mit einem fröhlichen "Hallo" wird Simon vom Wirt, der hinter der Theke steht und Gläser poliert, begrüßt. Fredy, so der Name des Wirts, reicht Simon mit einem "Schön dich wieder mal zu sehen", seine Hand zum Gruße.
 "Wie immer ein frisch gezapftes Bier?" wird Simon gefragt der zwischenzeitlich auf einen der vier leeren Hocker, die vor dem Tresen stehen, Platz genommen hat.
"Ja wie immer", gibt Simon dem Wirt zu verstehen. Während der Wirt zum Zapfhahn geht, schaut sich Simon in der Eckkneipe um. An den Tischen sitzend entdeckt Simon ein paar ihm bekannte Gesichter und ein paar neue. Manche spielen Karten, andere unterhalten sich oder sitzen sich stumm gegenüber, gerade so, als würden sie sich nicht kennen.
Simon beendet seinen Rundblick und starrt auf ein sehr großes, etwas vergilbtes gerahmtes Foto. Es hängt gegenüber der Theke und ist von vielen auf Regalen verteilte Flaschen umstellt. Das Foto zeigt einen Uniformierten in einem Schilderhaus 'Wache schieben'. Der Soldat steht da wie steif gefroren, mit starrem Blick geradeaus und Gewehr bei Fuß.
Links von ihm ist ein schweres geschlossenes Gitter erkennbar und dahinter leicht verschwommen ein Schloss, ein Palast zumindest ein öffentliches Gebäude.  
Der Wirt, der bemerkt, dass Simon das Foto anstarrt, bringt ihm das bestellte Bier, stellt es vor ihm ab und wünscht "Wohl bekomm´s! - "Dieses Foto hat mein Vater vor vielen Jahren in Prag aufgenommen. Er fand das Motiv so toll und es wurde zum Namensgeber dieser Kneipe. Seit mehr als dreißig Jahren heißt diese Eckkneipe "Zum Schilderhäuschen".
"Das weiß ich. Das hast Du mir schon mal erklärt. Aber trotzdem danke für die Aufklärung"
Simon greift zum Bier, setzt an und spürt, wie das kühlende Bier seine Kehle hinunterläuft. Gerade als er sein fast leegetrunkenes Bierglas absetzen will, bemerkt er, dass sich ein Gast neben ihn niederlässt. "Wieso rückt der mir so auf die Pelle?", denkt Simon, lässt sich aber nichts anmerken. Der neue Gast bestellt sich ein Bier und während er auf das Frischgezapfte wartet, spricht er Simon an: "Na och een Feierabendbier trinken?" Simon mag diese Art von Ansage nicht und überlegt ein Stuhl weiter zu rücken. Er entscheidet sich dann doch sehr schnell dort sitzen zu bleiben, wo er gerade sitzt, weil es ein bisschen albern aussähe, würde er abrücken.
Das Bier für den Sitznachbarn kommt. Der Wirt hat kaum Gelegenheit das Bier abzustellen. Das Bierglas wird ihm sofort aus der Hand genommen und in einen Zug geleert. "Bring mir gleich een Neues. - Trinkste eens mit?, wird Simon gefragt. Was soll ich machen, denkt Simon und willigt wenig überzeugend ein.
"Übrigens ick heiße Kutte, und wie de unschwer erkennen kannst, komme ick von Arbeit"  
Simon schaut zu seinem Nachbarn hinüber und sieht in ein schwitzendes Gesicht. Die nur noch wenig vorhandenen Haare sind nach hinten zu einem Pferdeschwanz gebunden, der von einem primitiven Schießgummi zusammengehalten wird. Bekleidet ist er mit einem stark verschmutzten T-Shirt und einer ebenso schmutzigen Latzhose. Simon wagt einen Blick nach unten und entdeckt schwere ungepflegte Arbeiterschuhe, wobei einer keine Schnürsenkel hat.   
Der Wirt bringt zwei Biere und stellt sie vor die Thekengäste ab.
"Na denn Prost!", sagt Kutte und fragt nach dem Namen seines Sitznachbarn.
"Ich heiße Simon", antwortet Simon artig und bemüht sich sein Glas gegen das von Kutte zu stoßen.
Beide Herren genießen das frische Bier.
