Kea Bast

Die Deppen auf der Umfahrung

Als ich heute Morgen auf den Bus gewartet habe – ja es gibt Leute, welche auch am Freitag nach Auffahrt arbeiten müssen / dürfen – liess ich meinen Gedanken freien Lauf und dachte plötzlich, so apropos Bus, an Paolo von Madeira. Während eines Tagesausfluges auf dieser wunderschönen munzigkleinen Insel war eben dieser Paolo unser Fahrer. Und wie er fahren konnte! Ich hatte noch nie einen talentierteren Menschen hinter dem Steuer gesehen, unglaublich.

Das meinte ich jetzt ehrlich, nicht sarkastisch. Sarkastisch wäre es, die Fahrt auf den Flughafen, damit wir überhaupt erst nach Madeira fliegen konnten, als geschmeidig zu bezeichnen. Obwohl meine Mamma eigentlich auch eine talentierte Fahrerin war. Nicht so wie Paolo oder „Jason-oh-mein-Gott-bisch-du-endgeil-Statham". Aber immerhin grundsätzlich talentiert. Aber irgendwie gelten um viertel vor drei Uhr in der Früh wohl andere Regeln. Wie in den Eishockey-Playoffs halt.

Wir fuhren also mitten in der Nacht Richtung Zürich und plauderten erst ab ca. Höhe Zürichsee miteinander. Als Langschläferinnen waren wir um diese abartige Zeit nicht besonders geschwätzig. Aber das holten wir, kaum einigermassen wach, sofort nach. Irgendwann kam das Gespräch auf Bussen, Radar und so weiter. Hauptsächlich darum, weil meine Mamma jeden Radar zu kennen schien (das war mir ja wirklich egal) und jeden Standort kommentierte (das hingegen nervte ziemlich schnell). Ein gewisser Standort war entweder neu oder sie war noch nicht ganz in Tagesform, auf jeden blitzte es plötzlich auf. Ich, immer noch im Halbschlaf, bemerkte es nicht einmal grossartig, aber Mamma fluchte sofort los wie ein Bauarbeiter. Wie ein sehr talentierter Bauarbeiter. Also talentiert im fluchen, nicht im bauen. Oder sagen wir netterweise beides. Wie auch immer war ich nach dieser Schimpftirade auch endlich wach.

Als nächstes behauptete Mamma, dass sie als Ex-Bewohnerin von Zürich um diese Zeit durch die Stadt schneller auf dem Flughafen ankommen würde wie die Deppen auf der Umfahrung. Nachdem ich kurz nachgerechnet hatte wieviel Zeit uns noch bis zum Check-in blieb, liess ich sie gewähren (musste ich ja sowieso, sie sass am Steuer, aber ich tat gerne so, als ob ich die Kontrolle hätte). Irgendwann wurde sie dann mitten in der Stadt etwas hektisch, blickte hin und her und murmelte leise vor sich hin. „Häsch di verfahra?“ wollte ich sogleich wissen. „Nei nei, i muass nur do vorna kehra und denn dia ander Abzwigig neh, zruggfahra und links statt rechts dura.“ Aha. Sie wurde immer nervöser und die Zeit rückte erbarmungslos voran. Obwohl sie bereits eine Busse kassiert hatte, wurde sie immer schneller. Auch als sie auf das nächste Lichtsignal zufuhr, wurde sie nicht langsamer. „As isch rot. As isch rot, Mamma. AS ISCH ROT!“ ich wurde immer lauter und endlich bremste sie abrupt ab. Die vorderen Räder waren gut einen halben Meter über der Linie und mein Koffer hatte sich quasi durch den Beifahrersitz zwischen meine Wirbel gequetscht. Die Ampel wurde inzwischen bereits orange und sie fummelte immer noch am Rückwärtsgang herum. „Jetzt muasch au nüm zruggsetza, as wird grüan, fahr los!“ sie ging auf meinen Vorschlag ein, gab Gas und der Koffer verabschiedete sich wieder.

Nachdem wir gefühlte dreihundertachtzig Stunden in der Stadt Zürich herumgekurvt waren, kam endlich der Flughafen in Sicht. Soviel zum Thema Deppen auf der Umfahrung. Sofort studierten wir die Schilder genauestens und schrien jedes Mal auf, wenn wir irgendwo P60 lasen. So fanden wir das gewünschte Parkfeld auch problemlos und schnell. Sogar das „Heb-dr-Zettel-anda-Bildschirm-und-Barriera-öffnet-sich“ funktionierte einwandfrei. Natürlich begleitet von einem unisono „Sesam-öffne-dich!“. Intelligent wie wir waren, suchten wir uns einen Parkplatz ganz weit hinten, dann war’s nicht mehr ganz so weit zum Flughafen. Immerhin waren wir ab jetzt zu Fuss unterwegs und hatten viel zu schwere Koffer dabei. Vom tonnenschweren Handgepäck mal ganz zu schweigen. Wir hievten unsere Koffer und Handtaschen also auf so ein Rolldings und gingen beschwingten Schrittes los. In die falsche Richtung. Der Durchgang durch den Tunnel war einfach mit Brettern vernagelt. Na toll. Bah. Etwas weniger beschwingt schritten wir zurück. Und fanden eine munzigkleine Tafel. Mamma grübelte ihr Feuerzeugs hervor, ich mein Handy und so standen wir morgens um halb fünf auf einem stockfinsteren Parkplatz und versuchten die Buchstaben auf der nicht beleuchteten Tafel zu entziffern. Ich konnte mir schönere Tätigkeiten um diese Uhrzeit vorstellen. Also eigentlich zu jeder Uhrzeit. Nach kurzem Ausraster stiessen wir das Rolldings wieder beschwingt in die andere Richtung. Richtung Flughafen. Richtung Madeira. Ferien, wir kommen!

Da ich zu Anfang ja von Paolo erzählt habe, wisst ihr, dass wir den Flug erwischt haben. Wenn ihr aber bedenkt, dass diese Geschichte nur von der Anfahrt auf den Flughafen erzählt, wisst ihr auch, dass von Madeira selber noch ein paar folgen werden. Zum Beispiel von der lesbischen Bedienung in unserem Lieblingsfischrestaurant. Oder vom weissen Häschen auf dem Flachdach. Ganz zu schweigen von unserem Ausflug mit der Luftseilbahn, als Mamma total schlecht wurde und sie unten angekommen als Gegenmittel ein Eis essen musste…

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.05.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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