Hella Schümann

Niebüll, Reise der besonderen Art

Das fing ja gut an und wer war schuld? Ich. Erstens hatte ich im Vorfeld  nicht geschaut, wo Niebühl liegt, denn ich wollte 4 Tage am Meer verbringen und nicht so weit fahren. So traf mich der Schlag, als der Busfahrer sagte: „Wir brauchen 9 Stunden, um 16 Uhr sind wir da, wenn alles glatt geht. Als ich dann später an der Autobahn das Schild las: Flensburg 13 km, dachte ich, wir sind ja gleich in Dänemark. Zum Glück erreichten wir dann doch schon um 15 Uhr das Hotel. Nun erst entdeckte ich, dass wir im Binnenland wohnten, 15 km von der Küste entfernt. Von Wasser keine Spur, nicht mal ein Flüsschen oder ein Graben. 
Wieder lag das Noldemuseum in Reichweite, wieder konnte ich nicht hin. Vor Jahren, als ich mit meinem Exfreund jedes Jahr nach Dänemark fuhr, sah ich immer sehnsüchtig auf den Wegweiser, nie sind wir in die Ausstellung gegangen.
Nun bugsierte ich meinen Koffer in den Aufzug und als ich oben ankam brauchte ich einige Zeit, bis ich mein Zimmer fand. Es ging nach links, 3 Stufen hoch, zwei wieder runter dann nach rechts, immer den Nummern nach. Doch halt, falsch, wieder zurück, Stufen rauf, Stufen runter usw. Hier hätte man ein Navi gebraucht. Nach endlos langem Suchen fand ich endlich mein Zimmer. Blöd, dass die Zimmerzahlen nicht geordnet waren. Schräge Wände, sehr eng, sparsam möbliert und brütend heiß war mein Zimmer unterm Dach. Draußen wie drinnen 38°C.
Der erste Tag war ohne Programm, so machte ich mich auf in den Ort und suchte nach schönen Häusern oder ähnlichem. Rote hässliche Backsteinhäuser prägten das Bild. Ab und zu sah ich in den Seiten-Strassen mal ein reetgedecktes Haus.
Am Marktplatz spielte ein Opa mit Enkeltochter Straßenschach und an dem einzigen Springbrunnen vergnügten sich die Kinder. Dann entdeckte ich das Hainzmann-Museum mit modernen Skulpturen und Zeichnungen von Lothar Fischer, mal wieder nackte kopflose Frauen. Die Arbeiten gefielen mir nur zum Teil, die Zeichnungen gar nicht.
Das Abendessen im Hotel wirkte auf den ersten Blick vielfältig, es gab dreierlei Fisch und viererlei Fleisch, Gemüse, und noch diverse andere Beilagen.  Der Geschmack war ziemlich fade, es fehlte Salz und das Cordunbleu war hart wie Schuhsohle,
Am 2. Tag ging es zu Fuß zum Bahnhof, Sylt stand auf dem Plan. Es hätte alles so schön sein können, wäre da nicht die Frau gewesen, alt mit Schüttellähme, groß und stämmig, graue kurze Haare, aber nicht hässlich. Immer wieder attackierte sie mich mit aggressiven Bemerkungen. Ich zermarterte mir das Gehirn: Was hatte ich ihr getan und warum passiert mir das immer wieder auf die gleiche Weise. Ich hatte noch mit niemandem ein Wort gewechselt, weil es sich noch nicht ergeben hatte. Als ich dann am ersten Tag in den Bus stieg, bat ich den Fahrer um seine Handynummer, weil ich ja immer alleine gehe und falls mal etwas Unvorhergesehenes passiert, erklärte ich ihm. Er war einverstanden, doch später hatte ich es dann wieder vergessen. Als ich wieder in den Bus einstieg, sagte ich scherzhaft zu dem Fahrer: „Ich bin da, wir können fahren.“ Da bemerkte die Frau: Was für eine Egoistin.