Simon hofft, dass die Episode mit Kutte bald beendet ist und überlegt, wie er am elegantesten aus dieser Nummer herauskommt. Simon wird in seiner Überlegung unterbrochen, weil er gefragt wird, ob er des Öfteren hier herkommt. 'Warum will er das wissen', denkt Simon und spielt mit seinem fast leeren Glas, in das er schaut.   
"Mann o Mann, du hast aber een janz schönen Zug am Leibe", stellt Kalle fest während Simon froh ist, dass er auf Die Frage, ob er des Öfteren hier sei, keine Antwort geben muss. Die Frage erscheint ihm zu intim, als dass er sich Fremden gegenüber erklärt. Eine Antwort auf diese Frage scheint für Kutte auch nicht so wichtig zu sein, denn sie wird nicht wiederholt.
"Hallo Chef, mach mal noch een Bier. Meen Durscht will heute janich uffhören. -  Willste och noch een Bier? - Ick lade dir ein."
"Du brauchst mich nicht zum Bier einladen", erklärt Simon und merkt, dass das nicht das ist, was Kalle hören will.
"Ick kann dir doch einladen. - Is doch nischt dabei. Jemeinsam saufen schafft Freunde - oder?"
 
Simon bemüht sich ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern und sagt: "Na also dann danke für die Einladung.
"Watt machst du eigentlich beruflich", fragt Kalle neugierig und kontrolliert dabei den Gummi, der seinen Pferdeschwanz zusammenhält.
Simon hat keine Lust seiner Lokalbekanntschaft zu erzählen, dass er Bankangestellter ist und dafür sorgt, dass die Bilanzen stimmen.
Simon schaut zufällig auf das Foto an der Thekenwand und sagt: "Mein Job ist es in einem Schilderhäuschen zu stehen, und den Bundespräsidenten zu bewachen?"
"Nee!? - Wirklich?", fragt Kutte mit weit aufgerissenen Augen nach
"Wenn ich es dir doch sage" versichert Simon glaubhaft die Lüge.
"Iss ja Wahnsinn." Kutte kann sich über das Gehörte nicht beruhigen.
Simon amüsiert sich insgeheim und geht davon aus, dass das Thema sich erledigt hat.
Fast ist es zur unwichtigen Sache geworden, dass der Wirt die Bestellung bringt. Kalle möchte mehr wissen.
"Wie vielle Stunden stehste denn da so rumm? - Is dett nich langweilig den janzen Tag nischt anderere zu machen, als uffzupassen? - Ick kann mir nich vorstellen, deinen Job zu machen.
Wirste wenigsten jut bezahlt von deinem Chef?"
Simon sieht keine andere Chance seinen Trinkkumpanen zu bremsen, als "Prost" zu sagen, das Bierglas zu erheben und hinzuzufügen: "Nun ist aber genug der Fragerei über das Thema Arbeit."
Noch immer schaut Kalle Simon mit weit aufgerissenen Augen an. Der Bierschaum hat sein Schnurrbart weiß gefärbt und lässt ihn wie ein Wesen von einem anderen Stern erscheine.
"Sag mal Kumpel wie viel verdienste eigentlich?"
Simon merkt zunehmend, dass das Gespräch in eine Richtung heht, die er nicht möchte und reagiert deshalb etwas gereizt und erklärt: "Jetzt reicht es. - Themenwechsel"
"Sei doch nich so jereizt. Ick möchte halt wissen mit wem ick meen Bier trinke."
Funkstille. Erst jetzt merken Simon und Kalle dass sich die Kneipe gefüllt hat und ein Stimmengewirr nicht zu überhören ist.
"Sag mal Simon, kann et sein, datt du viele um die Ohren hast?"
"Wie kommst Du denn plötzlich darauf", erkundigt sich Simon und ahnt, dass es erneut unangenehm werden wird.
"Du wirkst so" stellt Kalle in den Raum.
"Ach ja, ich wirke so? - Wie wirke ich denn?, erkundigt sich Simon und rutscht unruhig auf seinen Sitz hin und her.
"Na so een bisschen neben der Spur." Erklärt Kalle seine Wahrnehmung und fügt hinzu: "Haste Probleme?"
Diese Ausfragerei scheint kein Ende zu nehmen denkt Simon und versucht Kalle vor der Versuchung zu schützen weiter unangenehme Fragen zu stellen, indem er ihn zu einem Bier einlädt.
Kalle nimmt gerne die Einladung an lässt aber nicht locker.
Der Wirt zapft die zwei Biere und Kanne erinnert Simon daran, dass er ihm eine Antwort schuldig ist.
