Karl Herrmann

Ein Rheinländer in Schwaben

Auszug aus meinem Buch: Ein Rheinländer in Schwaben, 

Heiteres, Kurioses und Besinnliches aus dem wahren Leben


So und nun bin ich Rentner. Den Markt haben wir vollkommen dran-gegeben. Es lohnte sich auch nicht mehr. Ich bekomme eine kleine Rente und eine Zusatzrente vom öffentlichen Dienst, denn ich war ja in meinem Arbeitsleben als abhängig Beschäftigter in den von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, bei der Bundesbahn und zuletzt beim Finanzamt in Köln tätig. Da wurde zusätzlich zur normalen Rentenversicherung noch eine Zusatzversicherung einbezahlt. Davon profitiere ich jetzt. Von dieser Rente könnten wir ein auskömmliches, wenn auch karges Leben bestreiten. Miete brauchen wir keine zahlen, da unser Haus schuldenfrei ist.

 

Aber das reicht uns nicht, wollen wir ja auch mal Urlaub machen und im Winter, wie sonst auch, nach Ägypten in die Sonne, um eine Pause von der Kälte zu haben. Da kamen wir auf die Idee Zeitungen auszutragen. Hatte ich das doch schon einmal gemacht, als ich nach meinem ersten kleinen Herzinfarkt wieder fit werden wollte. Das ist nämlich die beste Therapie. Man wird wieder komplett fit, braucht nicht in die Muckibude und bekommt auch noch Geld dafür. Außerdem ist es nicht unsere Art, auf der faulen Haut zu liegen. Wer rastet der rostet.

 

So bewarb sich meine Frau, die beste von allen, bei der Schwäbischen Zeitung als Austrägerin. Sie bekam auch sofort den Job, aber es waren anfangs nur 13 Zeitungen, was sich ja wirklich nicht so recht lohnte. Der Chef bei der Schwäbischen besorgte uns dann auch noch die Südwest-Presse für den gleichen Bezirk, das waren da über 80 Stück, also hatten wir, wenn mal Zusätzliche Abos kamen, um die einhundert Zeitungen insgesamt. Dazu kam noch die Post vom privaten Postdienstleister „Südmail“, die wir zusätzlich von Dienstag bis Samstag immer gleichzeitig mit der Zeitung verteilen.

 

Der erste Tag begann gleich mit einem Fiasko. Wir hatten von der Südwest-Presse ein Wägelchen mit zwei Taschen bekommen, in die wir die Post auch mit hinein bekommen mussten. Es war Samstag, und es musste auch noch die Zeitschrift „Die Woche“ mit verteilt werden, die an alle Haushalte ging, die keine Zeitung abonniert hatten. Und es regnete! „Na Super!“ sagte Illona, „das fängt ja gut an.“ Hatten wir doch noch keinerlei Ahnung, was uns alles erwartete. Erst mussten wir die Taschen packen. Die Zeitungen waren dick, „Die Woche“ musste auch noch hinein und ich hatte an das Wägelchen in Vorahnung auf das, was kommen würde, noch eine zusätzliche Tasche mit Kabelbinder befestigt, in die wir die Post hinein taten. So zogen wir zu Fuß los.

 

Erst regnete es nur leicht, das Wägelchen zogen wir beide, denn es war sehr schwer. In der Hand hatte ich die Zustell-Liste und um den Hals baumelte eine Taschenlampe, denn es war ja noch dunkel, immerhin war es erst drei Uhr nachts, als wir losgingen. Immer mit dem Blick auf die Liste, dann suchend nach den Hausnummern und schließlich nach den Briefkästen. Manche Briefkästen waren so versteckt, dass wir sie nicht gleich fanden. Und auch so klein. Da hatten manche Kunden ganz tolle Häuser, aber Briefkästen, nicht größer wie ein Schuhkarton. Auch manche Briefschlitze darin waren die reinsten Mauselöcher. Wie sollten wir bloß die dicken Zeitungen da hinein bekommen?, fragten wir uns. In der Zwischenzeit fing es immer stärker an zu regnen. Unsere Kleidung wurde immer schwerer und das Wasser ging schon fast bis auf die Haut. Nur gut, dass die wasserdicht ist. Und immer wieder mussten wir anhalten, um uns zu orientieren, da wir ja auch die Post und noch die kostenlose Zeitung „Die Woche“ einstecken mussten. Ich hörte Illona fluchen: „So ein Sch...... ich weiß nicht, ob ich das weiter machen werde!“ Ich aber war still und sagte nichts. Wusste ich doch, auch dieser Tag geht vorüber, schlimmer kann es nicht mehr kommen.

