Achim Müller

Wo ist Ihre Seele?

Freitag, sollte es endlich losgehen, wie lange habe ich darauf gewartet. Wir würden in die Klinik fahren, und ich würde meine Mutter wieder sehen. Das war die Nachricht, auf die ich fast 3 Jahre gewartet habe.
Ein richtiger Besuch. Kein Brief, und kein Telefongespräch können diesen ersetzen.
Klar, ich habe Briefe bekommen, und einige Telefongespräche haben stattgefunden. Aber aus einigen Briefen bin ich nicht schlau geworden, und einige der Telefongespräche waren verwirrend.
Also musste ich Sie sehen. Das war ganz schön kompliziert. Sie hatte einen anderen Vormund beziehungsweise Betreuer als ich. Diese beiden mussten sich sowohl mit der Klinik als auch hier mit dem Heim absprechen.
Ich hatte meine Mutter das letzte Mal gesehen, als sie im Wohnzimmer auf dem Sofa lag, wie immer war sie wieder betrunken. Wie hatte ich dies gehasst. Ich war da erst gerade 13 Jahre alt geworden. Ich hatte Sie gesehen, gerochen und gefühlt. Ich habe es gehasst, das sie getrunken hat, aber geliebt habe ich sie trotz allem. Aber so sehr ich es wollte, ich war nicht in der Lage ihr zu helfen. Ich bin, wie so oft, aus der Wohnung gegangen, und habe mich 2 Tage lang woanders aufgehalten.
Als ich wiederkam, was sie weg. Erstmal machte ich mir keine Sorgen, zu oft ist sie vom der Polizei betrunken aufgelesen worden und ins Krankenhaus gefahren worden oder mitten in der Nacht nach Hause gebracht worden. Aber am nächsten Tag war sie immer wieder da. Ich habe im Wohnmobil eines Bekannten gewohnt, weil ich es zu Hause nicht ausgehalten habe. Ein oder zweimal in der Woche habe ich zuhause vorbeigeschaut. Also bin ich wieder gegangen. Als ich dann am nächsten Tag aus der Schule kam, bin ich noch mal nach Hause gegangen. Ich wollte etwas holen und hatte eh ein schlechtes Gefühl. Irgendwie spürte ich, als ich die Treppen hinaufstieg, das irgendetwas anders war als sonnst.
Ich schloss die Türe auf und ging in die Wohnung. Irgendwie waren alle Türen zu. Jemand war da gewesen. Ein Fremder! Meine Mutter, wo war sie? In der Wohnung war sie nicht. Aber auf dem Tisch lag ein Brief von der Stadt, der an mich adressiert war. Meine Mutter währe im Krankenhaus, und ich sollte mich im Rathaus beim Jugendamt melden und eine Telefonnummer anrufen. Aber meiner Mutter würde es gut gehen, ich soll mir keine Sorgen machen. Na ja, das Telefon in unserer Wohnung war eh schon fast ein Jahr abgestellt weil meine Mutter es nicht bezahlt hat.
Ich hatte dann die Wohnung wieder abgeschlossen, und bin zu dem Bekannten gegangen, in dessen Wohnmobil ich damals wohnte. Es war ein Erwachsener, der in der Stadt ein Geschäft hatte. Einige Monate zuvor hatte ich denjenigen über Freunde kennen gelernt. Da ich quasi als Straßenkind draußen oder in baufälligen Häusern schlief, hat er mir das Wohnmobil rausgestellt, und seitdem wohnte ich da drin.
