Martina Wiemers

Vom neugierigem Lieschen und dem wackelndem Löwenzahn

Heute, kurz vor den Sommerferien, treffen sich alle Schüler der 1b zum Abschluss der Projektwoche mit ihrer Klassenlehrerin Fräulein Meier am Zoo.  Lieschen wartet schon seit einer halben Stunde auf ihren Freund Fabian. Sie  sitzt in der Küche wippt ungeduldig mit den Füßen und kippelt mit dem Stuhl  hin und her. „Lisa, nun sitz doch mal still“ sagt ihre Mutter ärgerlich.
 
„Wenn Mutti Lisa zu mir sagt, dann ist sie meistens sauer auf mich“, denkt Lieschen und versucht langsamer zu essen, ordentlich  ihren Kakao zu trinken und nicht mit der Marmelade das Tischtuch zu bekleckern.
 
Als Fabian endlich klingelt, ihre Mutti die Schlüssel  vom Haken nimmt und die Haustür abschließt, fragt Lieschen beim verlassen der Wohnung:„Darf man im Zoo eigentlich Tiere streicheln oder vielleicht sogar einen kleinen Löwen  füttern?“„Ganz bestimmt nicht, denn Bären und Elefanten bekommen davon Bauchschmerzen, den Affen fallen die Haare aus und bei den Löwenbabys fangen die Zähne an zu wackeln. Außerdem ist es nicht ungefährlich den Raubtieren ganz nah zu kommen“, antwortet zerstreut ihre Mutti.
 
Als die beiden Fräulein Meier und die anderen aus ihrer Klasse am Eingang des Zoos sehen, möchten sie am liebsten sofort aus dem Auto springen. Schnell gibt Lieschen  ihrer Mutti beim Abschied einen Kuss, steckt Brotdose und Trinkflasche in den Rucksack und winkt ihr kurz hinterher.
 
Die Stunden im Zoo vergehen Lieschen und Fabian wie im Flug. Schon von weitem hören sie die Elefanten trompeten, sehen die Braunbären faul  in der Sonne liegen und bleiben deshalb lieber bei den possierlichen Pinguinen ein Weilchen stehen. Als sie am Affenkäfig vorbeigehen schneidet Fabian ein paar fürchterliche Grimassen. Die Affendame Amada guckt ihn nur komisch an, dreht sich dann um und zeigt ihm einfach ihr rotes Hinterteil. Im Schlangenhaus und bei den Eidechsen gruseln sich alle Kinder ein bisschen, doch die roten Flamingos mit ihren langen Beinen draußen am See sind sehr schön.
 
Kurz vor dem Löwenkäfig mahnt Fräulein Meier die Raubtiere nicht zu erschrecken und Arme und Beine nicht durch die Gitter zu stecken.
Badawe, der Oberlöwe, begrüßt sie mit so lautem Gebrüll, dass sich Lieschen und einige andere Mädchen schnell die Ohren zu halten. „Der hat aber ein großes Maul und vorne links, den schwarzen abgebrochenen Eckzahn hat er wohl nicht richtig geputzt“, fragt Fabian erstaunt den Tierpfleger im blauen Overall. Der schiebt gerade zum Füttern ein Stück Fleisch mit einer langen Stange durch das Gitter. Badawe stürzt sich zwar ganz gierig darauf,
doch bleibt dann nur traurig davor sitzen.
„Da kannst Du recht haben“ sagt der Tierpfleger, denn Badawe hat morgen, wegen seines  schmerzenden Wackelzahns, einen Termin beim Tierarzt Dr. Lambrecht.
„Das ist doch sicher sehr gefährlich. Hat denn Dr. Lambrecht keine Angst das Badawe ihn auffrisst. Zieht er statt seinem weißen Kittel zum Schutz eine Ritterrüstung an, steckt er beim Bohren seinen Kopf ohne Helm ins Löwenmaul und was geschieht hinterher eigentlich mit dem Wackelzahn“, fragt  Lieschen und zappelt vor Aufregung schon wieder mit den Beinen.
Der Tierpfleger schmunzelt und überlegt kurz bevor er antwortet:
„Nein eine Rüstung hat Dr. Lambrecht nicht, aber ein Gewehr. Damit schießt er Badawe eine Betäubungsspitze in den Hintern, die ihn 20 Minuten völlig bewegungslos macht. In dieser Zeit kann  der Doktor das Gebiss untersuchen und mit der allergrößten Zange den Zahn, wenn es nötig ist, rausziehen. Den untersucht er dann in seinem Labor ob falsche Ernährung am Wackeln des Zahnes Schuld war oder, wie bei uns Menschen, nur das Alter.
Alle schauen mucksmäuschenstill beim Füttern zu. Als der Tierpfleger  fertig ist, sammelt er auf der Wiese neben den Käfig für alle Kinder und auch für Fräulein Meier zur Erinnerung an diesen interessanten Zoobesuch ein paar gelbe Löwenzahnblüten.
 
Fabian und Lieschen tuscheln miteinander, bücken sich und pflücken für den netten Tierpfleger die zwei Pusteblumen, die zwischen den Ritzen des Löwenkäfigs nach draußen wachsen ab. „Zum Verpusten, wenn sie mal außer Puste sind“, rufen beide lachend und rennen mit den anderen Kindern der 1b zum Ausgang. Dort warten schon die Omas, Opas, Vatis und Muttis.
 
Bevor Lieschen zu Fabian ins Auto klettert, dreht sie sich noch mal um und stellt erstaunt fest, dass Fräulein Meier immer noch neben dem netten  Tierpfleger am Löwenkäfig steht und sieht auch wie beide ganz vorsichtig die Pusteblumen verpusten.
Lieschen fängt leise an zu kichern, stupst Fabian mit dem Zeigefinger in die Rippen und malt schnell ein Herzchen mit Pfeil an die beschlagene Autoscheibe.
 
Beim Abendbrot  erzählt Lieschen ihrer Mutti von Amanda der Affendame, von Badawe mit dem wackelndem Zahn  und von den vielen anderen Tieren im Zoo. „Wenn ich groß bin werde ich Tierärztin“ ruft sie laut und kippelt vor Aufregung schon wieder mit dem Stuhl.
„Lisa, nun sitz doch mal still“, sagt ihre Mutti und fügt dann lächelnd hinzu: „Wenn Du fertig bist mit essen, wasch dir Gesicht und Hände und vergiss auch das Zähneputzen diesmal nicht .“
 
Als Lieschen endlich im Bett liegt, fällt ihr ein, dass sie beim nächsten Zoobesuch mit Fräulein Meier, den netten Tierpfleger unbedingt fragen muss, ob denn Giraffenkinder auch den Hals waschen müssen und ob Dr. Lambrecht  ihnen bei Halsweh einen langen Schal umbindet
   

 
                                           © Martina Wiemers
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.07.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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