 

Aber es kam noch an diesem Tag schlimmer! Der Regen wurde immer stärker und wir hatten die liebe Not, die Zeitungen einigermaßen trocken in die Briefkästen oder Zeitungsrollen zu bekommen. Manchmal ging es nicht anders und sie waren schon halb durchweicht. Die Kunden mussten sie bestimmt erst trocknen, bevor sie sie lesen konnten, dachten wir uns. Und das es wird bestimmt Beschwerden deswegen geben. Gab aber keine. Na, wenigstens etwas. Was soll ich sagen, um sechs hätten wir fertig sein müssen, wirklich fertig waren wir erst um halb acht mit den Zeitungen. Wir auch. Unsere Tour endete ziemlich weit von zu Hause und wir mussten noch ca 20 Minuten durch den strömenden Regen laufen, bis wir ins warme, trockene kamen. Illona war fertig, ich aber auch. Und nass! Wir zogen die Klamotten aus, man konnte alles auswringen, ja selbst die Haut mussten wir abtrocknen, so nass waren wir. An den Händen schrumpelte die Haut, als wenn man über eine Stunde in der Badewanne gelegen hatte. Es war der Wahnsinn. Da tat eine heiße Tasse Kaffee gut und ich genehmigte mir auch noch einen Cognac. Ein wahnsinnig tolles Gefühl, wenn der Alkohol dieses schönen Getränkes über den Mund, durch die Speiseähre in den Magen rinnt. Es wird einem richtig warm ums Herz! Das genieße ich jetzt jeden Morgen! Ab und zu auch mal einen Jägermeister, auch Hörnertee genannt.

 

Nun war der erste Tag unserer neuen Arbeit vorüber. Es wurde Sonntag und wir hatten frei. Diesen freien Tag hatten wir bitter nötig um uns von dem Samstag zu erholen. Illona sagte: „wenn das aber so weiter geht, dann können die mich......“ „aber, mein Schatz, das war doch nur der Anfang, wir mussten uns doch alles suchen, am Montag haben wir keine Post, keine Woche und die Zeitungen sind bestimmt auch dünner“ „Das wird schon“ „Aber ich weiss nicht, wie ich mir alle die Adressen merken soll!“ Sagte sie noch. „Du wirst sehen, irgendwann lachen wir darüber, denn unser Gehirn kann das alles, und noch viel mehr, speichern, das ist kein Problem.“ versuchte ich sie zu beruhigen.

 

So kam es denn auch. Der Montag ging auch schon viel besser und es war trocken. So waren wir, nachdem wir wieder im drei Uhr losgezogen waren, so gegen fünf Uhr zu Hause. Nach einiger Zeit waren die ganzen Adressen im Kopf. In der Zwischenzeit hatten wir unseren Bezirk unter uns aufgeteilt, so dass jeder seinen Teil machen konnte. Ich hatte dazu ein eigenes Wägelchen, einen Angler-Klappstuhl mit Tasche, den ich mal für kleines Geld auf dem Flohmarkt erstanden hatte. Da der Weg zu Fuß ganz schön weit war, ca fünf Kilometer, konnte ich den Sitz ausklappen und mich auch mal darauf setzen und einen Moment ausruhen. Das tat dann immer ganz gut, schmerzte doch mein linkes Bein nach langem Laufen etwas, denn da hatte ich ja noch Schrauben vom Oberschenkelhalsbruch drin, den ich mir vor Jahren zugezogen hatte. Nach Hause kamen wir jedenfalls immer früher. Das Einzige, was nervte, war der lange Weg, den wir zurück laufen mussten. Das muss doch anders gehen, dachte ich mir.

