Ewald Frankenberg

Die Freuden des alten Mannes

Was ihm in seiner Jugend nie passiert wäre, da wäre er allenfalls um die Zeit nach Haus gekommen,
er ist schon vor Sieben im Garten, weil er Angst hat, er könnte der starken Mittagssonne nicht mehr
gewachsen sein.

Er besteigt seinen Feldherrenhügel, den ihm seine Vermieterin aus Abwasserentsorgungsgründen
in die Einfahrt gebaut hat und schaut sich zufrieden sein Reich an.

Ein noch jugendlicher Hase kommt die Einfahrt heraufgehoppelt, stoppt kurz vor der Anhöhe um sich
dann doch noch weiterzu nähern. Seinen ersten Impuls, den Ruf nach seiner Frau und ihrer Kamera
unterdrückt er, wäre das Tier doch gleich verschreckt abgedreht.

So kommt es näher, einen Meter vor ihm bleibt es stehen, mümmelt mit dem Näschen, schaut sich um,
wo es etwas zu knabbern gibt. Die schon abgekauten Dahlien findet es nicht mehr interessant, sonst
wäre jetzt ein Warnruf vom Mann gekommen. Aber dem Tier ist auch der einmeterneunzig Baum mit
dem Doppelstamm, der gestern noch nicht da stand, suspekt und es wendet sich zur Gegenrichtung.
Schade.

Die Grundstücksgrenze ist klar erkennbar, dort wo die gräser- und blumenreiche Obstbaumwiese abrupt
in einen Wimbledonrasen übergeht. Es ist keine Faulheit sondern sein ihm eigenes Ästhetikgefühl, das
vieles um ihn herum wuchern lässt. Trotzdem muss er sich oft selbst disziplinieren mit dem Hinweis, ist
doch egal, was die Nachbarn denken.

Und natürlich hat er auch seinen kleinen Rasen, auf dem Tisch und Gartenstühle stehen, und ein Grill.
Bei seinem Vater könnte er damit nicht punkten, weil die Gänseblümchen, die der immer mit dem Hinweis,
das ist Unkraut, das muss weg, aussticht hier am nächsten Tag schon wieder die Köpfchen recken.

Und er mag die Farben blühender Blumen, so dass er sich doch auf ein Duell mit der Natur einlässt und
ihr hier und da kleine Beete abtrotzt. Die Schneeglöckchen, die nach der Schmelze noch einmal seine Wiese
weißen sind nicht sein Werk, die Krokusse, Osterglocken und Tulpen im Frühjahr schon. Akelei und Mohn
waren immer schon da, aber durch Sammeln und großzügige Aussaat des Samens sorgt er für dauernde
Vermehrung.

Ebenso verfährt er mit dem Fingerhut, den er um so schöner findet, je kräftiger die Farben und je grober die Innenzeichnungen der Blüten sind. Dieses Jahr freut er sich nicht nur über besonders viele, sondern auch
über Prachtexemplare, die zweieinhalb Meter hoch sind und auf halber Höhe kronenleuchtermäßig vier
Blüharme abzweigen.

Pfingstrosen, Klematis, Rittersporn und wie sie alle heißen pflegt er vielleicht zu wenig, dafür sind
Kirschlorbeer, der sich hemmungslos auswuchert und der Efeu, der das Fallrohr der Regenrinne
engquetscht, alte Bekannte seiner Astschere.

An den Rosen kann er sich nur erfreuen, wenn die Rehe, die er nicht verscheuchen mag, weil ihn ihr Anblick
nach all den Jahren hier immer noch erfreut, ihm etwas überlassen.

Im Gegenzug durfte er dafür schon einmal, welch ein Erlebnis, über ein Rehkitz stolpern, das sich auf
seiner Wiese ins Gras drückte, sich regungslos ablichten und begutachten ließ, bis Abends die Mama
zurückkam, es abzuholen. Ein Fuchs, der am helllichten Tag seine Wiese kreuzte und sein Blechhuhn
attackierte verschaffte ihm ähnliche Aufregung.

Heute, Samstag, wolkenlose fünfunddreißig Grad, da hält er es nicht mehr aus auf seinem, ab zehn
Uhr schattenlosen Rasen. Mit der Frage im Kopf, wie seine Mitmenschen diesen Zustand als schönes Wetter
bezeichnen können, drängt es ihn in den Schuppen, Rasenmäher auftanken und wenigstens den Teil der
Wiese kurz mähen, der über den Großteil des Tages Schatten verspricht.

Der umgebenden Geräuschkulisse nach zu urteilen bewegt er sich in ebenbürtiger Gesellschaft. Die
übliche Samstagsarbeit halt für Familienväter und Rentner. Nicht darüber nachdenken. Was unterscheidet
ihn. Er holt sich beim Mähen zusätzliche Adrenalinstöße indem er den verstopfenden Grasklumpen mit
bloßen Händen bei laufendem Motor aus dem Auswurf entfernt. Man muss das Leben spannend halten.

Und heute Abend hat er live Rock´n Roll mit Basement Apes und Hi! Spencer, allerdings ohne Drugs,
was wieder dem Alter geschuldet, weil ein wegen Kater verlorener Sonntag ein verlorener Tag vom
Rest des Lebens ist.

Meine Güte, bin das wirklich ich über den er da schreibt.

                                                                                                                                © Ewald Frankenberg

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