Wolfgang Stoeßer

Der Frührentner

Es war ein Tag wie jeder andere; 4 Uhr morgens aufstehen, Kaffee kochen, dann ab zur Arbeit. 5 Uhr Stempeln, den Lkw vom Parkplatz holen, mit frischem Gemüse und Lebensmittel beladen. Die erste Tour geht zum Otto Mess in Soest.
Eine Stunde hin, eine zum Ausladen, eine zurück, schon ist die halbe Schicht um.
Wenn die nächste Fahrt hier nach Bochum zum Penny Markt auch so gut klappt, dann habe ich heute bestimmt auch früh Feierabend.

Um 2 Uhr mittags stellte ich den Lkw wieder in der brütenden Sonne auf den Parkplatz ab.
Jetzt erst spürte ich erst richtig die durchgeschwitzten Sachen, und freute mich schon auf die kühle Dusche und den Liegestuhl
auf der Wiese vor dem Haus.
Über 20 Jahre immer der gleiche Rhythmus, Lkw abstellen, Tachoscheibe rausnehmen, Arbeitszeit durchs Stempeln beenden....aber ....nur nicht heute....

Auf halben weg zur Stempeluhr schrillte mein Feuerwehr-Funkmelder:
"Einsatz für den Löschzug 5, Wohnungsbrand, Menschen in Lebensgefahr."
Vergessen war auf einmal die Müdigkeit und die schweiß durchtränkten Sachen, vergessen war das Stempeln gehen....
Jetzt ging es nur noch im Laufschritt, am Pförtner vorbei, der nur noch mit dem Kopf schüttelte, Richtung Auto.
Beim öffnen der Wagentür empfing mich eine brütende Hitze, Fenster aufmachen und durchstarten war eins.
Die erste zwei Ampeln waren natürlich Rot, wie immer wenn man es Eilig hat.
Da die Kreuzungen übersichtlich und frei waren fuhr ich mit eingeschalteter Warnblinkanlage vorsichtig drüber.
Vor mir lagen noch ganze 4 km bis zum Gerätehaus, und das über eine viel befahrene Bundesstraße.
Jede Sekunde wird dann zur endlosen Minute.
Ein Pkw-Fahrer zeigte mir sogar den Stinke -Finger weil ich ihn mit 70 überholte, wo nur 50 erlaubt war.