 

So kam es, dass ich Ilonas Fahrrad von seinem bisher freudlosen Dasein auf dem Dachboden erlöste. Wir holten es durch die enge Dachluke herunter, und ich sah es nach. Ölte die Kette, sah nach den Bremsen und dem Licht. Denn Nachts ist es ja dunkel, da braucht man ein gutes Licht. Anschließend befestigte ich die Taschen mit Kabelbindern – die sind wirklich genial – am Gepäckträger und auch noch einen Korb darüber. So konnten die Zeitungen in die Taschen, die Post in den Korb. Ich ging wieder mit meinem Wägelchen. Illona hatte, da es jetzt für sie leichter war, etwas mehr Zeitungen als ich. So war ich meistens etwas früher fertig und konnte schon zu Hause das Frühstück machen und Illona konnte sich, wenn sie auch nach Hause kam, sofort an den Tisch setzen und essen. So war es erst einmal gut.

 

Nach einer Weile tat mir das lange Laufen immer mehr weh. Machten sich die Ersatzteile in der linken Hüfte doch nach einiger Zeit, der ungewohnten Bewegung zu Folge, unangenehm bemerkbar. Wäre ich eine Maschine, hätte es nur etwas Caramba bedurft. Das ging aber bekanntermaßen leider nicht. So kam ich auf den Gedanken, mich nach einem Fahrzeug umzusehen. Fahrrad ging nicht, da ich zwar fahren konnte, aber das nur gerade aus, bei Kurven, da hatte ich immer ein Problem. Deswegen schied das aus, es war mir einfach zu gefährlich, wollte ich doch nicht noch einmal eine Oberschenkelhalsbruch riskieren. Da sah ich auf Eb ay einen Elektro-Roller, dieser hatte aber anstatt zwei vier Räder. Das fand ich sehr gut, konnte er, selbst beim beladen mit den Zeitungen nicht umkippen.

 

Dieser Roller wurde in China hergestellt. Da ich ja nun schon geraume Zeit im Schwabenland lebte, dachte ich: „Das wir ja schon a schener Gruscht sein!“ Auf der anderen Seite, das Ipohne wird ja auch in China hergestellt, also kann man es ja mal probieren. 1600€ sollte das Teil kosten, und ich ging das Risiko ganz unschwäbisch, wie wir Rheinländer nun mal sind, ein, und bestellte den Roller beim Importeur in Mönchengladbach.

 

Der Roller kam Anfang Mai an und ich war begeistert. Er hatte auch ein Topcase, in dem ich die Briefe einladen konnte. Zwei Zeitugstaschen konnte ich wie Satteltaschen beim Pferd an den Seiten anbringen. Da gingen selbst Samstags, wenn die Zeitungen dick waren, alle miteinander rein. Aber das Schönste war, das Ding war schnell! Es hatte sogar Fern- und Abblendlicht, einen Blinker, einen Rückwärtsgang, den ich aber nie benutze, weil es dann so laut piept – grad so wie bei einem LKW der rückwärts fährt – dass die Leute des Nachts aus dem Bett fallen würden. Ich schaffte die Zeitungen damit fast innerhalb der halben Zeit auszufahren. Die Post machte ich später im Hellen, sollten mich doch auch die Leute in Schelklingen mit dem Roller sehen, denn ich hatte vor, dem Importeur weitere Kunden zu vermitteln.

 

Jeder, der mich mit dem Roller sah, schaute mir zumindest nach. Einige sprachen mich auch an. Sie fanden es ganz toll, vor allem, wie billig das Fahren mit diesem Gerät ist. 100 km kosten mal gerade für 1€ Strom. 60 KM weit kann man damit fahren. Einfach unschlagbar und dazu auch noch umweltfreundlich. Dabei sieht das Teil nicht aus wie ein Fahrzeug für Behinderte. Es ist halt nur ein gewöhnlicher Roller mit Elektroantrieb, aber mit vier Rädern. Wenn ich übrigens damit ohne Gas zu geben fahre, speist er Energie zurück, ebenso beim Bergab fahren und Bremsen. Das habe ich auch den Leuten erklärt, wenn sie mich darauf ansprachen. So lernte ich mit der Zeit viele Menschen in Schelklingen kennen, aber das Postausfahren dauerte immer länger. Meine Frau wusste dann schon immer Bescheid, ich war – wie sie sagte – dann am tratschen.

