Peter Vyskovsky

Mons feiert Drachenfest

 
 

Mons erwartet den Drachen 

 
 
Belgiens Kulturhauptstadt 2015
 
 
Die Glanzzeit von Mons als wohlhabende Stadt des Bergbaus und der Schwerindustrie ist längst vorbei. Die Kohleminen sind stillgelegt, die Unternehmen schlitterten in Konkurs, die Arbeiter sind weiter gezogen oder verbringen in den Dörfern ihren Lebensabend. Fünf Hügel als riesige Abraumhalden dokumentieren die Produktivität eines seinerzeit führenden Kohlereviers in Europa. Warum die vergessene Borinage gegenwärtig wieder in den Blickpunkt öffentlichen Interesses liegt, hat mit einer Künstlerpersönlichkeit zu tun und mit der Tatsache, dass Mons (flämisch: Bergen), nach mehr als 10 Jahren Lobbying, 2015 als vierte belgische Stadt zur EU-Kulturhauptstadt erhoben  wurde.
 
Diese Chance wurde ergriffen um architektonisch, sozial und wirtschaftlich einiges zu verändern und, so hofft man, durch mehr Tourismus neuen Glanz in die Stadt zu bringen. Wesentliches hat man schon geschafft. Viele Söhne und Töchter von Kumpel aus ganz Europa, die hier arbeiteten, haben die akademische Laufbahn ergriffen und Mons zu einer Stadt der Forschung und Wissenschaft gemacht  Google und dessen enormes Datenzentrum im Bezirk sind der Angelpunkt für mannigfaltige IT-Initiativen, die sich auch in vielen Projekten der Kulturhauptstadt äußern. Die Studenten- Community gab der Eröffnungsfeier, die mehr als 100.000 Bürger und Gäste aus dem In- und Ausland anzog, eine starke elektronische Komponente.
 
 
Vincent kam, sah und – wechselte das Metier
 
Angelpunkt der künstlerischen Komponente ist der Umstand, dass der junge Vincent van Gogh zwei Jahres seines Lebens hier verbrachte, sich die Borinage als Platz für sein Wirken als Pastoralassistent gewählt hatte. Er scheiterte mit seiner Mission, konnte das Elend der Bevölkerung rund um die Kohleminen nicht ertragen und vollzog hier die strahlende Metamorphose zum begnadeten Maler. Im Beaux Arts Museum eröffnete zu dem Thema König Philipp eine besondere Ausstellung, die sich kluger Weise nur auf diese kurze Epoche konzentriert und dadurch umso packender wird. Die Tristesse des Lebens, der auch vom Kohlestaub graue Alltag, das alles hat Vincent in seinen Bildern lebendig erhalten, von denen allerdings sehr viele verschollen oder vernichtet sind, weil er sie einfach als Tauschobjekte zur Finanzierung seines Lebensunterhalts einsetzte und die Qualität der Werke von den Gewerbetreibenden offenbar unverstanden blieben.
 
Die Klammer zwischen den Bildern und der Realität einst und jetzt stellte am Folgetag der Busausflug in die Grubenlandschaft der Borinage, ein paar Kilometer auswärts von Mons, dar - zu Vincent’s Wohnhaus, „seiner“ evangelischen Kirche, den heute blumengeschmückten Häusern der Bergleute, den verlassenen Bauwerken der Kohlenmine selbst, zu welchen  meinen deutschen Kollegen aus NRW sofort das Wort „Tatort“ einfiel.  Die gesamte Tour auf Einladung des Tourismusamts Wallonie Brüssel (in Köln) endete in Grand Hornu mit einem Happy End bzw. einer Metamorphose.
 
Eine der moderneren Grubenanlage, bei welcher man auf die sozialen Verhältnisse der Bergleute schon ernsthaft Rücksicht nahm und das Geld für ein imposantes Verwaltungsgebäude in der Mitte des Dorfes hatte , wurde „gerettet“. Großzügige Förderungen des Landes und der EU verwandelten Teile der oberirdischen Anlage in ein Museum für Design und zeitgenössische Kunst und in ein gutbesuchtes Ausflugszentrum. Die aktuelle Ausstellung Futur Archaique zeigt, wie Designer aus altbekannten Rohstoffen Gegenstände des Alltags in neuem Look entwickeln.
 
 
 

Von Äpfeln, Birnen und anderen Superstars

 
Aber Mons hat nicht nur van Gogh, der sich hier zum Malerberuf entschloss. Schon im Mai folgt eine Schau über den französischen Poeten Paul Verlaine, der hier eingekerkert war, dem die Fürsprache von Freunden ermöglichte, während der Haft zu schreiben und dem die Stadt einige seiner berühmtesten Werke verdankt. Viele Persönlichkeiten veränderten sich hier selbst oder trugen zur Veränderung von Dingen bei. Der ebenfalls einer Metamorphose unterzogene Schlachthof am Rande der Altstadt zeigt in der HiTech- Ausstellung „Mons Superstar“ 20 Menschen,  die  zeitweise hier gelebt, vor allem aber Innovatives  geschaffen haben. Die Ehrengalerie beginnt mit St. Waudru, der Äbtissin aus dem Mittelalter,  der Namensgeberin des Doms zu Mons. Nach dem Astronomen Malapert ist ein Mondkrater benannt, Isabelle Blume ging als Frauchenrechtlerin in die Geschichte ein und dem Pflanzenzüchter Nicolas Hardenpont verdanken wir die beharrliche Metamorphose von Apfelsorten zur Birne, wie wir sie heute kennen und schätzen.
 