Ich reagierte nicht darauf und von da an ignorierte ich sie. Was war das immer? Irgendwann ging mir dann eine riesige Laterne auf. Die Frau war eifersüchtig auf mich, wahrscheinlich wollte sie die Telefonnummer vom Fahrer. Das also war, was ich immer erlebt hatte, Sie waren auf mich eifersüchtig, weil ich gut ankam. Die nächste Attacke folgte dann auf diese Geschichte: Ich hatte dem Fahrer erzählt, dass ich immer das Pech habe, wenn ich an die See fahre, dann ist kein Wasser da. (Mehr habe ich nicht mit dem Fahrer gesprochen) Am nächsten Tag, als ich wieder in den Bus stieg, scherzte ich:  Schon wieder ist kein Wasser da. Der Fahrer hatte den Witz verstanden, die Frau aber sagte aggressiv: „Wenn gestern kein Wasser da war, dann ist heute auch keins da.“
Auf der Rückfahrt holte sie dann wieder aus. Als wir stundenlang im Stau standen, wollte ich wissen, ob in irgendeinem Bundesland vielleicht Ferienende  wäre, in Berlin müssten ja auch die Ferien zu ende sein. Da sagte sie: „Die fahren doch ganz anders.“ Ich fragte mich, woher sie das wusste, denn wir waren kurz vor Hannover. Ich denke eben nicht nur in eine Richtung. Übrigens habe ich nie mehr Sätze mit dem Busfahrer gesprochen, wie ich hier aufgeschrieben habe und sie saß sogar abends und beim Frühstück neben dem Fahrer. Was für eine Stärke muss ich wohl ausstrahlen, dass sie so eifersüchtig auf mich war.
Nun waren wir also auf Sylt gelandet und zwar in Westerland. Ich habe noch nie so eine hässliche Stadt auf einer so begehrten Insel gesehen. Riesige Ferienblocks und dazwischen wie erschlagen kleine hübsche Häuser. Man musste schon genau hinsehen um sie wahrzunehmen. Es gab mehr Banken als Restaurants, was heißt Restaurants, es waren alles Imbisse mit Selbstbedienung. Da ich schon so lange herum gelaufen war bei der Hitze, wollte ich gemütlich sitzen und mich bedienen lassen. Sonst hätte ich mir ja ein Fischbrötchen kaufen können und mich an den Brunnen gesetzt. Nachdem ich einen Einheimischen gefragt hatte, fand ich endlich ein Fischrestaurant wo man allerdings nur an der Theke bedient wurde und sitzen konnte ich auch. Das krasseste fand ich aber, dass überall chice, teure Läden wie Gucci, Liebeskind usw. das Einkaufsbild prägten. Wie passte das zusammen? Natürlich suchte ich auch die Nebenstraßen auf und fand das Rathaus und ein Casino. Von weitem schon fiel mein Blick auf zwei Ottifanten im Schaufenster des Casinos. Dort war eine Ausstellung von Otto Walkes und er war sogar anwesend. 
Wieder erschlug uns die Hitze mit 38°C und da ich mir eine Tageskarte für den Strand gekauft hatte, konnte ich endlich barfuss im Sand laufen. In kleinen Pfützen, die die Ebbe mir gelassen hatte, erfrischte ich mich ein wenig. Kinder gruben nach Krebsen und ein kleiner Junge  zeigte mir stolz eine Krabbe, die sich an seiner Schaufel festklammerte. Eine Frau sprach liebevoll mit einer Möwe und die hörte begeistert zu. Es gab Buden auf der Promenade, aber nichts Besonderes.
Da alle aus meiner Reisegruppe schon früh ins Bett gingen, machte ich mich alleine auf in den Ort. Die Bürgersteige waren schon hochgeklappt, nur am Kino saßen Leute vor der Tür. Als ich fragte, wo man hier einen Cocktail trinken kann, berieten sie sich lange und es fiel ihnen nichts ein. Schade, denn zu meinem Urlaub gehört auch immer ein, wohlgemerkt 1 Cocktail.
So setzte ich mich noch eine viertel Stunde an den Brunnen, wenigstens etwas Wasser, aber da niemand vorüber kam, machte ich mich schließlich auf den Rückweg, in der Hoffnung, auf der Terrasse des Hotels noch jemanden anzutreffen. Um 22 Uhr war dort schon allgemeiner Aufbruch. Ein Glutofen empfing mich im Zimmer, sodass ich am nächsten Morgen dachte, ich hätte ins Bett gemacht. In meinem ganzen Leben habe ich nicht so  geschwitzt.