 

Einmal hielt mich ein Passant an, der auch Abonnent der Südwest-Presse war und sagte, er fände den Roller gut für seinen Bruder, der an der parkinsonschen Krankheit leidet und nicht mehr gut laufen kann. Dafür wäre das ja genau das Richtige. Für den nächsten Tag machten wir einen Termin bei seinem Bruder aus, der nur ein paar Straßen weiter wohnte. Er wollte ihn mal Probefahren. Das machte ich dann auch. Seine ganze Familie war zugegen, als ich mit dem Roller kam. Jeder wollte mal fahren, der Bruder natürlich auch. Trotz Parkinson ging das ganz gut. Bedeutet doch so ein Gefährt auch für Ihn eine neue ungeahnte Freiheit. Man braucht niemanden zu fragen, wenn man nur mal innerhalb von Schelklingen etwas besorgen möchte. Oder einfach mal nur so zum Spaß die frische Luft genießen, was einem sonst auf Grund der Behinderung verwehrt bleibt. Das fanden auch alle. Man einigte sich dahingehend, das man sich alles nochmal gründlich überlegen wolle und mich dann anrufen werde. Das Gerät kostete auch Geld, das will gut überlegt sein, vor allem im Schwabenland ist das genau so wichtig wie die Kehrwoche.

 

Nun wartete ich auf den Anruf. Er kam auch ein paar Tage später. Er habe sich es anders überlegt, sein Arzt hat ihm davon abgeraten, er würde das Teil wohl auf Grund seiner Krankheit nicht ausreichend beherrschen. Dabei war er ja super gefahren und man konnte den Roller auch so einstellen, das er nicht schneller als 6 km/h fährt.

Ich mache mir da heute einen ganz anderen Reim drauf. Das Gerät ist aus China, muss bar bezahlt werden und vor allen Dingen, den gibt es nicht auf Rezept. Also kann der Arzt nichts verdienen, das Sanitätshaus auch nicht. Denn die Dinger, die für Behinderte als Fahrzeug dienen, kosten so von 4000 – 6000 Euro. Einen Teil zahlt die Krankenkasse und man selbst nur den Selbstbehalt. Hinzu kommt noch, dass bei den Fahrstühlen aus dem Sanitätshaus eine jährliche Wartung fällig ist, die ggfs. Auch von den Krankenkassen übernommen wird. Also ein einträgliches Geschäft. Bei meinem Roller ist es mit den 1600 Euro getan. Er ist wartungsfrei, muss nicht zum TÜV nur muss man nach 1000km mal die Bremsen nachstellen und einen Getriebeölwechsel machen. Das mache ich als alter Bastler selber. Aber was soll´s, ich erklärte den Leuten weiter das Gerät.

 

Bei einem anderen Ehepaar, sie waren schon älter und auch Kunden der Südwest-Presse, machte ich auch eine kleine Vorführung, waren sie doch jedes mal begeistert, wenn ich mit dem Roller vorbei kam. Ich erklärte Ihnen auch, das sie damit eine neue Freiheit gewinnen und sich die teure Fahrt mit dem Auto zum örtlichen Supermarkt sparen könnten, für die Schwaben ja ein schlagendes Argument. Sie winkten immer und grüßten freundlich, wenn sie mich sahen. Ich machte ihnen ein Angebot mit den Kaufmodalitäten und steckte es zusammen mit der Zeitung in den Briefkasten.

Lange hörte ich nichts. Als ich eines Tages Post für sie hatte und über Tag zu ihnen fuhr, standen Sie vor der Haustüre. So schnell konnten Sie nicht flüchten bis ich bei ihnen war. „Und, wie schaut´s aus,“ fragte ich freundlich lächelnd. „nu, i wois net“ war die einsilbige Antwort. Da platzte mir fast der Kragen. „nu des isch ja au viel Geld“ sagte ich daraufhin in breitestem schwäbisch, das ich mir in den über zwanzig Jahren, in denen ich im Schwabenland wohnte, angeeignet hatte. „ma wois net, wer do alles dran verdiene tut, gell!“ Sie nickten beide zustimmend mit dem Kopf. „Außerdem braucht man die Freiheit, die man mit dem Roller bekommt, wenn man die in der Jugend schon nicht hatte, im Alter auch nicht mehr!“ „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!“ und weg war ich. Mein Anstand gebot mir, weiter nichts zu sagen, deshalb fuhr ich ganz schnell von dannen. So sind sie halt, die Schwaben!

