Patrick Rabe

Warum Krieg?

Noch in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts gab es in Deutschland eine breite Bevölkerungsmehrheit für Frieden und gegen Krieg, wie die sehr aktive Friedensbewegung dieser Zeit zeigt. Das Trauma der beiden Weltkriege schien Europa geläutert zu haben. So etwas Schreckliches sollte es nie wieder geben! Deutschland war nun nicht mehr an Kriegen beteiligt und die weitaus meisten deutschen und europäischen Politiker bekannten sich zur Notwendigkeit des Friedens. Auf Amerika lastete dieses Trauma nicht in gleicher Weise, die USA gingen gewohnt unbedarft in militärische Auseinandersetzungen in Korea und Vietnam, mit bekanntlich verheerenden Folgen. Aber auch im Land der begrenzten Unmöglichkeiten bildete sich starker ziviler Protest, so in der Studenten-und Hippiebewegung der Sechzigerjahre. Die denkende Menschheit, so meinte man, hatte begriffen: Nie wieder Krieg!
 
Mit Beendigung des kalten Krieges schien das Ziel eines Weltfriedens in greifbare Nähe gerückt. Doch dann zerfiel Jugoslawien und der Balkan wurde Krisengebiet. Bald befand die Völkergemeinschaft es für nötig, einzugreifen. Hier wurde zum ersten Mal das deutsche "Nein!" angetastet. Zunächst noch als Helfer in humanitären Einsätzen wurden Bundeswehrsoldaten in die Balkanregion geschickt. Kritik wurde im Keim erstickt. "Ist ja ein unbewaffneter Einsatz, also praktisch eine Friedensleistung im Kriegsgebiet." Aber bereits diese "humanitären Helfer" kamen oft traumatisiert von ihren Einsätzen zurück.
 
Ausgerechnet eine Regierung bestehend aus SPD und Grünen killte das deutsche "Nein!" gänzlich. Plötzlich war deutsche Kriegsbeteiligung in Ex-Jugoslawien und Afghanistan möglich. Das war eine Zäsur in der deutschen Geschichte! Die deutsche Wiederbewaffnung ist aus meiner Sicht die größte Katastrophe des noch jungen 21. Jahrhunderts! Bezeichnend auch, dass die CDU sich einen solchen Schritt nicht getraut hat, jedoch eine Koalition zweier Parteien, die gemäß ihrer Ideologie dem Frieden verpflichtet gewesen wären. Man sprach von Sachzwängen und einer veränderten politischen Lage, die Deutschlands Nichteinmischung nicht mehr länger gangbar mache. Das ist rubbish. Sachzwänge existieren nicht, denn Sachen können niemanden zwingen. Auch eine wie auch immer geartete "Weltlage" nicht. Hätten die deutschen Politiker den Willen und die Eier gehabt, weiterhin die Kriegsbeteiligung zu verweigern, dann wäre das auch gegangen. Das Herausreden auf "Sachzwänge", "Weltlage", "Fahneneid" und "Staatstreue" kennen wir von den Schergen des dritten Reichs zu genüge. Auch Eichmann war "persönlich gegen die Endlösung, stand aber unter Fahneneid, von dem er nicht entbunden werden konnte". Solange äußere Gegebenheiten stärkere Bindung haben als das eigene Gewissen, solange wird die Menschheit zu Gräueltaten wie dem Holocaust fähig sein. Immer und immer wieder.
 
Deutschlands Absage an den Irakfeldzug des Bush-Amerika wirkte heroisch, war aber in Wirklichkeit nur ein geschickter Winkelzug der Schröderregierung. In Wirklichkeit gab es keinen Konflikt zwischen Deutschland und den USA. Man hatte fein säuberlich abgekaspert, dass man sich mit Soldaten nicht beteiligen wolle, da das der Schröder-SPD Beliebtheitseinbußen bringen konnte, man schickte aber den BND, der Amerika großflächig unterstützte.
 
