Helmut Wurm

Der schwere Traum des Landes-Jägermeisters

 

Der Landes-Jägermeister liegt in schwerem Halbschlaf auf seinem braunen Ledersofa in seinem  Arbeitszimmer… Es ist schon lange nach Mitternacht… Er sieht nicht die Geweihe und Gehörne, die Schwarzwild-Waffen und die präparierten Auerhähne und Füchse an der Wand… Der Schreibtisch ist angehäuft mit den neuen Vorschriften über die Jagd, mit Entwürfen der Regierung für weitere Veränderungen des Jagdgesetzes, mit Beschwerden der Jagdpächter und Jäger…
 
Er hat, um sich den spannungsgeladenen Tag mit der unerfreulichen Materie etwas zu versüßen, eine große Flasche Jägermeister auf den großen braunen Eichenholz-Schreibtisch gestellt und sich immer wieder eingeschenkt… Das hat zwar jedes Mal etwas geholfen, aber  abends war es dann doch zu viel… Nun ist der Landes-Jägermeister auf seiner Ledercouch eingeschlafen. Er hat nicht mehr in sein Bett gefunden, gerade die Lampe konnte er noch auslöschen… Er schläft aber nicht ruhig und tief, er stöhnt, wirft sich unruhig hin und her, der Schweiß steht ihm auf der Stirn… Er träumt schwer, so schwer wie noch nie …
 
Seine Frau hat ihn vermisst und im Arbeitszimmer in seinem schweren Schlaf gefunden… Sie versucht vorsichtig ihn wach zu rütteln: „Hubert, wach auf, komm in Dein Bett, hier kannst Du nicht erholt schlafen… Ich war wieder den ganzen Abend allein im Wohnzimmer, verbringe wenigstens die Nacht in unserem gemeinsamen Schlafzimmer… Ihr Mann stöhnt und wacht nicht auf. So geht sie leise hinaus…
 
(Der Landes-Jägermeister stöhnt und träumt schwer, so schwer wie noch nie in seinem Leben… Er träumt)
 
Er sitzt am oberen Ende eines großen Tisches im Rittersaal der alten Hubertusburg… Die Kerzen und das Kaminfeuer erleuchten die Halle nur schwach… Mit ihm am großen Tisch sitzen seine Waidwerk-Genossen, aber alle sind alt, krank oder gebrechlich geworden oder leiden an schwerem Burnout-Syndrom… Ihre Stimmung ist sehr gedrückt und kaum einer spricht mit dem anderen… Sie essen zwar etwas von den auf der Tafel stehenden Jagd-Leckereien, aber keinem schmecken der Braten, die Trüffeln, die Jägersoße… Denn für alle ist die Zeit der Jagd endgültig vorbei. Sie sind körperlich und psychisch nicht mehr dazu in der Lage … Wer wird künftig den Wildbestand regulieren, Wildschäden mindern, krankes Wild schießen, Wildseuchen bekämpfen?... Wer wird diese Jagd-Pflichten übernehmen?... Diese Sorgen belasten die Runde, drücken alle nieder…
 
Da tritt in die dumpfe Runde ein Politiker, ein Vertreter der Landesregierung. Er grüßt freundlich und geübt nach allen Seiten, lächelt jovial und sagt:
 
Der joviale Regierungsvertreter: Liebe langjährige und nun alt gewordene Jäger! Die Landesregierung kennt Euere Sorgen und wird alles unternehmen, sie von der Wurzel her zu beseitigen. Die Hauptursache für Euere Sorgen ist doch der viel zu hohe Wildbestand.
Die Landesregierung wird deswegen eine Reihe von neuen Jagdbestimmungen erlassen, die den Wildbestand drastisch reduzieren werden, wie z.B. totales Wild-Fütterungsverbot auch in Notzeiten; Verbot jeglicher Art von Wildäckern; konsequente Reduzierung von Baum- und Straucharten, deren Früchte Wildfutter sein können; Bildung einer Jagd-Eingreiftruppe mit Schnellfeuerwaffen und Nachtsichtgeräten…
 
Die Jagd wird sich bald nicht mehr lohnen... äh, die Jagd wird bald nicht mehr nötig sein…
Ich weiß, Ihr werdet das erleichtert hören.
 