 

Jedenfalls brachte mir das Gefährt eine ungeahnte Freiheit und Mobilität. Unsere Bezirksleiterin, sie ist auch aus dem Rheinland – aus Siegburg – hatte mich schon länger mal gefragt, ob ich nicht dazu bereit wäre, in anderen Bezirken Vertretung zu machen. Ich hatte das bisher immer verneint, mit dem Hinweis, dass ich ja nicht so gut laufen könnte. Jetzt aber, da ich den Roller hatte, war das kein Problem mehr. Das sagte ich ihr und sie war begeistert. So machte ich das erste Mal Vertretung in einem anderen, großen Bezirk von einer lieben Kollegin, die zeitweilig woanders eingesetzt werden musste.

 

Diese Kollegin kam aus dem Osten Deutschlands. Genau aus Bauzen. Sie war her gezogen einmal der Arbeit wegen und wegen Ihres Partners, der hier schon längere Zeit lebte. Sie war und ist sehr genau in ihrer Arbeit und kümmert sich um alles, auch wenn sie es nicht bezahlt bekommt. Ja, so sind sie, die Ossis! Haben sie es doch zu Zeiten der DDR so gelernt, dass die Firma nicht nur dem Broterwerb dient, sondern so etwas ist wie eine Familie, in der sich jeder auch um den Anderen kümmert. Ich finde das toll. So hat sich zwischen Kerstin, so heißt die Kollegin, und uns eine nette Freundschaft gebildet. In ihrem Bezirk vertrete ich sie öfters, so auch jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe.

 

Von einer Vertretung muss ich noch berichten. Diesen Bezirk macht sonst ein Ehepaar Akperov, auch Menschen, die sich vor keiner Arbeit scheuen, haben sie doch auch vier Kinder.. Der Bezirk ist einer der schwierigsten und unbeliebtesten, ist er doch sehr bergig und es gehen viele Treppen bis zu den Zeitungsrollen und Briefkästen. Da Akperovs aus Kasachstan stammten, wollten sie drei Wochen Urlaub machen um dort hin zu fahren. Also übernahm ich den Bezirk für diese Zeit als Vertretung. Mit meinem Roller kam ich leicht die Steigungen hinauf. Denn es ging ja auch wieder Bergab, wo er dann wieder Energie zurück gewann.

 

Aber das Schwierige, vor allem für mich, sind die Treppen. Sind doch dort in einer bestimmten Straße, deren Namen ich hier nicht nennen möchte, zwei besonders lange zu finden. Bei der Einen sind es Vierzig Stufen bis zum Briefkasten, bei der Anderen „Nur“ einunddreißig. Die Häuser sind in den Hang gebaut und man hat von dort aus eine wunderbare Aussicht in das Tal der Urdonau und zum Hohlen Fels, was alles in der Nähe des Stadtkerns der mittelalterlichen Stadt Schelklingen ist. Die meisten der Anwohner dieser und anderer Straßen in dem Bezirk haben ihre Briefkästen Zustellerfreundlich unten an der Straße angebracht. Bei manchen musste ich noch nicht einmal von meinem Roller absteigen, um die Zeitung in die Zeitungsrollen zu legen. Aber auf Nr. 31 und 45 der betreffenden Straße begann ich immer schier zu verzweifeln. Ich sann nach, wie ich es einfacher und vor allem für die Kunden auch genau so bequem machen könnte. Bei Nr. 31, das war die, mit den 40 Stufen, war auf halber Treppe eine Terrasse mit einem Überdach. Darunter stand eine schöne Teakholz Gartengarnitur. Auf diesen Tisch legte ich die Zeitung, sodass man eigentlich nur die dahinter befindliche Balkontüre öffnen hätte müssen, den Arm herausstrecken um die Zeitung an sich zu nehmen. Ich dachte, das ist ja ne tolle Sache, das wird bestimmt gehen. Also hatte ich da schon einmal 20 Stufen gespart. Auf Nr. 45 das gleiche Problem. Auch da war eine Trasse auf halber Treppe. Dazu musste man aber durch eine kleine Öffnung im Zaun gehen. Ich Legte die Zeitung auch hier vor die Terassentüre, so dass man sie von Innen sofort sehen konnte. Auch schon wieder die Hälfte an Treppen gespart.

