Germaine Adelt

Jeden Tag wieder

    Sie hatte nicht gehört, wie er in ihr Zimmer gekommen war. Erst als sie seinen Atem spürte bemerkte sie seine Anwesenheit. Sie stellte sich schlafend, in der Hoffnung, dem was nun folgte zu entgehen. Doch dann spürte sie wie sich seine Hand unter ihrer Bettdecke an ihrem Nachthemd entlang tastete. Vorsichtig öffnete sie für einen kurzen Moment die Augen. Es war schon ein wenig hell draußen. Vermutlich war es sehr früh am Morgen. Für ihn sehr ungewöhnlich, kam er sonst immer nachts. Seine Hand hatte den Saum des Nachthemds erreicht und schob sich nun unaufhaltsam unter ihren Slip. Angewidert drehte sie sich zur Seite und schob ihn wie zufällig weg.

„Nanu, Prinzessin“, raunte er beleidigt, „so abweisend?“

Seine Hand war wieder da, jetzt unter dem Slip. Grob und entschlossen wie immer. Ohne ihn anzusehen, packte sie sein Handgelenk um es festzuhalten. Woher sie den Mut nahm, sich zu widersetzen, wusste sie auch nicht und im selben Moment bereute sie es. Er drückte sie mit seinem schweren Körper auf die Unterlage, dass sie kaum Luft bekam. Seine rechte Hand war wieder zwischen ihren Beinen und mit seiner linken hielt er ihren Kopf fest, um sie zu küssen. Als sie versuchte sich wegzudrehen, packte er sie am Kinn und lächelte zynisch.

Die Überlegenheit in seinem Blick sagte ihr, dass sie keine andere Wahl hatte. Als er sie küsste starrte sie willenlos zur Decke und hätte am liebsten zugebissen. Angeekelt schluckte sie seinen kalten Speichel und wollte nur noch sterben. Seine Finger bohrten sich unaufhaltsam vor, und es tat wie immer weh. Allerdings noch lange nicht so sehr, wie das, was dann folgen würde.

Erstarrt lag sie da und krallte ihre Finger in das Laken, um nicht in Panik um sich zu schlagen. Es würde alles nur noch verschlimmern, soviel hatte sie inzwischen gelernt. Doch sie merkte, wie sie immer mehr ihre Beherrschung verlor und betete, dass er endlich aufhörte. Aber er tat es nicht. Sein Keuchen wurde immer lauter und das bereitete ihr die größte Angst. In solchen Momenten erinnerten seine Augen an die einer Hyäne, die nichts menschliches mehr hatten. Als er ihre rechte Hand wie selbstverständlich zwischen seine Beine führte, verlor sie ihre Fassung. Sie konnte und wollte ihn nicht mehr ertragen.

Wie eine Katze vergrub sie ihre Fingernägel in seinen Handrücken und kratzte unbeherrscht. Überrascht von ihrer Reaktion wollte er sie an ihren Handgelenken packen. Doch sie war schneller und wie von Sinnen kratzte und biss sie um sich. Verwundert wich er zurück und hielt dann inne. Er sah sie böse an und sie widerstand hasserfüllt seinem Blick. Wortlos ging er zur Tür hinaus, als wäre nichts geschehen. Einen Moment lang lauschte sie, ob er wiederkommen würde. Aber er kehrte nicht zurück.

Sie konnte kaum glauben, ihn in die Flucht geschlagen zu haben. Mit geschlossenen Augen kostete sie dieses kurze Triumphgefühl aus. Ihr war völlig klar, dass dies noch ein böses Nachspiel haben würde. Allein für die sichtbaren Wunden an seiner Hand, würde er sich bitter rächen. Ihr Körper zitterte vor Aufregung und sie überlegte, ob sie aufstehen und einfach weggehen sollte. Aber sie wusste nicht wohin und ihr war klar, dass man sie bald finden würde und dann wäre alles noch viel schlimmer.