Eines haben die beiden European Capitals of Culture 2015 gemeinsam. Bürger in beiden Städten meinen, es bringe Glück bestimmte Figuren zu streicheln. In Pilsen ist es der elfte Engel eines Kunstwerks an der Außenmauer der St. Bartholomäus Kathedrale,  am Marktplatz zu Mons krault man den Kopf einen bronzenen Affen an der Fassade des stattlichen Rathauses. Der Stadtkern von Mons beherbergt rund 30.000 Einwohner, die Bevölkerung des ganzen Stadt wird mit 90.000 Montois und Montoises angegeben (nicht Monser und schon gar nicht Monster). Der Grand Place ist Repräsentationsraum, Wohnzimmer, Flaniermeile, kulturelles und kulinarisches Zentrum der Stadt und war auch der wichtigste Schauplatz der Eröffnungsfeierlichkeiten am 24.Jänner 2015.
 
Mons zeigte seine kreative Vielfalt allerdings auch dadurch, dass es an diesem historischen Abend  acht weitere Plätze in das bunte Fest einbezog, mit unterschiedlichen Themen von Romantik und schwebenden Figuren bis zu Robotern, Rock und TechnoSound. Die Gäste zogen bewundernd von einer Attraktion zur anderen, ehe sie es schließlich in einer der hunderten  Gastlokale der Stadt gemütlich machten  Ganz nach Belieben mit französischem Wein oder dem Festbier von Mons2015 namens Car d’Or, mit Muscheln und Schnecken, mit Fischen aus dem nahen Meer, mit Steaks und belgischen Fritten oder einfach mit kreativ gestalteten Sandwiches.
 
 
 

Museale Mission von Kirchen und wandernde Zitate

 
Dem Wandel unterzogen werden in Mons heute vor allem Kirchen und Kasernen. Der historischen Gotteshäuser gibt es allzu viele, deshalb werden den prunkvollen Gebäude seit etlichen Jahren neuen Themen gewidmet, vor allem museale. Fünf neue Sammlungen sind für Mai angekündigt. Längst eröffnet ist  das neue Theatre du Manege, Reitschule und Teilobjekt einer ehemaligen Kaserne. Nur wenige Kilometer von der Grenze gelegen, wurde Mons aus Furcht vor Übergriffen aus Frankreich stets wehrhaft gehalten. In EU-Zeiten betrachtet man dies natürlich  als überholt und spart konsequent bei den Verteidigungskosten.
 
Große Veränderungen stehen auch am Bahnhof bevor, über welchen der Flughafen von Brüssel in 70 min. mittels Direktzug erreichbar ist. Der spanische Stararchitekt Santiago Calatrava, bekannt durch faszinierende Bauten in Barcelona, Sevilla und Valencia, gestaltet hier bis 2017 nicht bloß eine futuristische Umsteigestelle für Zugfahrer. Er bindet vielmehr multimodal andere Verkehrsmittel ein und schafft zudem eine kühne Verbindungsachse zwischen dem mittelalterlichen Stadtkern und modernen Bauten für Technologie, Business und Freizeit auf der anderen Seite der Bahntrasse.
 
In einem besonderen Literaturprojekt steht Calatravas künftiges Bauwerk heute schon im Fokus. Im Event „La Phrase“ machen Zitate täglich quer durch die Stadt auf sich aufmerksam. Es ist ein Kunstwerk,  das  alle 24 Stunden um einen Satz wächst. Beginnend bei Calatravas Großbaustelle wird täglich ein Zitat von nationalen oder internationalen Autoren mit symbolischem Bezug zu Mons - wie Stefan Zweig, Andre Gide, Simone de Beauvoir, Victor Hugo - an einer Häuserwand angebracht, mäanderförmig  fortlaufend durch die gesamte Altstadt, bis man im Dezember 2015 wieder zum Bahnhof zurückkehrt. Erst dann wird „La Phrase“ in ihrer Gesamtheit lesbar sein. Nachhaltigkeit ? Die Stiftung Mons2015 lässt offen, welche Texte der Nachwelt erhalten bleiben und welche auf Wunsch der Hauseigentümer wieder entfernt werden.
 
 
 

Ende Mai kommt der Drachenkampf

 
Ungerührt von den Veränderungen thront Belgiens einziger barocker Glockenturm allein stehend unweit der Domkirche auf einem Hügel im Zentrum der Stadt, erbaut von den Bürgern, die damals mit den Stiftsdamen und Eigentümerinnen von St. Waudru im Streit lagen und daher die Eigeninitiative ergriffen, um zu wissen wie viel es geschlagen hat.
 
Als Fixpunkt jeden Jahres und daher auch als besonderes Ereignis im Kulturjahr gilt das  Doudou-Fest, das zwei Traditionen vereint: die Prozession mit den Reliquien der heiligen  Waudru durch die Stadt und die St. Georgs Legende, mit dem von Jung und Alt sehnsüchtig erwarteten Kampf mit dem Drachen, der immerhin so gewaltige Maße aufweist, dass er von 12 kräftigen Männern in weiß gesteuert wird. Die Woche nach Pfingsten läutet in Mons mit dieser Zeremonie, neuen Museen, namhaften Gästen und Events die nächste Top-Periode des Kulturjahrs ein. Grund genug dem Städtchen, das im Begriff ist sich neu zu erfinden, einen inspirierenden Besuch abzustatten.
 
 
 
Peter Vyskovsky, Wien
 
 

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