Conny Kirsten

Comfort Zone

Die feierliche Zeremonie des Anschneidens einer Hochzeitstorte korrespondierte mit meinem schmerzenden, gebrochenen Herzen. Jeder Schnitt verursachte ebensolche Qualen. Die fette Hummel, die sich hoffnungslos verirrt hatte, angezogen von dem Brautbouquet, klatschte ebenso wehklagend gegen die Terrassentür. Am Tisch nebenan lachte meine Mutter pflichtbewusst zu einem flachen Witz eines Onkels. Es sind die kleinen Momente des Alltags, die den Kitt der großen Gefühle ergeben.
Zeit ist das Zauberwort: Laut sämtlicher Frauenzeitschriften und gelehrten Psychologen, heilt die Zeit alle Wunden. Hier lächele ich müde und winke ab. Wer erfindet nur solche dämlichen Plattitüden, die alle Welt als das elfte Gebot betrachtet?
Nur nicht zynisch werden, hüstelt meine Mutter in den Kaffee. Zynismus? Als ob ich wüsste, was das ist: Das Glas ist halt gerne halb leer, meistens klebt nur der Bodensatz, doch wen will ich damit noch langweilen?
Als ich dreizehn Jahre alt war, und meine Mitschüler mich nicht als außergewöhnlich betrachteten, schwor ich mir, den Friedensnobelpreis eines Tages nach Hause zu holen. Ich würde die Welt retten! Wie wärs, wenn du deine Versetzung retten würdest? Typisch Vater! Ich schrieb meine ersten Gedichte, eine Paradie über den Alltag genervter Hausfrauen schlummerte da schon zwei Jahre in meiner Schublade, uraufgeführt im Kinderzimmer meines ältesten Bruders. Ich habe übrigens zwei Testosteron - Schleudern, der eine zuviel, der andere zuwenig. Was es nicht ausgleicht. 
Mein Herz wurde herausgerissen, ein Loch in meinem Körper hinterlassend. Als ich acht Jahre alt war, lag ich oft heimlich unter dem Esstisch meiner Eltern, von wo aus ich den Fernseher sehen konnte. Meine Mutter wunderte sich immer, warum ich nachts schreiend aus Albträumen erwachte, eines Tages erwischte mich meine Oma, die auf uns Kinder aufpasste, weil ich vor Schreck einen Schluckauf bekam. Ich liebte es, mich zu gruseln. Jetzt mag ich keine Horrorfilme mehr. Ich erschrecke mich jedesmal so sehr, dass meine Kinonachbarn  nur wegen mir aus dem Stuhl kippen, meine Schreie sind legendär. Dieses Jahr in den Hauptrollen: Die intrigante Stiefschwester und die erboste Schwägerin! Da bin ich gesegnet mit liebevollen Schwiegermüttern und dann soviel verheerendes Östrogen.
Das Dumme (und furchtbar Vorhersehende) bei Horrorfilmen ist die Stelle, wo die weibliche Hauptperson alleine in den dunklen Keller geht. Bewaffnet nur mit einer flackernden Funzel und mit irrwitziger Angst gesegnet schreiten sie die Treppe hinunter in die Dunkelheit. Wie dumm finde ich diese Frauen in den Filmen und bin doch diejenige in der Familie, die in die immer bereitgestellten Tretminen holder, lächelnder Weiblichkeit stolpert. Gesegnet seien sämtliche Geburtstagsfeiern! Und in dem Keller wird sie gefressen, gevierteilt, geschändet, erstochen, erwürgt und gefoltert. So fühle ich mich auch und stehe doch nur am Pranger, ich, das herzlose Miststück!
Als ich fünfzehn Jahre alt war, wollte ich nicht mehr Tierärztin werden. Ich konnte kein Tier einschläfern. Die Vorstellung, einem Lebewesen das Leben nehmen zu müssen, bedeutete für mich damals das Ende meiner schrecklichsten Vorstellung, Hölle genannt. Heute betrachte ich es einfach als eine Erlösungsmöglichkeit von schlimmsten Schmerzen. Ich hätte gerne eine solche Möglichkeit gehabt auf der Hochzeit. Zu wissen, dass nie wieder dieses unschuldige Wesen, dass ich mit sechzehn Jahren badete und fütterte, ihm das Schwimmen beibrachte, dessen Konzerte ich stolz begleitete, mich liebevoll und verschwörerisch betrachtete, dass dieser geliebte Mensch mich für immer verbannt, mich ohne Gericht verurteilt hat.
Vielleicht hätte ich schon immer Familienfeiern meiden sollen, ich habe kein Händchen für Diplomatie. Es ist nicht der Ort, an dem ich geborgen sein kann, er ist eine Schlangengrube. Ein paar flache Witze meinerseits haben noch nie jemanden zum Lachen gebracht, nicht mal pflichtbewusst. (Habe ich schon den Pranger erwähnt?)
Morgen ist Heiligabend. Ich werde mit zwei lieben Menschen und fünf Fellmonstern feiern, einer riesigen, glücklich gewesenen Pute, einem Berg Knödeln und einer Gewissheit: Morgen wird es gemütlich in meiner Comfort Zone, erst die Tage danach werden besuchsweise einsam. 


für D.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.12.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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