Ich brachte demjenigen den Brief. Er rief dann die Nummer an, die in dem Brief stand, und gab sich als Bekannter meiner Mutter aus und fragte was los währe. Dies war noch nicht einmal die Unwahrheit, er kannte meine Mutter und hat auch öfters mit ihr gesprochen. Oder es zumindest versucht. Da sie in dieser zeit fast ständig zugesoffen war, war dies nicht einfach. Ich hörte das Gespräch über den Lautsprecher im Telefon
mit. Süffisant erklärte die Dame, meine Mutter währe in hilflosen Zustand aufgefunden worden und ins Krankenhaus gebracht worden. Von dort währe sie in die Rheinische Landesklinik überwiesen worden. “Trinkerheilanstalt?“ fragte mein Bekannter. “Psychiatrie“ antwortete die Dame von der Stadt. Dann fragte diese noch, ob er mich kennen würde. Als er dies bejahrte, fragte sie noch, ob er wüsste, wo ich mich zurzeit aufhalte. Mein Bekannter schaute mich an, und ich schüttelte den Kopf. Also verneinte er diese Frage. Weitere Informationen waren von der Frau vom Jugendamt nicht zu erhalten.
Wir gingen davon aus, das meine Mutter in relativ kurzer Zeit, wir schätzen 3 bis 6 Wochen wieder auftauchen würde. Also wohnte ich weiter in dem Wohnmobil, und ging weiterhin zur Schule.
Wenn ich in die Wohnung ging, war ich vorsichtig, damit mich niemand sah. In dem Haus kannte sowieso keiner den anderen. Ein oder zweimal war ich mir sicher, dass jemand in der Wohnung war. Auch hing der gleiche Brief noch einmal in der Wohnung.
Der große Schock kam dann nach circa 3 Wochen. Auf einmal war die Wohnung leer, komplett ausgeräumt. Besenrein, nichts war mehr da, auch meine Sachen waren weg.
Ein Anruf meines Bekannten bei der Stadt ergab dann, das das Ordnungsamt die Wohnung habe auflösen lassen, da das das Sozialamt nicht beides bezahlen konnte, die Miete und die Klinik. Da wussten wir, dass wir uns wohl mit der Zeit verschätzt hatten. Meine Mutter würde wohl länger weg bleiben.
Auch scheiterten sämtliche Versuche sie in der Rheinischen Landesklinik zu erreichen. Mein Bekannter wurde am Telefon abgewiesen, und auch 2 Versuche diese persönlich in der Klinik zu besuchen schlugen fehl. Beides mal wurde er nicht eingelassen.
Also wohnte ich weiterhin im Wohnmobil, und ging zur Schule.
Dies ist dann so 8 Wochen gut gegangen. Polizei und Jugendamt hatten mich wohl überall gesucht, jedoch waren die nicht auf die Idee gekommen, mich in der Schule zu suchen.
Da jedoch in einer ordentlichen Behörde Ordnung herrschen musste hatten die dann versucht mich in der Schule abzumelden. Dabei hatten die dann erfahren, dass ich wie jeden Tag in der Klasse saß.
Direkt am nächsten Morgen, hatten die dann zugeschlagen, und mich aus der Klasse geholt. Fast wie einen Verbrecher haben die mich behandelt. Ich war damals erst 13 Jahre alt und hatte nichts angestellt. Das die mich nicht in Handschelle legten war alles. Ich habe denen dann nichts mehr gesagt. Wo ich mich den die ganze Zeit herum getrieben hätte wollten die wissen. Aber diese Information habe ich nicht rausgerückt. Dies hätte sonnst nur Ärger für meine Bekannten bedeutet. Dann bin ich noch am gleichen Tag in das Heim eingewiesen worden. Zuerst wollte ich sofort abhauen. Ein oder zweimal war ich schon fast weg. Ich habe dann den Bekannten angerufen, und er hat mir davon abgeraten. Als er erfuhr dass ich im Heim statt in ein Gymnasium, wo ich vorher war, in einer Sonderschule für Erziehungshilfe war, war er ganz schön sauer. Ich habe es wahrscheinlich nur einer massiven Beschwerde von ihm an die Heimaufsicht zu verdanken, dass ich wieder auf einem externen Gymnasium bin.
