Marc Schmidt

Eier wie Rosinen

Sie strampelten seit gut zehn Minuten auf dem Ergometer. Cardio zum Aufwärmen. Gleich würden sie sich die Muskeln zerbersten, wie sie es selbst ausdrückten; für einen guten Pump sorgen. Bizeps, Trizeps, großer Deltamuskel, Schulter, Nacken und wo nicht sonst noch. Die ganzen lateinischen Fachbegriffe für all die Muskelgruppen können sie sich sowieso nicht richtig merken. Zu komplizierte Buchstabenfolge.
Ich arbeite als Personal Trainer in einem großen Fitnessstudio und kenne diese Art von Kunden. Sie meinen alles besser zu wissen, aber stolpern über Halbwissen und nehmen ironische Aussagen für bare Münze. Meine Ratschläge würden sie niemals annehmen. Viel zu eitel.
Die beiden strampelnden Vögel nennen sich Pasquale und Giorgio, heißen aber eigentlich Dennis und Christian – zwei Urdeutsche.
Weil ich gerade nichts Wichtiges zu tun hatte, gesellte ich mich zu ihnen und stellte mir ein leichtes Programm auf dem Laufband ein.
»Ich überlege übrigens meinen Trainingsplan umzustellen«, sagte Pasquale japsend.
»Jetzt ohne Scheiß?«, sagte Giorgio und trat schneller in die Pedale, als er merkte, dass sein Trainingspartner die Schlagzahl erhöht hatte.
»Ja, bin nicht zufrieden. Bau zu langsam auf.«
»No pain, no gain. Du musst mehr drücken«, sagte Giorgio.
»Was ich auch mache, die Gains bleiben aus«, sagte Pasquale und klang etwas verzweifelt.
»Weil deine Ernährung schlecht ist«, erwiderte Giorgio.
»Warum das denn jetzt?«
»Nur Shakes alleine helfen nicht, Bruder. Du musst auf deine Makros achten, brauchst auch ne Menge Carbs.«
»Kartoffeln und so?«
»Egal, Bruder: Reis, Nudeln, Kartoffeln.«
»Zieh ich mir heut Abend rein.«
»Kohlenhydrate? Abends? Spinnst du?«
»Haha, Spaß, Bruder«, sagte Pasquale und blickte mich panisch an, als hätte ich ihn bei irgendwas ertappt.
Ich grinste zurück und nickte ihm zu.
Fast zeitgleich piepsten ihre Geräte und sie stiegen schweratmend von den Ergometern.
»Ich bin grad Kreatin am Testen, weißt du. Hab aber voll die Blähungen!«, sagte Pasquale.
»Boah, wie ekelhaft. Aber Bruder, weißt du was hilft? Du musst mindestens vier Liter Wasser am Tag trinken. Mindestens«, sagte Giorgio.
»Echt? Wusste ich nicht...«
»Bruder, du musst mehr in Foren lesen. Dich mal endlich weiterbilden.«
»Lesen?«, fragte Pasquale.
»Ja oder YouTube.«
»Läuft, Bruder. Guck ich nachher aufm Handy.«
Sie gingen zum Freihantelbereich und ich folgte ihnen – nachdem ich die Griffe ihrer Geräte mit Desinfektionsmittel abgewischt hatte.
Als ich zu ihnen stieß, waren sie erneut in einen beinahe philosophischen Diskurs vertieft.
»Was hältst du von nem 5er-Split?«, fragte Pasquale schwer atmend und stemmte die Zwanziger Hantel in die Höhe. Er machte gerade Bizeps-Curls.
»Bullshit! In der neuen Mens Health gabs so ne Anzeige. Da stellt dir ein Fitnesscoach einen auf dich zugeschnittenen Plan zusammen«, sagte Giorgio.
»Sowas gibt’s?«, fragte Pasquale.
»Natürlich.«
»Kostest das was?«
»Natürlich.«
»Ist dir das dein Körper nicht wert?«, fragte Giorgio und klang vorwurfsvoll.
Pasquale ließ die Hantel zu Boden fallen und sagte kleinlaut: »Hast ja recht«
Ich beendete ebenfalls meinen Satz und griff zur Trinkflasche.
Eine etwas beleibtere Frau schritt an uns vorbei und ging gemütlich zu den Steppern hinüber. Die beiden Prachtkerle kicherten leise.
»Mir sind all die Menschen ein Rätsel, die Fast-Food und so einen Scheiß essen«, sagte Giorgio leicht angewidert. »Ehrlich mal.«
»Ja. Ekelhaft«, sagte Pasquale zustimmend.
»Hähnchen und Reis. Beste!«, sagte Giorgio.
»Ja, Mann! Beste!«
»Und Brokkoli dazu«, sagte Pasquale vorsichtig.
»Auf jeden Fall. Du brauchst die Greens. Die Mikronährstoffe sind fast noch wichtiger«, sagte Giorgio und es klang als hätte er diesen Satz irgendwo unter einem Instagram-Profil gelesen und auswendig gelernt.
Giorgio begann seinen Satz und machte die Übung zwar nicht komplett falsch, aber auch nicht wirklich effektiv. Ich verzichtete auf einen Kommentar.
»Ich kenn einen, der hat ne Bananendiät gemacht«, sagte Giorgio als er mit der Übung fertig war.
»Wie sieht die aus?«
»Na, der hat den ganzen Tag nur Bananen gefressen. Ekelhaft, sag ich dir.«
»Das geht doch nicht...«
»Geht alles. Hat die mit so ner Maschine zu ner Creme verarbeitet. So ner Art Eis. Oder in Shakes. Oder in Quark.«
»Also doch nicht nur Bananen...«
»Naja, wirst ja verrückt ansonsten...«, sagte Giorgio. »Auf jeden Fall-«, er lachte »der hat gelbe Klötze gekackt! Ultra die Verstopfung.«
»Mann. Jeder weiß doch, dass man genug Ballaststoffe zu sich nehmen muss!«, sagte Pasquale und sah aus als wäre er stolz, endlich mal mit etwas Wissen glänzen zu können.
»Die Menschen wissen doch gar nichts über Ernährung. Allein wo überall Zucker drin ist!«, sagte Giorgio und klang aufgebracht.
»Lebensmittelindustrie! Voll die Mafia!«, sagte Pasquale begeistert.
»Und...«, Pasquale tastete sich langsam hervor, »spritzen?«
»Spinnst du? Willst du Eier wie Rosinen haben?«
»Natürlich nicht...«
»100% Clean, Bruder. Natural - voll normal«, sagte Giorgio.
»Ja schon, ey. Die anderen sind voll die Testo-Opfer. So ultra verzweifelt.«
»Hier wird nix gespritzt.«
Beide lachten und spannten ihren Bizeps an, posten vor dem Spiegel.
»Aber wo wir bei spritzen sind, guck mal da hinten«, sagte Pasquale mit leicht erhöhter Stimmlage und zeigte in den hinteren Teil des Studios.
Giorgio und ich blickten uns um.
»Ah, ich versteh, Bruder«, sagte Giorgio und lachte dreckig.
Die beiden hatten Sandy entdeckt, eine Kundin von mir, die weiß, wie sie ihre Übungen sauber ausführt und außerdem einen Top-Ernährungsplan hat, an den sie sich strikt hält. Sie machte gerade Squats und präsentierte dabei jedem der es sehen wollte ihren perfekt geformten Hintern. Wettkampffigur. Klarer Blickfang.
Pasquale und Giorgio stießen sich gegenseitig in die Rippen und pumpten ihre Brust auf.
Pasquale pfiff mehrmals, aber Sandy stemmte unbeirrt die vollbepackte Langhantel nach oben. Gerade ging sie in die Hocke und mit Schwung wieder nach oben. Gerader Rücken. Saubere Ausführung.