Ein Blick zur Uhr verriet ihr, dass sie noch ausreichend Zeit hatte zu schlafen. Aber sie konnte nicht, aus Angst vor dem, was noch erwartete. So lag sie, mit geschlossenen Augen einfach nur da. Getragen von der Hoffnung doch noch einzuschlafen und mit der erneuten Illusion, dass dies alles nur ein Alptraum war.

 

„Nina!“, es war Mutters Stimme, die sich fast überschlug und sie aus einem unruhigen Traum riss. Nina seufzte leise. Sie ahnte was jetzt kam. Die Tür sprang auf und Mutter stürmte herein. Sie war außer sich vor Wut. Ihre Mundwinkel bebten und ihre Augen blitzen böse.

„Verdammt noch mal! Was hast du dir dabei gedacht?“

Nina schwieg. Es hatte keinen Zweck zu widersprechen. Wenn Mutter in dieser Verfassung war, war mit ihr einfach nicht zu reden.

„Auf der Stelle entschuldigst du dich!“

Nina schwieg noch immer. Niemals würde sie das tun, eher würde sie sterben.

„Hast du nicht gehört?“, schrie Mutter. Die rechte Hand hatte sie schon erhoben um zuzuschlagen.

„Das hat sie doch schon“, sagte er leise, „vorhin.“

Grinsend stand er im Türrahmen. „Stimmt`s Nina?“

„Und das hier?“ Mutter zeigte auf die unzähligen Kratzspuren seiner Hände.

„Er hat mir wehgetan“, verteidigte sich Nina leise.

„Ach ja?“, keifte Mutter, „das glaubst du ja wohl selbst nicht! Niemals würde dir dein Vater wehtun. Mir hat er erzählt, er hätte dich nur geneckt.“

„Er ist nicht mein Vater“, sagte Nina trotzig.

Sie wusste was jetzt kam. Klatschend landete die Hand von Mutter in ihrem Gesicht. Es schmerzte sofort, aber Nina ließ sich vor Wut und Stolz nichts anmerken. Soll sie sie doch totschlagen, dann ist wenigsten alles vorbei.

„Was soll das heißen?“ Die Stimme von Mutter war so schrill, dass sie fast versagte. „Er kümmert sich ja wohl genügend um dich!“

Stolz sah Nina in die wütenden Augen ihrer Mutter.

„Er hat mir wehgetan und ich habe mich nur verteidigt.“

„Blödsinn!“, ereiferte sich Mutter, die inzwischen an der Tür stand: „Du stehst sofort auf, bevor ich mich vergesse!“

Die Tür fiel krachend zu und Nina gehorchte. Sie konnte hören, wie er besänftigend auf Mutter einredete und sie wartete noch einen kurzen Moment, um seine Bemühungen nicht zu unterbrechen. Dann ging sie zu den beiden in die Küche.

„Also“, sagte Mutter, ohne sie anzusehen. „Ich weiß nicht genau, wann ich aus dem Geschäft zurück sein kann. Aber wenn ich zurück bin ist der Haushalt gemacht und du warst bei Margot in der Wohnung um den Briefkasten zu leeren und die Blumen zu gießen.“

„Zu Tante Margot?“, fragte Nina erstaunt.

„Du hast mich schon richtig verstanden!“

„Natürlich“, flüsterte Nina. Es war typisch für Mutter, sie an ihrem schulfreien Sonnabend durch die halbe Stadt zu schicken um erneut die Blumen zu gießen die bereits gestern von ihr frisches Wasser erhalten hatten.

„Ich muss dann auch ins Büro“, sagte er mehr zu Mutter, „muss nur noch schnell die Akten durchsehen.“

Mutter küsste ihn zum Abschied und würdigte Nina keines Blickes, als sie zur Tür hinausging. Nina trottete ins Bad und schloss leise die Tür ab. Wenigstens hier solle er sie nicht stören. Sie war ganz froh über die Unmengen an Arbeit, die Mutter ihr aufgetragen hatte. So konnte sie sich ihm entziehen und er würde es nicht wagen, die Befehle von Mutter zu missachten.

Sie zog sich aus um zu duschen. In ihrem Slip war ein wenig Blut. Wahrscheinlich wieder durch ihn. Es sah nicht aus wie die erste Periode, auf die sie so sehnsüchtig seit einiger Zeit hoffte. Alle Mädchen aus der Klasse hatten sie schon aber bei ihr wollte es sich einfach nicht einstellen. Zu sehr wünschte sie sich die monatlichen Blutungen. War sie doch fest davon überzeugt, dass er in diesen Zeiten von ihr ablassen würde. Sie beschloss nicht zu duschen. Vielleicht würde ihr Schweißgeruch ihn vertreiben. Vielleicht ekelte er sich irgendwann genauso vor ihr, wie sie vor sich selbst.

Leise schlich sie zurück in ihr Zimmer und setzte sich müde auf ihr Bett. Er würde wiederkommen, jetzt noch brutaler. Es würde nie aufhören. Langsam zog sie sich an und holte aus ihrem Geheimfach hinter dem Schreibtisch das große Tauchermesser hervor. Sie hatte es vor einer Ewigkeit in einem Abfallkorb im Park gefunden und niemanden davon erzählt. Das Messer symbolisierte für sie Erlösung aus ihrer Not und sie war entschlossen, es nun zu vollenden. Unsicher hielt sie die scharfe Schneide an ihr linkes Handgelenk, bereit einen tiefen Schnitt zu machen. Doch dann fiel ihr ein, dass er noch in der Wohnung war und ihre Pläne so durchkreuzen könnte. Es bleib ihr nichts anderes übrig, als einen späteren Zeitpunkt abzuwarten.

Lautlos betrat er ihr Zimmer und schwieg. Es waren für sie die schlimmsten Momente wenn er nichts sagte, der Beginn ihrer Angst. Mit Mühe konnte sie gerade noch das Messer vor ihm verbergen und sagte hastig: „Ich fahre dann los.“

Das Messer ließ sie unauffällig in ihrer Gesäßtasche verschwinden und wagte es nicht, sich zu bewegen.

„Quatsch, allein für den Hinweg brauchst du mindestens eine Dreiviertelstunde. Ich bringe dich schnell mit dem Auto hin und warte dann auf dich“, erklärte er grinsend.

„Musst du nicht ins Büro?“, fragte sie vorsichtig.

„Doch schon, aber wer merkt das schon, wenn ich später oder gar nicht komme.“

Warum er das für sie tat, wusste sie nicht. Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen, vielleicht wollte er ihr mehr Zeit verschaffen. Bei seinen wechselnden Launen wusste sie nie vorauszusagen, was er beabsichtigte. Ungefragt nahm er ihre Jeansjacke, hängte sie ihr über die Schulter und schob sie aus dem Zimmer. Es gelang ihr, das Messer in der Jackentasche zu verstecken, als er nach dem Autoschlüssel auf der Kommode griff.

Es war wenig Verkehr in der Stadt, dennoch nahm er den Umweg über die Landstrasse außerhalb. Sein Handy klingelte plötzlich und abrupt brachte er den Wagen zum Stehen. Spöttisch grinste er sie an. Am Telefon war Mutter, soviel war sicher. Bestimmt wollte sie kontrollieren, ob sich alle an ihre Anweisungen hielten.

„Hallo, mein Schätzchen“, säuselte er in das Handy. „Ja, ich bin gerade im Büro angekommen, bei mir dauert das alles bestimmt noch bis vier und dann muss ich noch zu Lohmann wegen dem Vertrag ... Hmmh, ja ... ist in Ordnung. Nina? Die ist vorhin los, zur Wohnung ... Nein, die ist mit Sicherheit noch nicht angekommen. Ich schätze mal, die wird erst jetzt in den Bus eingestiegen sein. Du weißt ja selbst wie lange das dauert ... hmmh ... dann bis nachher.“

Beschwingt schaltete er sein Handy aus und lächelte. Ohne eine Erklärung startete er den Wagen und fuhr los. Als er unvermittelt in den Stadtwald abbog, bekam Nina ein ungutes Gefühl. Zielgerichtet fuhr er einen Waldweg entlang, bis die Straße nicht mehr zu sehen war. 

„Wo willst du hin?“ fragte sie verängstigt.

„Natur genießen.“, murmelte er vielsagend.

„Aber ich muss doch ...“

„Du hast jede Menge Zeit. Sie kommt nicht vor sechs aus dem Geschäft raus. Das schaffst du alles noch.“ Er hielt den Wagen an und betätigte die Zentralverriegelung. Dann beugte er sich über sie um sie zu küssen. „Wir haben viel Zeit“, keuchte er, „sehr viel Zeit.“

„Ich will das nicht mehr!“, sagte sie mit fester Stimme. „Nie wieder!“

Aus ihrer Jacke holte sie das Tauchermesser und drückte es sich demonstrativ an ihre Brust, bereit zu zustechen.

„Was soll das?“, stöhnte er gelangweilt.

„Ich will hier raus!“, bettelte sie.

„Bitte“, sagte er und entriegelte den Wagen. Hastig stieg sie aus, sah sich hilfesuchend um und bleib stehen. Sie wusste nicht wo sie hingehen sollte. Grinsend stellte er sich neben sie und kicherte leise, als er das Messer in ihrer zitternden Hand sah. Dann packte er sie und zerrte sie zurück zum Auto.

 

Sie sah ihm fest in die Augen, als sie das Messer in seinen Bauch stieß. Völlig überrascht stöhnt er nur leise. Dann starrte er sie fragend an und sackte langsam auf den Waldboden. Sie rührte sich nicht, als er sich zu ihr drehte und für einen Moment die Augen schloss. Seine Hände umklammerten das Messer, als wolle er sich davor schützen, dass sie es herauszog. Er öffnete wieder die Augen und sah sie an. Regungslos hielt sie seinem Blick stand und fragte sich, ob er jetzt tot sei. Aber in seinen Augen war ein Hauch von Traurigkeit, der wohl nur von Lebenden ausgehen konnte.

Entschlossen wandte sie sich ab und ging langsam zum Auto. Sie setzte sich auf den Fahrersitz und versuchte ihr Händezittern unter Kontrolle zu bringen. Dass sie mit dem Rücken zu ihm saß, störte sie nicht. Sie vermied es sogar in den Rückspiegel zu sehen. Minuten waren vergangen und ihr war klar, dass sie eine Entscheidung treffen musste. Als sie auf der Ablage sein Handy sah, wusste sie, was zu tun sei.

Selbstsicher ging sie zurück. Seine Beine waren nun nicht mehr angewinkelt. Er lag ausgestreckt da und schützte auch nicht mehr mit seinen Händen die blutige Wunde. Seine Augen waren noch immer geöffnet, jedoch hatten sie jeglichen Glanz verloren. Prüfend stieß sie ihren Fuß in seine Rippen und beugte sich dann über ihn, um seine Augen zu mustern. Befriedigt stellte sie fest, dass zum ersten Mal keine Überlegenheit mehr von ihm ausging. Sie hockte sich neben ihn und genoss für einen Moment das eigene Gefühl der Genugtuung.

Mit spitzen Fingern erfasste sie das Messer und zog es langsam heraus. Sorgfältig wischte sie es mit Laub ab und verstaute es dann in ihrer Jacke. Seinen Körper bedeckte sie mit den umherliegenden Blättern, die starren Augen ließ sie jedoch frei. Langsam fast zögernd ging sie zurück zum Auto, um die Türen zu schließen. Ohne sich noch einmal umzusehen lief sie dann zu dem kleinen Schleichweg, der in die Stadt zurückführte. Als sie wenig später ganz allein an einer Bushaltestelle wartete, fing es leise an zu regnen.

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.06.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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