Dafür hat mein Bekannter einige Monate später ein anderes Straßenkind aufgenommen. der war nur ein Jahr älter als ich. Diesen hat er aber nicht hergegeben, als das Jugendamt ihn den abnehmen wollte. Mir hat er damals in einem Intern Chat erklärt, das er diesen Jungen sehr gerne hat, und auch auf eine bestimmte Weise sehr lieb hat. So wie ein Vater seinen Sohn liebt. Mich hätte er auch sehr lieb gehabt, und hätte mich auch gerne bei sich behalten. Aber weil er damals keine Erfahrungen mit dem Jugendamt hatte, und auch keine Möglichkeit hatte zu verhindern, das die mich aus der Schulklasse holten. Als er dies erfahren hatte, war ich schon im Heim. Aber irgendwie beneide ich den anderen Jungen, nur zu gerne hätte ich mit diesem getauscht.
Mittlerweile bin ich 15, in wenigen Monaten 16 und schon über 2 1/2 Jahre in diesem Heim. Meine Mutter habe ich so lange nicht gesehen.
Nun freute ich mich sehr auf dieses Wiedersehen. Ich habe mir die Haare schneiden lassen, Geld von meinem Sparbuch abgehoben um meiner Mutter ein Geschenk zu kaufen. Ich habe ihr eine große Schachtel Pralinen gekauft, und ihr ein Medaillon gekauft, indem ich ein Bild von ihr und mir, einbauen lassen habe.
In der Nacht vorher, habe ich kaum gepennt. Ich war nur etwas sauer, weil mich ausgerechnet Thomas fahren sollte. Der Thomas war kein Erzieher, sondern als Psychologe im Heim angestellt. Ich wollte nicht ausgerechnet mit einem “Psycho“ bei meiner Mutter aufkreuzen.
Na ja, aber wenn es nicht anders geht, dann besser so als gar nicht.
Meine Mutter ist mittlerweile in einer Psychosomatischen Klinik in einer großen Stadt untergebracht. Was eine Psychosomatische Klinik genau ist, weiß ich bis heute nicht genau. Aber dass meine Mutter sehr lange keinen Alkohol mehr trinkt, also trocken ist, hat man mir gesagt. Darauf freute ich mich. Vielleicht käme Sie ja bald da raus, und wir beide könnten wieder zusammen wohnen. So oft habe ich es mir vorgestellt, wie es sein könnte.
Wir sind also ca. 3 Stunden gefahren. Eine ganz schöne Strecke. In den Monaten zuvor hatte ich schon öfters mit dem Gedanken gespielt da “auf eigene Faust“ hinzufahren. Viel hat jedoch nicht gefehlt.
Na dann standen wir in der Klinik, das wie ein großes Kurhaus aussah in einer riesigen Halle. Wir meldeten uns an. Dann wurden wir abgeholt. Es ging in eine geschlossene Abteilung. Irgendwie war ich sauer darüber, hatten die meine Mutter wohl eingesperrt.
Wir gingen in ein Besucherzimmer. Am Tisch saß meine Mutter. Mein Gott, hatte sie sich verändert. Viel dünner war sie geworden. Sie trug ein Kleid, das hat sie früher nicht getragen, sondern Hosen und Jeans. Aber die Haare waren schön frisiert. Ich schaute sie einige Sekunden an, und umarmte Sie dann. Ich drückte Sie ganz fest. Irgendwas fehlte. Sie traute sich gar nicht mich anzufassen. Irgendwie hatte ich den Eindruck, das Sie nicht ganz bei der Sache war. Ich gab ihr die Geschenke. Sie hatte auch etwas für mich, selbst gemacht. Sie hatte einige Steine zu einer Raupe zusammen geklebt und angemalt. Irgendwie sah dieses Teil aus ....... , na ja, die Situation war irgendwie albern. Meine Mutter bastelt für mich.