Endlich am Gerätehaus angekommen, hatten Jürgen, Klaus und Bernd bereits die Türen für das schwere Tanklöschfahrzeug aufgemacht,
und freuten sich, dass sie jetzt auch einen Fahrer dafür hatten.
Wir waren kaum aus der Garage als sich Brandmeister Jürgen sich über Funk meldete, um nach der genauen Einsatzstelle zu fragen.
Bei eingeschaltetem Blaulicht und Horn machte die Bundesstraße und die Ampeln überhaupt keine Probleme mehr.
Man hatte das Gefühl, das starke Lufthorn würde die vielen Autos regelrecht von der Straße pusten.
Von weitem sahen wir schon die großen Rauchwolken, dann auch die Flammen die aus dem Fenster im ersten Obergeschoss kamen.
Die Berufsfeuerwehr von der Hauptwache war natürlich mit dem ersten Löschzug eingetroffen und hatte mit der Rettung
von Personen begonnen, die vom Rauch und Feuer eingeschlossen waren.
Bernd, der noch keine Ausbildung für das Atemschutzgerät hatte, bekam den Auftrag, die Wasserversorgung vom Hydranten
zum Löschfahrzeug zu verlegen.
Brandmeister Jürgen, Klaus und ich rüsteten uns aus für den schweren Atemschutz.
Jeder Feuerwehrmann muss eine Grundausbildung und Lehrgänge besuchen, damit er überall eingesetzt werden kann.
Langsam tasteten wir uns durch das verqualmte Treppenhaus nach oben.
Im Wohnzimmer fanden wir das Ende vom Schlauch, den der erste Atemschutztrupp hier abgelegt hatte,
da Menschenrettung vor den Löschmaßnahmen vorgehen.
Auch über die Drehleiter wurde jetzt von Außen gelöscht. Klaus freute sich jedes mal wenn er wieder ein Glutnest mit dem Sprühstrahl
zum Erlöschen brachte. Jürgen versuchte mit dem starken Scheinwerfer den dichten Rauch zu durchdringen, was aber nach höchstens
einem halben Meter im schwarzen Nichts endete.
Da.... irgend ein sonderbares Geräusch....
Ich konzentrierte mich im Moment nur noch auf das Hören. Da.... war es wieder....es musste von rechts kommen.
Jetzt wurde ich aber neugierig, und tastete mich langsam vorwärts.
Ich spürte einen Türrahmen, blieb einen Moment stehen um wieder einmal zu lauschen.
Hier im Türamen konnte man sich eigentlich immer sicherer fühlen, denn in den Altbauten muss man immer mit herunterfallenden Holzbalken, oder mit durchgebrannten Holzfußböden rechnen.
Außerdem hat man so einen gewissen Anhaltspunkt wo man sich gerade befindet.
Ob meine Kollegen bereits gemerkt hatt en,dass ich nicht mehr bei Ihnen bin? Ob die mich schon suchen?
Es ist auf keinen Fall erlaubt, sich von der Gruppe zu trennen. Doch nun musste ich weiter um die merkwürdigen Geräusche erkunden. Langsam taste ich mich weiter vor, mit Händen und Füßen tastend. Es war, als spiele man mit zugebundenen Augen blinde Kuh.
Mit dem Knie stieß ich gegen einen Holzrahmen, trotzdem ich mich langsam vorbewegte, tat es doch noch ganz schön weh.
Tastend stellte ich fest, dass es sich hier um ein Kinderbett handeln müsste.
Da... war das Geräusch wieder... direkt vor mir. Ich ließ mich auf alle viere runter und tastete den Boden ab.
Da lag es ein kleines Kind, vielleicht ein oder zwei Jahre alt.
Es muss aus dem Bettchen gerollt sein , und lag mit dem Gesicht nach unten auf der Erde, was ihm wohl das Leben gerettet hatte.
Damit hatte ich nicht gerechnet.
Panik kam bei mir auf, nervös kontrollierte ich den Luftvorrat in den beiden Sauerstoffflaschen. Ich hatte bereits über die Hälfte verbraucht, und musste zügig den Rückweg antreten.
Ich spürte wie mir die Knie zu zitternden. Wo musste ich jetzt hin? Ich muss doch jetzt auf dem schnellsten weg hier wieder raus.
Das Kind dicht übern Boden haltend tastete ich mich jetzt mit einer Hand vorwärts. Jetzt bloß nicht im Kreis herum laufen,
denn jetzt kommt es wieder auf jede Sekunde an. Hätte ich jetzt eine Hand frei gehabt, ich hätte mir selber auf die Schulter geklopft,
denn ich hatte den Türamen wieder erreicht.
Dann tauchten aus dem Dunkel die zwei leuchtende Helme meiner Kollegen vor mir auf.
Trotz mangelndem Sauerstoff und Maske hatte ich es vorgezogen, laut um Hilfe zu schreien. Dadurch konnten die Kollegen mich schneller wie finden, sie hatten mich schon lange gesucht.
An der Sicherungsleine entlang konnten wir schnell wieder den Weg durch das Treppenhaus nach draußen finden.
Das Kind hatte bereits das Bewusstsein verloren und wurde vom Rettungsdienst sofort ärztlich versorgt.
Ich hatte gerade das Atemschutzgerät abgelegt, als mich jemand auf die Schulter klopfte. Natürlich hatte ich jetzt vom Brandmeister eine saftige Beschimpfung erwartet - stattdessen schaute ich in ein wunderschönes Gesicht, mit rotbraunen langen Haaren und so leuchtenden liebe Augen.
Ihr roter ungeschminkter Mund zuckte ein wenig, als sie mir zärtlich zuflüsterte ;" Wolfi, es wird Zeit, willst Du heute nicht aufstehen?"
Schlürfend trank ich meine Tasse Kaffee, ließ meinen Kopf wieder aufs Kopfkissen fallen, schaute durchs Fenster dem sonnigem Tag entgegen.
Den Lkw Schlüssel und die Einsatz Uniform hatte ich bereits vor einigen Monaten abgeben müssen.
Im Traum wahr ich immer noch ein Held - denn diese Geschichte ist wirklich passiert im Alltag spiele ich nun die erste Geige als Frührentner in meiner kleinen Familie.

© Wolfgang Stoeßer

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.05.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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