Regina Sedelke

Welt der Köpfe

Die Welt, so wie die Alten sie noch kennenlernen durften, so wie sie seit Jahrhunderten gewesen war, fing an sich zu verändern. Wann es anfing kann heute niemand mehr sagen. Es war einer jener schleichenden, unmerklichen Prozesse die man nicht wirklich wahrnimmt.Wie eine Welle im Ozean, die irgendwo hinter dem Horizont damit beginnt, dass der Wind zärtlich über das Meer streicht und die kurz darauf tosen und mit unbändiger Gewalt am Strand zerschellt.

Es waren diese Menschen mit Erfindergeist, Menschen die die Welt verbessern, das Leben erleichtern wollten. So wurde das Rad erfunden. War das bereits der Anfang, viele Meilen hinter dem Horizont? War es der erste Schmelztiegel, in dem Hufeisen hergestellt wurden, für Pferde die einen Wagen ziehen sollten? Schon bald aber sah man andere Pferde mit denselben Eisen, aus demselben Tiegel auf dem Schlachtfeld. Es erwuchsen Schwerter und Rüstungen aus ihm.

So ging es immer weiter, über Jahrhunderte, Schritt für Schritt. Die Erfindung von gestern war heute schon Normalität. Mit immer schnelleren Schritten, die in einem Wettlauf endeten, in dem schon lange niemand mehr bemerkte wohin und worum es eigentlich ging. Betäubt durch die Schnelligkeit des Lebens und der immerwährenden Neuerungen liefen die Menschen wie in Trance mit dem Strom. So kam es, dass niemand bemerkte, wie eines Tages aus den Menschen Köpfe wurden. Aus Bequemlichkeit und ohne nachzudenken. Man begann, die Menschen in Köpfe umzuwandeln um effektiver sein zu können. Anfangs war es nur so dahingesagt. Hinter einem Kopf verbarg sich immer noch ein Mensch. Es war nur eine Rechnung. Eine Fabrik brauchte eine genau festgelegte Anzahl von Köpfen um einen bestimmten Auftrag zu erfüllen, eine Großküche um eine gewünschte Anzahl an Gerichten zu liefern, ein Kindergarten um eine vorgegebene Zahl an Kindern zu betreuen usw. Doch bald schon, man nahm es nichteinmal mehr wahr, gab es nur noch Köpfe. Ein Kopf an sich ist um vieles effektiver, wenn er nicht durch einen Körper mit seinen Befindlichkeiten abgelenkt ist. So kam es, dass der Mensch nach und nach durch Köpfe ersetzt wurde, die sich die Welt erdachten. So produktiv und effektiv wie kein Mensch zuvor dazu in der Lage gewesen wäre.

Es wurde im Geiste produziert und zerstört um erneut produzieren zu können. Die Lösung zur Heilung unheilbarer Krankheiten ließ nicht lange auf sich warten, obwohl es keinen mehr gab, der davon hätte profitieren können. Analphabetismus war ein Fremdwort, ebenso wie Armut und Hunger. Kriege wurden im Geiste geführt, strategisch brillant durchdacht und geplant. Aber es gab weder Gewinner noch Verlierer, denn in den Köpfen arbeiteten messerscharfe, hochkonzentrierte Gehirne.

Doch es fehlte etwas ganz Entscheidendes. Es fehlte das Leben, das Unvorhersehbare, Liebe, Wärme und Menschlichkeit. Aber keiner der Köpfe war jetzt mehr in der Lage, sich ein menschliches Leben zurück zu erdenken.
Und es bedürfte nur eines, nur eines einzigen Kopfes, der fähig wäre,den Mensche neu zu erdenken. Einen Kopf, im Besitz eines Körpers mit Beinen, die die Welt entdecken, mit Armen die umarmen, mit Händen die liebkosen, mit Herzen die lieben und mit Seelen die empfinden können. Aber das dauert vielleicht noch Generationen von Nachfahren, die eingeschlossen in ihren Köpfen eine Welt erdenken, auf der schon lange keiner mehr lebt.

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