"Problem ist nicht das richtige Wort für das was mich beschäftigt ..."
Mitleidvoll schaut Kalle Simon in die Augen und fragt fast mütterlich:"Watt is denn los mit dir - erzähl doch mal",
"Ich werde demnächst heiraten"
"Nee glob ick nich! - Ja wirklich?." Kalle füllt sich hin und her geschubst. Er erkundigt sich: "Musste oder willste?"
"Was?" fragt Simon und trinkt den letzen Schluck seines Bieres aus.
"Na heiraten", erinnert Kalle.
Der Wirt hat entdeckt, dass beide Biergläser leer sind und erkundigt sich, ob er neue zapfen soll.
"Na klar, jetzt erst recht", bestimmt Kalle und ohne Simon zu fragen verlangt er zwei Schnäpse.
"Uff den Schreck in der Abendstunde müssen wir eenen Schnaps trinken - oder?"
Simon glaubt, dass seine Absicht zu heiraten für Kalle offensichtlich eine Schocknachricht ist und willigt ohne Kommentar nur mit einem Kopfnicken ein.
Der Wirt bringt zwei Bier und zwei Schnäpse.
Kalle und Simon prosten sich zu und schütten die Schnäpse hinunter. Währen Simon ein leichtes Brennen in Hals spürt hofft er, das er von weiteren Fragen verschon bleibt. Tatsächlich folgt keine Frage, vielmehr eine Aussage: "Ick bin jeschieden."
"Das tut mir Leid".
"Muss dir nich leidtun. - Is jut so"
Pause
"Haste dir dett och jut überlecht mit dem heiraten?", fragt Kalle schon ein bisschen angetrunken.
Da ist sie, die nächste Frage, denkt Simon, will nicht unhöflich sein und erklärt, das seine Freundin und er es sich gut überlegt haben zu heiraten oder nicht. Der Entschluss steht fest, im nächsten Monat wird geheiratet.  
"Meine Cindy und ick hatten uns och lange Gedanken jemacht ob wir heiraten oder nur so zusammenleben. Cindy wollte unbedingt heiraten. Na da hab ich mir überreden lassen. - Is in die Hose jejangen."
"Das mit 'in die Hose gegangen' muss ja nicht jedem passieren"
Muss nich, aber kann."
"Die Herren noch zwei Bier?", erkundigt sich der Wirt.
Simon zögert mit der Antwort. Kalle übernimmt die Entscheidung: "Bring uns noch zwee Biere und och zwee Kurze. - Haste jehört?  Simon will heiraten. Dett ist doch een Grund mehr eenen zu heben oder?"
Dem Wirt ist es egal, weshalb Gäste Getränke bestellen. Ihm ist daran gelegen, dass seine Kasse klingelt und momentan läuft es gut.
"Sag mal Simon, wenn du in deinem Wachhaus stehst …"
"Schilderhäuschen" verbessert ihn Simon.
 
 
"Na also meinetwegen Schilderhäuschen" nimmt Kalle die Verbesserung zur Kenntnis. Wenn du in deinem Schilderhäuschen stehst, jehn dir da manchmal unsinnge Sachen durch den Kopp?"
Simon, auch nicht mehr ganz nüchtern, dennoch fähig zu registrieren, dass jetzt alles von vorn losgehen könnte, nimmt die neue Getränkelieferung zur Kenntnis und verkündet, dass er danach nach Hause geht.
"Warum haste eet denn plötzlich so eilig?", möchte Kalle wissen, der sichtbaren Spaß daran hat, mit Simon zu reden und zu trinken.   
"Ich muss morgen früh raus und ausgeruht meinen Dienst antreten", erklärt sich Simon.
Kalle lässt nicht locker und hackt nach: "Kannst eigentlich och im Stehen schlafen?"
Simon ist am Ende seiner Geduld und spürt zusätzlich, dass sich der Alkohol unangenehm bemerkbar macht. Er hat Schwierigkeiten seine Geldbörse zu zucken und noch größere Schwierigkeiten seinen Hocker zu verlassen.
"Lass stecken Kumpel. Ick zahle die Zeche. -  Und sag mir mal ehrlich, kannste im Stehen schlafen?"
Mir reicht´s denkt Simon oder hat er es ausgesprochen? Egal! Torkelnd verlässt Simon die Kneipe, aber nicht ohne einen letzten Blick auf das Foto mit dem Schilderhäuschen zu werfen.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.05.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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