Der Thomas hatte dann irgendwo einen Arzt aufgetrieben, mit diesem setzte er sich zu uns an den Tisch. Ich war wohl irgendwie “zugeknöpft“. Zum eine glaubte ich, das dieser “Arzt“ bestimmt ein “Psycho“ ist, und diese mag ich nicht besonders, da bin ich misstrauisch.
Irgendwie war das Gespräch mit meiner Mutter schleppend. Es kam keine Stimmung auf. Tausendmal hatte ich mir vorgestellt, wie Sie mich empfängt, den Standartsatz “Mensch, Junge bist du aber groß geworden!“ hätte ich erwartet. Aber das Sie kaum was herausbrachte, erschreckte mich. Sie war mir total fremd, Sie roch anderes, bewegte sich anderes und reagierte anders, als ich es in Erinnerung hatte.
Immerhin konnten wir raus in die Stadt gehen. Meine Mutter, ich und der Thomas.
Wir gingen durch einen großen Park in ein teures Kaffee und aßen Kuchen. Auch kam da nur mühsam ein Gespräch zustande. Ok, sie wusste, wer ich war, erinnerte sich auch an Sachen von früher. Meine Frage, ob und wann Sie rauskommt verwirrte sie sichtlich. Auch konnte sie nicht mit der Idee anfangen, wieder mit mir in eine Wohnung zu ziehen. “Dir geht es doch gut, das hat man mir gesagt“, war ihre Antwort. Auf meine Frage, wie es denn ihr ginge, erhielt ich keine Antwort.
Zurück in der Klinik habe ich den Typ, den ich für ihren Arzt bzw. Psycho hielt gefragt, ob meine Mutter unter Medikamenten steht. Nein, hieß es, meine Mutter hätte sehr viele Vorschritte gemacht, und es würde ihr zunehmend besser gehen. Der Besuch würde sie sehr belasten, und sie müsste die Eindrücke erst verarbeiten. Aber wie es denn mir ginge. “Ich bin wegen meiner Mutter hier, nicht wegen mir!“, entgegnete ich. Sie macht wirklich große Vorschritte wurde mir nochmals versichert. Es wird ihr immer besser gehen. Aber sie wird noch Zeit brauchen.
Grrrr, wie ich diese Psycho´s hasse. Klar war das kein Zufall, dass Thomas mich gefahren hatte. Die hatten damit gerechnet, das ich enttäuscht sein würde, und mir vorsichtshalber nen Psycho mitgegebnen, bei dem ich mich ausheuten könnte. Überlisten wollten die mich wieder, weil die genau wissen, dass ich nicht zum Thomas gehen würde, egal was mir “auf den Magen geschlagen“ ist.
Auf der Rückfahrt war ich still. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich am liebsten alle Schnapsfabriken und Brauereien in die Luft jagen können. Was der Alk aus meiner Mutter gemacht hat. Ich habe mir fest vorgenommen wo immer ich es kann gegen Alkohol zu kämpfen und jeden, den ich erreichen kann vor Alkohol zu warnen. Irgendwie währe dass ein Beruf, nein eine Berufung für mich.
So wie meine Mutter ausgesehen hat, zum heulen.
Ich sitze nun am Computer und schreibe diese Geschichte auf.
Ich habe das Steinvieh was meine Muter gebastelt hat vor mir auf dem Tisch stehen. Schwarz hat die das angemalt, mit gelben Muster und einem roten Maul. Pothässlich, aber meine Mutter hat es für mich gemacht. Seit Jahren das erste Geschenk von ihr an mich. Ich werde es gut wegpacken, damit nicht drankommt. Irgendwann bekommt es meine Mutter von mir zurück.
Was habe ich an meiner Mutter vermisst? Irgendwas fehlte! Während ich über eine Überschrift für diese Geschichte nachdenke, fällt es mir ein. Es war nicht die richtige Wärme in ihr. Sie war nicht wirklich sie selbst. Ihre Seele fehlte! Wo ist ihre Seele?


Achim Müller




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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.05.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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