Die erste große Koalition unter Kanzlerin Merkel konnte sich bereits erlauben, ganz neue Töne zu pfeifen, die verdammt amerikanisch klangen. "Wir" verteidigten unsere "Demokratie" plötzlich am Hindukusch und es gab ihn wieder: Den gerechten Krieg. Deutsche Soldaten unterstützten den amerikanischen Kriegseinsatz großflächig. Und siehe da: auch das Denken der deutschen Bevölkerung schien gewandelt. Verteidigungsminister Guttenberg war der beliebteste deutsche Politiker, ein Hochglanzposterboy der Generation "Post- 9/11". Die islamophobe Hetze des letzten Jahrzehnts hatte gefruchtet. Die Muselmanen waren eine Gefahr und mussten "weg". Waren ja eh alles potenzielle Sprenggürtelträger! Die Krone setzte "Gutti" seinem Hochglanzkrieg mit einer von Johannes B. Kerner moderierten Fernsehshow live aus Afghanistan auf, der den Krieg zu einem Medienevent al'a "Wetten dass?" hochstilisierte und gnadenlos verharmloste. Wenn ich an diesen Tiefpunkt des deutschen Fernsehens und der deutschen Politik denke, kriege ich das kalte Kotzen. Diese Show war zynischer als alles, was Wolfgang Menge oder Stephen King ("Millionenspiel"/ "Running Man") sich jemals ausgedacht haben. Der Krieg als gemütliche Popcorn-Chips-und-Bier-Fernsehunterhaltung. Das ist nicht nur geschmacklos, das ist hochgradig menschenverachtend. Nun, Gutti stolperte indes nicht darüber, sondern über eine gefakte Doktorarbeit. Shit happens. Die deutschen Bürger entblödeten sich nicht, daraufhin zu Tausenden auf die Straße zu gehen und für die Rückkehr des sympathischen Gutti zu demonstrieren.
 
Deutsche Kriegseinsätze sind Alltag geworden. Das deutsche Volk hat sie "geschluckt", die Intellektuellen mucken kaum auf. Was ist bloß aus Deutschland, was aus Europa geworden? Das Trauma der Weltkriege hat die Menschheit nicht geläutert. Es hat nur zwei Generationen gebraucht, um alles wegzuwischen.
 
Ich kenne drei Afghanistanveteranen persönlich. Zwei von ihnen sind Alkoholiker, der dritte macht eine stationäre Traumatherapie in einer Psychiatrie. Als ich ihn fragte, ob er Menschen getötet hat, schluckte er, nickte und kämpfte mit den Tränen. Krieg ist niemals gut, niemals gerecht, niemals richtig. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn die Mehrheit es vergessen haben sollte. Krieg bringt immer nur Zerstörung, Tod und Leid mit sich, wirkt höchstens aus der Ferne heroisch. Jeder Kriegstote ist einer zuviel, egal ob Soldat oder Zivilist. Traumatisiert sind beide Seiten: Die Soldaten, die töten und die Kriegsüberlebenden in der Zivilbevölkerung. Krieg zerstört Leben. Nachhaltig. Auch das der Überlebenden. Die deutschen Afghanistanveteranen sind gebrochene Persönlichkeiten. Das ist alles nichts Neues. Man schaue sich nur den amerikanischen Tom-Cruise-Film "Geboren am 4. Juli" an. Der thematisiert diesen Themenkomplex umfassend und erschütternd. Menschen zum Töten zu zwingen, ist ein Verbrechen. Demnach wird Deutschland von einer Verbrecherbande regiert. An den Händen der deutschen Bundesregierung klebt Blut. Deutschland hat seine Chance des reinen Gewissens verspielt. Ich sage es nochmals: Das ist eine geschichtliche Katastrophe!
 
Ich jedenfalls bekenne mich weiterhin zum Ideal des staatlichen Pazifismus und sage es stolz, mit geradem Rücken und klarem Blick: Jeder Krieg ist ein Verbrechen und gebiert nur Opfer. Und ich würde mir wünschen, dass jeder, der genauso denkt, das ebenfalls artikuliert. Bis die herrschende Kaste vielleicht irgendwann erkennt, dass es so nicht weiter geht.
 
 
© by Patrick Rabe
 
Do, 28. Mai 2015, Hamburg
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.05.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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