Am zweiten Tag fuhren wir mit unserem klimatisierten Bus zum Schiffsanleger und dann eine lange erholsame Zeit auf dem Schiff zur Hallig Hooge. Wieder zeigte das Thermometer 38°C, sie hatten aber Gewitter mit unwetterartigen Sturmböen angesagt. Das gab es zum Glück erst in Kleinformat am Abend, als wir das Hotel erreicht hatten. Eigentlich wollte ich meine  leere Flasche im Bus gegen eine volle austauschen, aber bei der Hitze versagte mein Gehirn anscheinend. So wanderte ich alleine mit der leeren Flasche über den Deich zur alten Schleuse. (Die Anderen ließen sich mit der Kutsche herumfahren) Das war ein riskantes Manöver, aber typisch für mich. Ich hatte ja nicht mal die Telefonnummer vom Busfahrer. So musste ich mit viel Aufmerk-samkeit über die holperigen Steine gehen. Wäre ich mit dem Schuh hängen geblieben und den Deich herunter gefallen, hätte mich niemand gefunden und ich dümpelte immer noch als Leiche im Nordseewasser  herum. Schatten suchte ich vergeblich und nach der Deichwanderung setzte ich mich erst mal an einen Fluss und legte mir ein Handtuch auf den Kopf. Die ganze Zeit hatte ich eine leere Flasche im Gepäck, sehr komisch. Da bemerkte ich ein paar hundert Meter entfernt die Kirche. Ich dachte sofort an Nächstenliebe und Hilfe in der Not und schleppte mich bis zum Friedhof, den man zuerst erreichte, hat das was zu bedeuten?
Jemand fegte den Weg, wahrscheinlich der Pfarrer und nach dem griesgrämigen „Moin“ wagte ich nicht zu fragen, ob ich ein bisschen Leitungswasser in meine Flasche haben könnte. In der Kirche übte jemand Händel, aber ein ungutes Gefühl überkam mich und ich wanderte weiter. Kein Baum, kein Strauch, kein Mensch, selbst die Kühe, die ja sonst so neugierig sind, schauten weg. Mit letzter Kraft schaffte ich den steilen Weg auf die Warft. Dort fand ich unter schattigen Bäumen das nette Ehepaar, dass an meinem Tisch im Hotel saß.  Im Lokal wurde nur Platt gesprochen, ich liebe das und es war wieder Selbstbedienung. Ich aß eine Friesentorte, das ist viel Luft nämlich Blätterteich mit Kirschen und Sahne.
Diesmal war ich am Abend so erschöpft, dass ich um 9 Uhr in meine Sauna ging, noch etwas fernsah und dann auch bald einschlief.
Was für ein seltsamer Urlaub war das. Viel Negatives wie z.B. der Partner von meiner Tischnachbarin, so ein schrecklicher Mann. Da war ein Paar zusammengekommen, die lieber einen Partner hatten egal was für einen, als allein zu leben.  Er stand mit mir auf dem Parkplatz während ich nach dem Gewitter Spiegelungen in Pfützen fotografierte. Da stiegen  die Sänger vom  Shantychor aus ihren Autos, zum Teil gutaussehende Männer. Da wandte er sich zu ihnen mit den Worten: „Die kann Sie ja mal fotografieren.“ Auf meine Antwort, dass ich keine Männer fotografiere sondern Kunstfotos mache, erwiderte er: „Aber das sind doch  Künstler.“ Er kapierte nichts. Einmal sagte er zu seiner Lebensgefährtin: „Wenn Du immer so viel frisst, musst Du dich nicht wundern, wenn es dir schlecht geht.“ 
Ein anderes Mal als wir Abendessen bekamen, dachte ich sofort an Loriot, denn sie hatte ein nudelähnliches Gebilde an der Stirn. Am nächsten Tag saß eine grüne Nudel an seinem Kinn. Das war das einzig Komische an der Reise. Etwas Nettes gab es auch, ein Mann sprach mich an, als ich am Büffet stand und wollte wissen, woher wir kamen, wie lange wir blieben usw. Er war nicht unsympathisch.  
Ich überlege, ob ich noch einmal solch eine Reise mache, denn die war wohl zu billig in jeder Form.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.12.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.

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