(Der Landes-Jägermeister stöhnt schwer im Traum; der Vertreter der Landes-Regierung fährt fort)
 
Die Landesregierung wird zusätzlich Helfer zur Wildreduzierung einsetzen bzw. Methoden für die Reduzierung des Wildbestandes delegieren. Ich habe Vertreter von 4 Helfergruppen mitgebracht, die Euch über ihre Methoden zur weiteren Wild-Verringerung informieren werden.
Wenn Ihr sie angehört habt, werdet Ihr bestimmt sehr erleichtert sein.
 
Es kommt ein modern-farbig gekleideter Wald-Gärtner herein:
 
Der moderne Wald-Gärtner: Ich bin kein romantischer Förster wie früher, sondern ein moderner Wald-Gärtner. Ich möchte für die moderne Wirtschaft so viel Holz wie möglich bereit stellen. Deswegen interessiert mich nur der jährliche Holzzuwachs. Jegliche unnötige Pflanze am Boden, die den Bäumen Nährstoffe wegnimmt, wird von mir mechanisch und biologisch-chemisch beseitigt. Wild, das jungen Bäume, Knospen und Triebe abäst, findet in den von mir betreuten Waldbeständen keine Äsung und Deckung mehr. Der kleine Wild-Restbestand wird sicher durch die neu eingebürgerten Großraubtiere beseitigt werden…
 
Die Jagd wird sich bald nicht mehr lohnen… äh, die Jagd wird bald nicht mehr nötig sein…
Ich hoffe, Ihr werdet das erleichtert aufnehmen. 
     
(Der Landes-Jägermeister stöhnt schwer im Traum)
 
Es kommen Luchs, Wolf, Bär und Adler in die Halle. Sie gehen unbeholfen aufrecht und
können zu den versammelten Jägern sprechen.
 
Luchs, Wolf, Bär und Adler (abwechselnd): Wir danken der Landesregierung und den Naturschützern, dass sie uns wieder in unsere frühere Heimat zurück zu kehren erlaubt  haben. Ihr habt es ja schon gehört, weshalb. Wir sollen die Reste des schädlichen freien Wildes erledigen. Wir sind die künftigen Vollstrecker der Wild-Abschusspläne und werden diese Aufgabe konsequent erfüllen. Das bisherige Schadwild wird unserem Fress-Druck erliegen.
 
Die Jagd wird sich bald nicht mehr lohnen… äh, die Jagd wird bald nicht mehr nötig sein…
Wir hoffen, dass Ihr darüber erleichtert seid.
 
(Der Landes-Jägermeister stöhnt schwer im Traum)
 
Es kommt ein Vertreter der Monokultur-Landwirtschaft herein.
 
Der Monokultur-Landwirt: Die wieder eingebürgerten Großraubtiere sind hauptsächlich Waldbewohner. In den freien landwirtschaftlichen Gemarkungen werden sie weniger gern leben und jagen. Das Wild wird deshalb zunehmend in die offenen Landwirtschaftsflächen eingesickert und dort zunehmende Schäden anrichten. In den monokulturell bewirtschaftet Flächen mit intensivem Einsatz von Herbiziden, Pestiziden, Fungiziden und neuen, bitter schmeckenden Gen-Pflanzen wird das Wild langfristig aber wenig zusagende Äsung und Lebensraum finden. Und die eingebürgerten Adler werden es hier in den offenen Flächen vermehrt jagen. Das Wild wird deswegen wieder zurück in die Wälder streben, wo es aber nicht erwünscht ist und durch den Fress-Druck der neuen Großraubtiere reduziert wird…

So wird sich das Problem Wildschaden durch das Zusammenwirken von neuen Jagdgesetzen, modernem Holz-Gärtnertum, moderner Monokultur-Landwirtschaft und die Einbürgerung von Großraubwild am Boden und in der Luft allmählich lösen und Ihr müsst keine Sorgen mehr haben, wer Euere Pflichten als Jäger übernimmt…
 
Die Jagd wird sich bald nicht mehr lohnen… äh, die Jagd wird bald nicht mehr nötig sein…
Ich denke, Ihr werdet erleichtert sein. 
 
