Ernst Dr. Woll

Telefonerlebnisse in der 2. Hälfte der 1940er Jahre

Einige Geschichten, in denen das Telefon eine erhebliche Rolle spielte, habe ich als Jugendlicher erlebt. Nach dem 2. Weltkrieg bis Anfang der 1950er Jahre gab es in meinem Heimatort (2000 EW) in Ostthüringen nur wenige Telefonanschlüsse. Selbst in der Arztpraxis und Apotheke gab es kein Telefon. Der Arzt war aber auch für medizinische Notfälle in den umliegenden Dörfern im Umkreis von etwa 10 km zuständig. Die Benachrichtigung erfolgte durch Boten, die Fahrräder oder in besonderem Falle Motorräder bzw. Fahrräder mit Hilfsmotor (Mofas), benutzten. Der Arzt selbst war nicht motorisiert und mein Vater, der ein größeres Motorrad besaß, fuhr ihn – besonders nachts – des Öfteren zu Notfallpatienten. Wenn er den Doktor fahren sollte wurde auch er durch einen Boten informiert,. Hierbei war er  einige Male das Opfer böser Jungenstreiche, was auch ich mit erlebte. Vor unserem Haus rief jemand: „Der Doktor braucht Sie schnell, es ist jemand verunglückt.“ Mein Vater fragte nicht nach, weil Eile geboten war. Er fuhr schnell zum Arzt, der aber nichts wusste und nun von meinem Vater ohne Grund aus den Schlaf gerissen worden war. Man vermutete zwar einen Übeltäter, der jedoch nicht ermittelt wurde.
Neben der Poststelle, die aber nur Werktags von 9,00 bis 17,00 geöffnet war, gab es noch eine einzige öffentliche Fernsprechstelle (eine Telefonzelle, die durch die typische Form und die gelbe Farbe auffiel) auf dem Marktplatz unseres Ortes. Das dortige Münztelefon war aber die wenigste Zeit betriebsfähig. Vandalismus, wahrscheinlich von Jugendlichen, war auch schon damals nichts Ungewöhnliches. An Beschädigungen habe ich erlebt: Abgerissener Hörer, mit festem Leim oder Lehm verschmierter Schlitz des Geldeinwurfs, abgerissene Wählscheibe, beschädigtes Telefon, weil man versucht hatte an das eingeworfene Geld heran zu kommen und noch einiges mehr. Einmal war sogar das gesamte Telefon abmontiert und mitgenommen worden, um an sicherer Stelle die Geldmünzen herauszubringen.
Ortsgespräche kosteten damals 20 Pfennige aber der Apparat war kein Wechselautomat, wenn man es eilig hatte und es war kein 20 Pfennig Stück parat, dann musste man wohl auch mal ein 50 Pfennig- oder Markstück opfern. Probleme entstanden, wenn es doch einmal gelang, ein Ferngespräch zustande zu bringen. Mit dem Einwurf einer 50 Pfennig-Münze war meistens zunächst die Verbindung  herzustellen aber dann musste man genügend Münzen vorrätig haben – Geldscheine nahm der Apparat nicht an – um en Gespräch auch zu Ende führen zu können. Wenn der eingegebene Geldbetrag durch die Gesprächsdauer aufgebraucht war, wurde nochmals kurz zum erneuten Einwurf aufgefordert und wenn der nicht erfolgen konnte, abrupt vom Amt aus abgebrochen. Außerdem standen manchmal an der Telefonzelle Wartende, von denen man, auch mit starkem Klopfzeichen an die Scheiben, aufgefordert wurde sich zu beeilen. Darum war der Hinweis angebracht: „Fasse dich kurz!“
Die, die Telefonzelle umschließenden Wände und das Dach verhinderten jedoch  nicht, das Gesprochene außerhalb des Häuschens mitzuhören. Als Halbwüchsige machten wir uns den Spaß, dann in der Nähe aufzukreuzen, besonders wenn junge Mädchen telefonierten. Sie riefen manchmal ihren Liebsten an und wir störten, indem wir an die Glasscheiben klopften oder die Tür öffneten und Unanständiges dazwischen riefen. Da sich in kleinen Orten fast alle untereinander kennen, drohten wir dann auch, den Eltern zu berichten, dass die Telefonierende heimliche Rendezvous ausgemacht hat. Das lohnte sich bisweilen, denn die Mädchen waren dann sogar bereit Schweigegeld zu zahlen. Es waren geringe Beträge, meistens nur eine Mark. Ich erinnere mich aber,  dass wir durch unsere Störungen der Telefonate der Schwester eines Schulfreundes wahrscheinlich eine Liebesbeziehung mit einem reichen jungen Mann kaputt machten. Jedenfalls hat sie das nach Jahren so dargestellt.
Als ich diese simplen Telefongeschichten Ende der 1990er Jahre, als die „Handyära“ begann, meiner damals 16jährigen Enkelin erzählte, meine sie: „Ach wart ihr damals arm dran und ahnungslos, telefonieren gehört doch heute zu den Grundbedürfnissen.“

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