Ich hatte genug von den beiden Witzbolden und ging zurück in den Eingangsbereich, um mich ein wenig um die Bücher zu kümmern und ein paar Verträge einzusortieren.
Kurz darauf kam Sandy vorbei, grüßte mich und gab mir zwei Küsschen auf die Wange. Wir unterhielten uns kurz über ihren aktuellen Trainingsplan und gerieten danach schnell ins Plaudern. Auch die beiden Clowns Pasquale und Giorgio bekamen ein paar Worte ab – natürlich hatte Sandy das Gebaren der beiden Affen bemerkt. Die zwei waren mittlerweile mit ihrem Training fertig und bestimmt längst in die Umkleide gesprintet, um sich gleich einen Shake reinzuföhnen, damit ja die Gains gesaved werden. Lächerlich.
Da fiel mir ein, dass ich mal wieder einen kleinen Rundgang machen könnte. Ich verabschiedete mich von Sandy und ging durch das Studio.
Es war Vormittag und relativ wenig los, nichts Außergewöhnliches. Als ich die Männerumkleide betrat, bekam ich einen mittelgroßen Schrecken.
Vor mir stand der entkleidete Giorgio, muskelbepackt und schön definiert, muss ich schon zugeben. Aber etwas störte mich an seinem Anblick.
»Ey!«, sagte Giorgio. »Ey, Bruder. Es ist nicht so, wie du denkst.«
Doch die Spritze, die er sich gerade in die rechte Arschbacke gerammt hatte sprach eine andere Sprache.
Natural-Bodybuilder? Am Arsch, Bruder. Am Arsch.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.07.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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