 

Als ich dann am Nächsten Tag wieder zuerst bei der Nr 31 die Zeitung auf den Tisch der Trasse legen wollte, lag da ein Brief mit einem Stein darauf. Diese Brief hatte vollenden Wortlaut:

 

„Seit nunmehr Siebzehn Jahren bekommen wir die Zeitung in unseren Briefkasten gesteckt. Wir zahlen viel für das Abo und möchten, das es auch so bleibt. Usw. Kein Gruß, nur die Unterschrift.

 

Ich ließ mich davon allerdings nicht beeindrucken und legte die Zeitung unter den Stein, den Brief nahm ich mit. Ich habe ihn sorgfältig aufbewahrt. Bei Nr. 45 lag noch die Zeitung vom Vortag da und es kam am selben Tag noch eine Reklamation. Ich fuhr mit Kerstin, meiner Kollegin dorthin. Die Dame des Hauses kam zufällig mit dem Auto, wohl vom Einkaufen, zurück. Ich sprach sie an. „sind sie Frau R.?“ „Ja, das bin ich“ „Ich habe die Zeitung wegen der vielen Treppen vor die Terassentüre gelegt!“ „Ach, da haben wir noch gar nicht nachgesehen,“ erwiderte sie daraufhin. Und siehe da, da lag sie auch noch, als wir nachschauten. Ich sagte ihr: „Was machen Sie eigentlich, wenn Sie sich mal das Bein gebrochen haben?“ „Dahn ziehen wir um“ war ihre schlagfertige Antwort. Sie war wohl eine Schwäbin, aber eine ganz gemütliche, erlaubte sie es mir doch, die Zeitung weiterhin vor die Terassentüre zu legen.

 

Nach einigen Tagen überlegte ich mir, ob ich auf den Brief von Frau S. Auf Nr. 31, die mit den 40 Stufen antworten sollte. Ich schrieb dann:

 

„Seit nunmehr dreizehn Monaten bin ich als Zeitungszusteller und Briefbote angestellt. Ich mache das nicht ausschließlich des Geldes wegen, sondern es macht mir Spaß, gibt dem Tag als Rentner Struktur und man wird wieder fit, Allerdings sind für mich die Wege ein Problem, weswegen ich mir einen Elektro-Roller angeschafft habe. Dieser ist leise, umweltfreundlich und stört so die Leute in der Straße nicht bei meiner nächtlichen Tätigkeit. Allerdings Ihre Treppe ist für mich ein Problem, da ich vor einiger Zeit einen Herzinfarkt hatte und zudem noch eine Oberschenkelhalsbruch, der das Treppensteigen ebenso erschwert. Deswegen sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich weiterhin in der Zeit meiner Vertretung die Zeitung auf Ihren Trassentisch lege.

Sollten Sie allerdings ebenfalls ein Handicap haben, so bin ich gerne bereit, schon aus Solidaritätsgründen, die Zeitung wieder in den Briefkasten zu stecken. Bitte geben Sie mir kurz Bescheid. Mit freundlichen Grüßen etc pp.“

 

Ich bekam keinen Bescheid, also nahm ich an, das sie damit einverstanden war!

