Horst Werner Bracker

. . . eines Landstreichers Not

Der Tag war noch jung. Die grauen Regenwolken rissen auseinander, das erste Himmelsblau war zusehen und ließ auf einen schönen Herbsttag hoffen. Mein Weg führte mich zum Wochenmarkt. Auf den Markt herrschte schon reger Publikumsverkehr.
Am Bäckerstand, viel mir ein älterer Mann auf, der hier im Ort irgendwie nicht hingehörte. Seine Kleidung war vom langen Gebrauch unansehnlich und zerschlissen. Auf dem Kopfe trug er einen Strohhut, der mit einer Habichtsfeder geschmückt war. Die Krempe des Hutes war arg ausgefranst und hing schlaff herunter. Er wirkte ungepflegt und war unrasiert. In der Rechten trug er einen selbst geschnittenen Stecken. Auf den knochigen Rücken einen schlaffen Rucksack, der leer schien.
Offensichtlich,- ein Landstreicher.
Die Augen des Mannes waren auf die herrlichen Brote des Bäckers gerichtet, die mit braunen, glänzenden Krusten, in Reih und Glied in den Regalen lagen. Er konnte die Augen nicht abwenden. Immerzu starrte er auf die Brote. Sein Mund begann, wie unter einem inneren Zwang, zu kauen. Er bewegte den Unterkiefer auf und ab. Wenn er schluckte, hüpfte sein großer Adamsapfel auf und ab. Es war das Verhalten eines Menschen, der sich in großer Not befand. Ein unsäglicher Hunger quälte seine Eingeweide. Die Verkäuferinnen jedoch würdigten den Mann keines Blickes. Niemand fragte nach seinen Wünschen. Sie schauten an ihm vorbei,- als sei er gar nicht anwesend. Ich glaubte ein verächtliches Lächeln um die Münder der Verkäuferinnen erkenne zu können. Nach einer geraumen Zeit wendete sich der Mann ab und ging mit langsamen Schritten über den Marktplatz zu einer Gruppe von Bänken, die unter einer mächtigen Linde standen.
Er setzte sich.
Nahm den Rucksack vom Rücken, legte ihn auf die Bank. Dann lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Hunger und mangelnder Schlaf hatten ihn müde gemacht. Der Mangel an Kohlehydraten,- taten ihr Übriges, sie hatten seinen Körper geschwächt.
Ein Marktaufseher blieb stehen und schaut zu dem Mann hinüber. Ich stoppte seinen Eifer und bat ihn, den Mann nicht zu stören! Ich würde mich um ihn kümmern.
Ich ging zum Bäcker zurück und kaufte ein herrliches Brot und vom Schlachter eine Mettwurst. Legte beides behutsam in den Schoß des Landstreichers. Setzte mich, etwas zur Seite gedreht, am anderen Ende der gleichen Bank. Der Mann hatte nichts bemerkt. Ruhig ging sein Atem.
Zwei ältere Frauen gingen dicht an der Bank vorüber. Eine der beiden Frauen, eine grobschlächtige Matrone, blieb stehen, zeigte mit dem Finger zur Bank und lachte lauthals über dem Mann, der da mit einem Brot und einer Wurst auf dem Schoss, schlafend auf der Bank saß.
Ihr unverhältnismäßiges lautes Gelächter weckte den Schläfer.
Was nun geschah, rührte mein Herz und trieb mir Tränen in den Augen.
Der von Hunger gepeinigte, öffnete die Augen und starrte auf den herrlichen Brotlaib und die Mettwurst. Er schlug beide Hände vors Gesicht und lachte und weinte bitterlich. Ich konnte meine Emotionen nicht zügeln und weinte mit.
Nach einer kurzen Weile ließ er die Hände sinken,- und der Brotlaib und die Wurst lagen real auf seinen Schoß. Es war keine »Imagination«,- sondern »Realität«! Diese positive Wendung löste ein geradezu mechanisches, lautes Lachen in ihm aus. Er nahm den Brotlaib in die Rechte und drückte ihn an seiner Brust und Wange, so, als handelte es sich um ein lebendiges Wesen, dass er herzte. Schließlich legte er die Wurst dazu und verharrte in dieser Stellung, minutenlang. Er war wohl der glücklichste Mensch im ganzen Ort!
Ich erhob mich und ging still davon.
Guten Appetit mein Freund!
 ---
 Wie ahnungsvoll ist des Wandrers Blick.
 Hunger, Schmerzen quält das kranke Herz.
 Das letzte Blatt am kahlen Baum,
 Pflückt mit kalter Hand, - der Herbst!
 (01.08.2015)

 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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