Christiane Mielck-Retzdorff

Barbie, warte auf mich



 
„Barbie, warte auf mich!“ rief Ken, doch schon war seine Liebste eiligen Schrittes um eine Hausecke entschwunden.

‚Wie kann man nur so empfindlich sein‘, dachte er leicht ungehalten. „Bloß, weil ich nicht gleich das neue Kleid an ihr bemerkt habe.‘

Trotzdem rannte er hinter Barbie her. Schon nach wenigen Schritten erreichte Ken den Ort, an dem er sie aus den Augen verloren hatte. Die Straße, die sich vor ihm auftat, war von nur einem Auto befahren, aber auf dem Bürgersteig genossen Bummler und Cafébesucher den warmen Abend. Doch Barbie war nirgendwo zu sehen. Auf ihren hohen Hackenschuhen konnte sie unmöglich sehr schnell gelaufen sein. Bestimmt saß sie bereits an einem Tisch und amüsierte sich im Verborgenen über seine Suche. Gemächlich schlenderte er zwischen den vielen plaudernden und lachenden Menschen umher. Gleich würde sich das Geheimnis ihres Verschwindens in Barbies schallendem Gelächter auflösen. Doch zwischen all den Leuten war keine Spur von ihr zu entdecken.

Plötzlich stockte Ken der Atem. Nicht weit vor ihm saßen drei Frauen in einem Café, deren Erscheinungsbild sie deutlich als Feministinnen auswies. Diese hennaroten, in alle Richtungen stehenden, kurzen Haare über den wenig attraktiven Gesichtern. Dann diese in unförmigen Schlabberlook gehüllten Figuren. Für Ken waren das kurzbeinige Monster ohne Taille und ansehnliche Oberweite. Schauer rannen über seinen Rücken.

Waren es nicht gerade jene Frauen, die in seiner wunderschönen Barbie einen Angriff auf ihre Werte sahen? Forderten die Emanzen nicht sogar, dass seine Liebste aus dem gesellschaftlichen Leben verbannt werden sollte? Diesem hasserfüllten Neid konnten sich nicht einmal deren afroamerikanische Freundinnen entziehen. Nur weil diese bösen Weiber nicht über ein liebreizendes Gesicht, volle Haare und schlanke, ausgewogenen Körpermaße verfügten, nannten sie Barbie sogar eine Mutantin.

Mit Entsetzen wurde Ken klar, dass seine Liebste nur von jenen Furien entführt worden sein konnte.  Und dann erspähte er das Mädchen Jill, die weinend auf der Stufe vor einem Hauseingang saß. Auf Nachfrage wimmerte diese:
„Sie haben meine Barbie einfach an sich gerissen und dabei noch hämisch gelacht.“
 Weiter schluchzte Jill:
„Ich fürchte mich so. Bestimmt wollen sie Barbie töten.“, und zeigte auf die friedlich ihren Kaffee trinkenden Frauen, die Ken als Feministinnen enttarnt hatte.

Aber was sollte er tun? Diese Frauen sahen groß, stark und zu allem entschlossen aus.

„Wir werden Barbie zurückholen!“, ertönte voller Überzeugung die Stimme des Mädchens, die ihn fürsorglich an ihre Brust presste.
„Ja!“, rief Jill begeistert. „Wir lassen uns nicht bestehlen und auch nicht unterdrücken!“
 
 

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Trug und Wahrhaftigkeit: Eine Liebesgeschichte von Christiane Mielck-Retzdorff



Zum wiederholten Mal muss sich die Gymnasiastin Lisa-Marie in einer neuen Schule zurechtfinden. Dabei fällt sie allein durch ihre bescheidene Kleidung und Zurückhaltung auf. Schon bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihrem jungen, attraktiven Lehrer, Hendrik von Auental, der einem alten Adelsgeschlecht entstammt, hingezogen. Aber das geht nicht ihr allein so.
Die junge Frau muss gegen Ablehnung und Misstrauen kämpfen. Doch auch der Lehrer sieht sich plötzlich einer bösartigen Anschuldigung ausgesetzt. Trotzdem kommt es zwischen beiden zu einer zarten Annäherung. Dann treibt ein Schicksalsschlag den Mann zurück auf das elterliche Gut, wo ihn nicht nur neue Aufgaben erwarten sondern auch Familientraditionen, die ihn in Ketten legen.

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