 

Es war einige Tage später und es war Samstag, als ich in meiner zweiten Tour die Post ausfuhr. Ich hatte einen Brief für die Nr. 29, dies war aber kein Abonnent, aber es war die andere Hälfte des Doppelhauses von Nr. 31, also auch mindestens 40 Stufen! Ich stand davor und schaute erst einmal hinauf. Vor dem Treppenaufgang waren eine Anzahl Garagen, an einer davon arbeitete ein junger Mann und eine Frau. Wo die hin gehörten wusste ich nicht. Ich sagte so, mehr für mich: „ boah, können die nicht, wie die meisten in dieser Straße, die Briefkästen unten an die Straße machen?“ Daraufhin sah mich der Mann an und sagte: „ Mir wollet das du laufsch“

Da platzte bei mir der Kragen! „Erstens ist mir nicht bekannt, dass ich Ihnen das „Du“ angeboten habe, und zweitens finde ich diese Einstellung sehr unsozial“ und ging, ohne die Reaktion abzuwarten die Treppe hinauf. Denn Briefe kann man auf keine Terrasse legen,schon alleine wegen des Briefgeheimnisses. Oben angekommen musste ich erst einmal verschnaufen, nachdem ich den Brief eingeworfen hatte. Wollte ich doch nicht, dass sie sahen, das mich das sehr anstrengte. Als ich die Treppe herunter kam, kam sah ich, dass da eine Kabeltrommel stand, in dem jedoch ein Stecker frei war. Da besann ich mich eines Ausspruches einer Kundin auf einem schwäbischen Landmarkt. Ich sagte zu den beiden: „ Do isch ja a Stecker frei, do musch a Bäbberle nauf tue, sonsch lauft dr Strom naus!“ Sie sahen mich mit offenem Mund an und ich sagte, diesmal auf Hochdeutsch: „Ihr Schwaben, ihr seid schon ein komisches Volt!“ Dann wünschte ich noch ein schönes Wochenende und fuhr weiter.

 

Eine letzte Begebenheit muss ich auch noch erzählen, dann endet mein Geschreibsel.

 

Ich war bei unserem Hausarzt um mir eine Salbe verschreiben zu lassen. Hatte mich doch etwas gebissen und das hatte sich entzündet. Ihm erzählte ich die vorige Begebenheit und er war richtig erbost über soviel Frechheit. Er wollte wissen, wer das war. Ich sagte es ihm und es hatte den Anschein, als würde er sie kennen.

Ich bekam mein Rezept und fuhr zur Apotheke. Ich war natürlich mit dem Roller unterwegs, an dem sich jedoch keine Taschen mehr befanden. Wenn ich so fuhr, machte ich sie immer ab, So stelle ich den Roller neben dem Eingang zur Apotheke und ging hinein. Vor mir waren noch ein älterer Mann, der sich Kräuterbonbons aussuchte und eine Dame. Als ich so wartete, fuhr ein schweres Auto auf den Parkstreifen vor der Apotheke vor. Es stiegen zwei Frauen, eine jüngere und eine ältere, aus und kamen in die Apotheke. „so aan Rollr hab i ach scho gseha, do fahrt einr mit num un tragt Zeitunge aus. Der goht net ze Fuß odr mit dem Fahrrad, de werdet ach scho immer bequemer!“ Das hörte ich so in meinem Rücken. Ich drehte mich daraufhin um und sagte laut, das alle es hören konnten: „ja, das bin ich!“ „Sie fahren ja auch nicht mehr mit Pferd und Wagen“ und drehte mich wieder um. Nun bediente mich der Apotheker und sagte zum Abschied, „Vielen herzlichen Dank Herr Herrmann und noch einen schönen Tag“ Die beiden Dämchen hatten einen roten Kopf und ich ging, mich für den Gruß des Apothekers bedankend, hinaus.

 

So ist es eben im Schwabenland – Ich liebe es!

 

Abschließend möchte ich eines sagen: Ich mache diese ganze Zustellerei sehr gerne. Ich stehe sehr gerne Morgens früh auf nach dem Motto: Morgenstund hat Gold im Mund. Es ist nur jedem zu Empfehlen, dies einmal auszuprobieren. Anderthalb Stunden, die sich auch finanziell lohnen. Mir macht diese Zeit den Kopf frei, denn ich schreibe noch an mehreren Büchern und das gleichzeitig.

 

Sollte es sein, das das Buch sich gut verkauft, so werde ich doch immer, so lange es die Gesundheit erlaubt, an dieser Tätigkeit festhalten. Es sei denn, man braucht mich nicht mehr!

 

Es grüßt Sie

 

Karl M. Herrmann

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.10.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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