(Der Landes-Jägermeister stöhnt schwer im Traum)

Es kommt ein Vertreter der Ausweitung von Naturschutzgebieten ein. Man sieht ihm an, dass er ein Fanatiker-Typus ist.  
 
Der Naturschutz-Fanatiker: Auch von unserer Seite kann ich Euch eine beruhigende Perspektive mitteilen. Wir wollen Naturschutzgebiete, und zwar totale Schutzgebiete über das ganze Land wie ein Schwarm von Inseln im Meer verteilt, einrichten. Hier können alle Tiere frei leben, einschließlich, schon aus Tradition, Wildhühner, Kaninchen, Hasen, Rehe, Gemsen, Hirsche - aber natürlich unter dem Fressdruck der eingebürgerten Großraubtiere, die sich in solchen totalen Naturschutzgebieten besonders wohl fühlen werden. In diesen Gebieten darf natürlich nicht gejagt werden, aber das wäre auch völlig unnötig, denn das Schadwild wird als Futterwild der Großraubtiere sehr abnehmen.
 
Sollte eines der neuen Großraubtiere die Schutzgebiete verlassen wollen, wird es behutsam mit Gummigeschossen wieder zurück getrieben. Sollte aber eines der traditionellen Schad-Wildarten nur seine Nase über die Grenze eines solchen totalen Schutzgebietes in Richtung der bewirtschafteten Wälder, Äcker und Felder stecken, wird es von der mobilen Jäger-Eingreiftruppe erfasst und mit Schnellfeuerwaffen abgeknallt…    
 
Die Jagd wird sich bald nicht mehr lohnen… äh, die Jagd wird bald nicht mehr nötig sein…
Ich denke, Ihr werdet zusätzlich erleichtert sein.
 
(Der Landes-Jägermeister stöhnt schwer im Traum)
 
Der Regierungsvertreter lässt anschließend die Gläser auf dem Tisch im Rittersaal der Hubertusburg durch seine 4 Helfer neu füllen, lässt das Kaminfeuer hell aufflackern, hebt sein Glas und sagt zu den versammelten Jägern:
 
Der Regierungsvertreter: Ihr werdet jetzt endgültig überzeugt sein, dass ohne Euch
und Euere gewissenhaft erfüllten Jagdpflichten keine Schäden auf das Land und seine Bewohner zukommen… In Zukunft könnt Ihr Euch anderen Aufgaben widmen. Euere Zukunft wird hell wie das Morgenlicht werden… Trinkt dieses Glas, es wird Euch beleben wie eine Tasse guter Kaffee…
 
Der Landes-Jägermeister stöhnt besonders schwer im Traum – dann wacht er auf. Seine Frau sitzt neben ihm auf der Couch im Jagd-Arbeitszimmer. Sie hat die Fenster-Vorhänge aufgezogen, das Morgenlicht leuchtet herein und sie hält ihm eine Tasse Kaffee mit den Worten hin
 
Die Frau des Landes-Jägermeisters: Du bist völlig überarbeitet… Steh auf, es ist schon lange hell… Du solltest dich anderen Aufgaben widmen… Trinke diese Tasse Kaffee, sie wird  
dich beleben… Was hast du denn so Schweres geträumt, dass du ständig gestöhnt hast?
 
Der Landes-Jägermeister antwortet nicht, trinkt die Tasse Kaffee und schaut immer noch wie im Traum zum Fenster hinaus. Als seine Frau ihn noch einmal anspricht, schüttelt er nur stumm den Kopf. Daraufhin sagt seine Frau:
 
Die Frau des Landes-Jägermeisters: Du gehst heute besser mal nicht zur Jagd, sondern bleibst  zu Hause und denkst an etwas anderes… Heute ist übrigens Wochenende, ich wäre endlich einmal nicht wieder alleine. Ein gemeinsames Wochenende kommt selten genug vor… Komm zum Frühstückstisch.
 
Der Landes-Jägermeister nickt stumm, steht auf und geht mit seiner Frau zum gemeinsamen Frühstückstisch – was selten genug vorkommt.
 
(Verfasst von Helmut Wurm, Betzdorf, Mai 2015)
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.05.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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