Helke Meierhofer-Fokken

Habe ich Pfoten, ein Fell...?

Langsam drängt sich das Wachwerden in meine Träume, eigentlich wie jeden Morgen. Der Schlaf wehrt sich und wird doch wachgerüttelt. Und wie jeden Morgen versuche ich, die Träume festzuhalten. Vergeblich. Sie lösen sich auf wie Nebel in der Sonne. Ich dehne mich, strecke mich, auch wie an jedem Morgen – und doch ist etwas anders. ICH fühle mich anders an, irgendwie geschrumpft. Erschrocken reisse ich die Augen auf, das heisst, ich will sie aufreissen, bekomme sie aber nur einen Spalt weit auf. Wider besseres Wissen versuche ich, den Schlaf aus den Augen zu reiben, - man bekommt damit noch mehr Fältchen in die empfindliche Haut um die Augen - , und habe graue Pfoten vor mir, Tierpfoten! Mit einem Schlag bin ich hellwach und schaue ungläubig an mir herunter: da liege ich, eine grau getigerte Katze auf einem völlig zerwühlten Laken! Ich träume wohl immer noch! Das muss ein Traum sein, ein Albtraum! Wieder fahre ich mit meinen Händen übers Gesicht. Ach, mein Gesicht ist pelzig, ich habe Barthaare, ich habe sogar ein Gefühl in diesen Barthaaren, sie schmerzen ein bisschen, weil ich zu fest mit den Händen drangestossen bin. Hände? Ich halte sie vor die Augen und wage zu blinzeln: es sind Pfoten, Katzenpfoten. Mir entfährt ein Schreckenslaut und der klingt nach empörtem Miauen.

Fieberhaft zermartere ich mein Hirn, wie ich diesen Alptraum abschütteln kann. Ich möchte aufwachen, wie jeden Morgen, ein bisschen zerknittert im Gesicht, weil sich die Kissenfalten abgedrückt haben, und mit völlig verstrubbelten Haaren. Mich verlangt nach meinem heissen Kaffee, der die Schlafreste vertreibt und mich zu mir kommen lässt. Ich lausche auf die Geräusche im Haus, warte auf die WC-Spülung, das Zeichen, das mein Mann aufgestanden ist. Es rührt und regt sich nichts.

Wie viel Uhr mag es sein? Vielleicht sollte ich einfach unter die Decke kriechen und versuchen, wieder einzuschlafen. Und wenn ich dann erwache, ist der böse Spuk vorbei. Vorsichtig und mit geschlossenen Augen tasten meine Pfoten nach der Decke, tasten an meinem Körper entlang. Sie stossen auf Fell und unbekannte Formen. Also das Fell, mein Fell fühlt sich eigentlich sehr weich an und kuschelig. In meinem ‚richtigen‘ Leben liebe ich Katzen, streichle sie gern und rede mit ihnen. Wenn sie sich schnurrend an meine Beine drücken, bin ich immer ganz hingerissen. Was tun Katzen, wenn sie schlafen wollen? Sie ringeln sich zusammen und legen den Kopf auf die Vorderpfoten, den Schwanz sorgfältig wie eine Zierde um die Flanken drapiert. Vielleicht sollte ich das mal jetzt versuchen. Es geht ganz leicht, ich staune, keine schmerzenden Gelenke wie sonst am Morgen. Ich liege überraschend bequem, ja ich fühle mich so wohl, dass ich ganz von selbst anfange zu schnurren. Bald schnurre ich wie ein Nähmaschinchen, seufze vor Wohlbehagen und überlasse meine Sinne wieder dem Schlaf.

Ich liege auf der Gartenmauer. Die Sonne scheint auf mein Fell, so wohlig warm. Meine Schwanzspitze zuckt träge hin und her. Hat sie es doch endlich geschafft die Sonne! Es ist tatsächlich Frühling geworden. Ich höre den Vögeln zu. Um diese Zeit tun sie immer wie verrückt, diese Biester. Sie reizen mich. Manchmal schleiche ich mich an sie heran so nahe es geht. Ich bin geduldig im Lauern. Und dann mache ich plötzlich einen Satz – und meistens entwischen sie doch. Dann tue ich so, als ob nichts geschehen wäre und sie mich überhaupt nicht interessieren.
Irgendwie wird es jetzt kühler. Entweder haben sich Wolken vor die Sonne geschoben oder jemand macht mir Schatten. Schläfrig blinzle ich, halte Ausschau nach der Störung. Herr im Himmel, wo bin ich überhaupt? In einem fremden Bett mit zerwühlten Laken. Jemand hat die Decke weggezogen. Jetzt ist mir kalt. Ich will weiterschlafen, weiterträumen, von der Sonne und den Vögeln und…

„Na, du Langschläferin, willst du heute gar nicht wachwerden? Ich setz schon mal den Kaffee auf.“ Wie aus weiter Ferne dringt eine Stimme zu mir vor, zerreisst die letzten Traumfetzen. Es war ein fürchterlicher Traum. Ich träumte, ich sei ein Mensch!
Ich gähne herzhaft und springe dann mit einem eleganten Satz auf den Bettvorleger. Ich strecke meine Vorderbeine aus, dann die Hinterbeine, fahre die Krallen genüsslich ein und aus und husche dann lautlos in die Küche, wo schon mein gefüllter Napf bereit steht.

Helke Meierhofer-Fokken

Dieser Text enstand in einer Schreibwerkstatt. Aufgabe war, einen Text zu schreiben, in dem jemand – analog der Erzählung von Franz Kafka „Die Verwandlung“ – als Tier aufwacht. Dieser ‚Jemand‘ kann ICH sein oder eine neutrale Person. Das Herausfallen aus dem Alltag, die Verwandlung in ein anderes Wesen ist ein mythisches Thema, das auch in Märchen und Sagen auftaucht. Zwei andere Teilnemerinnen entschieden sich ebenfalls für eine Katze, desweiteren gab es einen Igel, einen Pirol und ein 'Glücks-Chäferli' (Marienkäfer).

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Helke Meierhofer-Fokken).
Der Beitrag wurde von Helke Meierhofer-Fokken auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.08.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Helke Meierhofer-Fokken als Lieblingsautorin markieren

Buch von Helke Meierhofer-Fokken:

cover

Vor der Zeit im blauen Kleid. Wege aus dem Labyrinth der Erinnerungen von Helke Meierhofer-Fokken



Im Rückblick entrollt die sensible Ich-Erzählerin ihren Erinnerungsteppich und beleuchtet die Staitonen ihres Lebens schlaglichtartig, so dass die einzelnen Bilder immer schärfer hervortreten und sich schliesslich zu einem einzigartigen Patchworkgebilde verbinden.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Phantastische Prosa" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Helke Meierhofer-Fokken

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

17,77 Euro von Helke Meierhofer-Fokken (Absurd)
Hier etwas zum Schmunzeln...oder..hahaha von Rüdiger Nazar (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen