Hans K. Reiter

Familiendrama - (Rätselhafte Kriminalgeschichte)

 

Dagmar Hochfellner liess sich generft in ihren Bürostuhl plumpsen. Es war wieder einer jener Tage, die ihr so gar nicht lagen. Erst schon kein Durchkommen mit dem Auto zur Dienststelle, dann eine vergeudete Stunde beim Chef –Wochenresümee nannte er das an jedem Freitag früh stattfindende Treffen der leitenden Kommissare. Und dann noch ein versautes Wochenende vor der Nase.

Lesen Sie sich da mal hinein, hatte er gesagt und ihr einen leicht vergilbten Schnellhefter auf den Tisch geknallt. Hinterkaifeck stand da in steilen Lettern zu lesen und darunter in Klammern gesetzt:  Mordfall vom 31. März/1. April 1922 – unaufgeklärt. Der Fall sei über 90 Jahre alt, bemerkte Dagmar und wollte wissen, warum sie sich ausgerechnet jetzt damit beschäftigen sollte. Es tut mir leid, sagte der Chef, aber Sie müssen da rausfahren. Gleich in der Nähe hat man heute Morgen ein ähnliches Familienmassaker entdeckt.

Während ihrer Ausbildung hatte sie irgendwann einmal von Hinterkaifeck gehört. Der Fall war niemals aufgeklärt worden und niemand kümmerte sich ernsthaft mehr darum. Mord verjährt zwar nicht, aber wo eine Aufklärung aussichtslos schien, steckte man auch keine Energie mehr in die Ermittlungen. Sechs Menschen waren damals mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden worden. Die Umstände waren sehr mysteriös gewesen. Es gab Spuren und eines der Kinder hatte in der Schule erzählt, die Mutter sei von einem heftigen Streit vom Hof geflohen. Einen Tag später waren sie alle tot – ermordet. Die Tat wurde aber erst vier Tage danach entdeckt. Es gab einige Verdächtige, jedoch niemand konnte der Tat überführt werden.

Und jetzt sollte sie die Ermittlungen in einem Mordfall übernehmen, der ganz ähnliche Züge trug wie damals. Also gab sie den Kollegen Bescheid und sie fuhren raus in die Gegend von Schrobenhausen. Die Spurensicherung war schon vor Ort und so erfuhr die Hauptkommissarin, was man bisher festgestellt hatte. Demnach hatte man zwei Leichen in der Scheune des Hofes aufgefunden, die ermordete Bäuerin in der Küche im Haus und einen übel zugerichteten Arbeiter im Stall. Letzterer war noch vor dem Eintreffen des Notarztes verstorben. Tatzeit etwa 20 Stunden vor der grausigen Entdeckung des Massakers.

Gibt es brauchbare Hinweise auf die Tat?, wollte Dagmar Hochfellner wissen. Die anwesende Gerichtsmedizinerin bestätigte, was auch die Spurensicherung ergeben hatte. Alle Vier waren mit einem schweren, dumpfen Gegenstand erschlagen worden. Vielleicht ein schwerer Hammer, meinte einer der vom LKA aus München mitgereisten Kommissare. Ja, dann schaut’s mal rum, ob ihr etwas findet, auch weiter entfernt vom Haus, das Übliche halt, sagte Dagmar, rief den Assistenten und begab sich in die Scheune.

Da ermordet jemand vier Menschen. Frage eins: warum? Und Frage zwei: Gibt es einen Zusammenhang mit den Morden von Hinterkaifeck? Es sei doch ein sehr langer Zeitraum dazwischen, wagte der Assistent zu bemerken und fragte, ob er etwaige verwandtschaftliche Beziehungen zwischen damals und heute prüfen solle. Ja, gute Idee, mach das!, stimmte Dagmar zu und bemerkte mit einem Lächeln, wie der Assistent sofort mit flinken Fingern seinen Laptop bearbeitete.

Wieder an der frischen Luft – Tote hinterlassen irgendwie immer eine dumpfe Atmosphäre, fand Dagmar – kam ihr eine Frage in den Sinn. Weshalb ähnelt dieser Fall tatsächlich dem damaligen? Kaum dass dieser Gedanke von ihr Besitz ergriffen hatte, meldete sich der Assistent. Also Frau Hauptkommissarin …, Du und Dagmar, unterbrach sie ihn, wissend, dass es ihm immer noch große Probleme bereitete, sie mit ihrem Vornamen anzusprechen. Nun, Sie wissen, ich kann das nicht so einfach, Sie sind die Chefin … mit Vornamen …, nein, das geht nicht, um dann fortzufahren: Frau  … äh, Dagmar, es gibt tatsächlich eine Verbindung. 

Dagmar Hochfellner war zur Polizei gekommen, weil sie nach dem Abitur nicht so recht wusste, was sie eigentlich studieren sollte. Allerdings war ihre Entscheidung für die Polizei aber keinesfalls einer Verlegenheit entsprungen. Sie hatte sich sorgfältig erkundigt und Informationsveranstaltungen besucht. Im LKA war sie zur Chefin einer Dienststelle für schwierige und ungewöhnliche Fälle von Kapitalverbrechen aufgestiegen. Gerade mal Mitte Dreißig, war eine solche Karriere durchaus als ungewöhnlich zu bezeichnen. Aber ihr logisches Denken und die Fähigkeit, abstrakte Lösungsansätze zu entwickeln, hatten sie zu Recht dort hin katapultiert, wo sie jetzt war. Die Aufklärungsquote ihres Teams lag immerhin bei über 85 Prozent und das war viel, sehr viel sogar. Dagmar war klar, dass sie schon in nicht allzu ferner Zukunft in den höheren Dienst wechseln würde. Entsprechende Locksignale von Vorgesetzten gab es schon lange.

Ärztin und Spurensicherung hatten den Abtransport der Leichen in die  Gerichtsmedizin freigegeben und die Kollegen des kriminaltechnischen Dienstes packten ihre Sachen zusammen. Das ganze Areal war mit Absperrbändern der Polizei versehen und wenn alle ihre Arbeit getan hätten, würden die Fenster geschlossen und die Türen versiegelt werden. Routinearbeit am Tatort.

Dagmar bedeutete den Kollegen, sie könnten nunmehr mit den Befragungen der Nachbarn beginnen und ausfindig machen, ob es etwaige Zeugen gäbe. Sie gab dem Assistenten ein Zeichen, stieg in ihren Wagen, gab ihm die Autoschlüssel und sagte, er solle sie ins Dorf fahren. Für Dagmar war es immer wichtig, sich einen eigenen Eindruck vom Ort des Geschehens und seiner Umgebung zu verschaffen. Im Dorf erfuhr sie, dass es hier keine eigene Amtsstelle mehr gab. Vor vielen Jahren schon musste diese dem hohen Kostendruck weichen. Da müss’ns nach Schrobenhausen, gab ihr ein älterer Dorfbewohner zur Auskunft.

Fahr mich erst zum Gemeindeamt und vielleicht dann noch zum Landratsamt. Mal sehen,  fügte sie noch an. Schnellen Schrittes entschwand Dagmar den Blicken des Assistenten, dem sie aufgetragen hatte, im Wagen zu warten. Mach s’Blaulicht aufs Dach, damit man uns als Polizei erkennt, wegen des Halteverbots. Sonst kriegen wir noch einen Strafzettel.

Dagmar wies sich aus und fragte, ob es hier ein zeitgeschichtliches Archiv gäbe. Da hams no Glück, weil mir des demnächst ois ins Landratsamt verleng. De ham mehr Plotz und dann fass ma alles zamma. De Dörfer und die ganze Region, woit i song. Dagmar musste sich in ein Buch eintragen und durfte dann das Allerheiligste betreten. Der Eintrag sei Pflicht, sagte man ihr, falls etwas wegkäme oder beschädigt würde.

Wieder zurück im LKA berichteten die Herren Kommissare von der fruchtlosen Befragung der Bevölkerung. Niemand hatte etwas bemerkt und schon gleich gar nicht gesehen. Wie es halt oft auf dem Land so ist, bemerkte Dagmar. Da hackt ganz sicher keine Krähe der anderen ein Auge aus. Geh, bring uns an Kaffee, bat sie den Assistenten und drückte ihm ein paar Münzen für den Automaten in die Hand.

Jetzt machen wir folgendes, sagte Dagmar in die Entstandene Stille hinein. Wir, sie deutete dabei auf den Assistenten und zwei der Kommissare,  fahren noch einmal raus ins berühmte Spargelgebiet. Sie sah die Fragezeichen in den Augen der Angesprochenen. Ich hab‘ mir etwas überlegt, erklärte Dagmar.

Zügig fuhren die beiden zivilen Fahrzeuge durch den Ort und stoppten am Haus eines bekannten und durchaus auch angesehenen Bürgers der Gemeinde. Einer der Kommissare ging zum rückwärtigen Teil des Anwesens, während Dagmar mit dem Assistenten und dem zweiten Kommissar vor die Eingangstüre trat und die Klingen betätigte.

Nichts rührte sich. Noch einmal die Klingel und wieder nichts. Komisch, rief ihnen ein des Weges kommender Mann zu, er hät‘ heut‘ zur Chorprobe kommen sollen, war aber net da. Dann brechen wir auf, wies Dagmar den Kommissar an. Gefahr im Verzug, sagte sie noch.

Da es durch die Haustüre nicht ging, schlug der Kommissar eine Scheibe ein, stieg durch das Fenster und öffnete die Türe von innen. Schnell waren sie im Haus, riefen den Namen des Bewohners und gaben sich als Polizei zu erkennen. Keine Antwort, Schweigen. Hier, kommens, rief der Assistent plötzlich ganz aufgeregt. Hier ist er!

In der Stube fanden Sie die Bescherung. Ein toter Körper baumelte von der Decke, ein Stuhl, umgestoßen, lag am Boden. Da ist er uns zuvor gekommen, der Herr Lehrer Brandstätter, sagte Dagmar lapidar.

Was war geschehen? Der Brandstätter hatte beim Kartenspiel sein Haus an den Höglmeier, einer der erschlagenen Toten im Nachbardorf, verloren. Da fiel dem Lehrer Hinterkeifeck ein und er wollte es so arrangieren, wie damals, damit die Tat ein Rätsel bleiben sollte. Jetzt habe der Brandstätter allerdings einen Patzer gemacht, erklärte Dagmar den staunenden Kollegen. Im Gemeindearchiv besorgte er sich die Details von damals, damit ihm bei seiner frevelhaften Tat ja kein Fehler unterlaufe, bedachte dabei aber nicht, dass man sich hierzu in ein Besucherbuch eintragen muss. So kam ich darauf, sagte Dagmar bescheiden.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.09.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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