Peter Spiegelbauer

Das Finale

26.Mai.1999


Die drückende Schwüle kann man förmlich greifen, als ich endlich das Kurzinterview beenden kann, um zu meinen Jungs, in der Umkleide, zu kommen. Das Spiel erinnert bislang an eines meiner ersten Spiele, als ich noch für Queen’s Park auflief. Die Mannschaft hatte in der Vorsaison den Titel der zweiten schottischen Division geholt, und setzte die Erwartungen für die Folgesaison dementsprechend hoch an. Als ich also in der Folgesaison zum ersten Mal spielte, war der Druck zu groß. Man merkte es den Spielern an. Der Trainer versuchte es zu verbergen, doch jeder in dem kleinen Stadion wusste es damals. Er war verzweifelt gewesen, und wir versagten. Nicht nur er. Wir. Die Mannschaft. So viele Spiele musste ich miterleben, um zu verstehen, wie zerstörerisch Verzweiflung, für einen Trainer, wirklich sein kann. Ich gehe also auf die Türe zu. Im Geiste analysiere ich noch einmal die vergangenen Spielminuten.

6. Min, Bayerns Superstar Mario Basler zirkelt den Freistoß gefühlvoll an der Mauer vorbei. Schmeichel sieht den Ball viel zu spät und kann nicht mehr reagieren. 1:0 für Bayern München. Wie ein Schlag ins Gesicht. Cole versucht nach einer Viertelstunde, den Ball im Tor unterzubringen. Effenberg ist jedoch schneller und klärt. Nur wenige Augenblicke später, flankt Beckham, York verlängert mit dem Kopf und Oliver Kahn fischt den Ball aus dem Torwinkel. Den Rest der Halbzeit erhöht Bayern München den Druck und das Tempo, während meine Jungs immer mehr Raumgewinne zulassen. Bis zur Pause reicht jedoch die Gegenwehr und es bleibt beim 0:1. Immer wieder gehe ich noch einmal die Taktik von Ottmar Hitzfelds Manschaft durch, und entdecke nach wie vor nahezu keine Schwächen. Ausser eine. Aber die behalte ich mir vorerst im Hinterkopf. Erst muss ich nach den Spielern sehen.

Als ich eintrete herrscht betretenes Schweigen. Alle Blicke ruhen erwartungsvoll auf mir, während ich mir ein paar Sekunden Zeit nehme, um jedem Spieler noch einmal in die Augen zu sehen. Dann hebe ich die Stimme. Beginne ruhig und gelassen, referiere über die schlechte Ausgangsposition, bis ich schließlich mit aller Emotion noch einmal den Willen und Kampfgeist der Truppe motiviere. Schlussendlich sind alle Spieler wieder fokusiert. Ich spüre es. Sogar Teddy Sheringham und Andy Cole, die zwei unversöhnlichen Streithähne, scheint etwas zu verbinden. Jetzt. In diesem Moment. Als wir die Kabine verlassen, rufe ich mir die Tatsachen noch einmal kurz ins Gedächtnis. Manchester United gegen Bayern München. Championsleague Finale, und für beide Mannschaften geht es um alles.

Wir betreten den Rasen. Die Spieler aufs Feld, ich zur Trainerbank. Ich hoffe und bete, dass mein Gefühl was die Schwäche der Bayern betrifft, stimmt. Nach Anpfiff der zweiten Spielhälfte, scheint Bayern dort weiterzumachen, wo sie am Ende der ersten Halbzeit aufhörten. Effenberg sieht wegen einer unnötigen Attacke an Giggs die gelbe Karte. Das Spiel wird härter. Nach und nach wird klar, dass meine Jungs, Basler, Effenberg und Co. nicht mehr lange unter Kontrolle halten können. Die Torchancen für Bayern mehren sich. Ein Disaster steht bevor. Ich blicke zu den Ersatzspielern, die mittler Weile an der Seitenlinie aurwärmen. Mit einer kurzen Kopfbewegung bestelle ich Teddy Sheringham und Ole Gunnar Solskjaer zu mir. Kurz erwähne ich, dass Bayern dazu neigt, in den Schlussminuten nachlässig zu werden. Thomas Linke und Samuel Kuffuor sind in der Schlussphase technisch nicht mehr energisch genug. Scheint eine Fitnessschwäche im bayrischen Kader zu sein. Ich rate beiden Stürmern, auf den richtigen Moment zu warten, und immer in der Nähe der beiden bayrischen Verteidiger zu bleiben. Kurz darauf (Min. 67) wird Teddy eingewechselt. Nachdem Effenberg und Scholl weiterhin Chancen auslassen, auf 2:0 zu stellen, wechsel ich in Minute 81 auch Solskjaer ein. Eine Minute später köpft dieser fast zum Ausgleich, doch Kahn pariert. Die Minuten verstreichen, und ich fühle mich zunehmend wie gelähmt. Dann der Schock. Jancker mit Fallrückzieher, an die Querlatte. Mein Herz setzt für eine Sekunde aus. 88 Min. sind schon runtergespielt. Ich gebe die Hoffnung an den Sieg auf. Die ersten Fans verlassen bereits die Ränge. Dann springt der Eckstoß über Schmeichel, der in den bayrischen Sechzehner nach vorgekommen ist, fällt Giggs vor die Füße, Pass zu Sheringham, Tor. Ich kann es nicht glauben und schreie aus Leibeskräften. Es ist noch möglich. Die Euphorie umfängt mich und ich bekomme die ungläubigen Gesichter von Lothar Matthäus und seinen Kollegen gar nicht mehr mit. Als ich wieder einiger Maßen zu Atem gekommen bin, werde ich gerade noch Zeuge, wie ein weiterer Eckstoß von Teddy mit dem Kopf verlängert, und von Solskjaer mit einem halbharten Schuss aufs deutsche Tor gelenkt wird. Als der Ball die Torlinie überquert, bin ich gar nicht mehr da. Ich schwebe, fliege, gleite... pure Ekstase.
 

Liebe LeserInnen!

Dies ist mein Versuch, eines der größten Fussballereignisse der Geschichte, aus der Sicht des damaligen Trainiers Sir Alex Ferguson wiederzugeben. Ich hoffe, dass das Lesen genausoviel Spaß gemacht hat, wie das Schreiben.

liebe Grüße
Peter Spiegelbauer
Peter Spiegelbauer, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.08.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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