Manfred Bieschke-Behm

Mutti warum steht der Mann da und bettelt?



Januar 2016. Seit Tagen sinkende Temperaturwerte. Dauerfrost. Nur Abgehärtete oder wer unbedingt raus muss, geht vor die Tür. Wer die Möglichkeit hat sucht sich ein warmes Plätzchen im Café oder Kaufhaus. Kurt steht wie angefroren an einer Hauswand zwischen und bettelt. Er spürt seine Hände nicht. Er spürt seine Füße nicht. Er spürt eigentlich überhaupt nichts. Nicht einmal Hunger. Er spürt nur eine Eiseskälte im Gesicht. Es ist ein Gefühl, als würden scharfe Messer seine Gesichtshaut durchschneiden. Nebenbei schmerzt die Missachtung der Menschen die achtlos an ihm vorübergehen. Er beobachtet Vorbeieilende die ihm einen verstohlenen, manchmal bösartigen Blick zuwerfen und sein Herz verkrampfen lässt. Viele vermeiden den Blickkontakt ganz indem sie sich bewusst abwenden nach dem Motto „Was ich nicht sehe, kann nicht da sein.“ Nur vereinzelt stellt sich jemand zu ihm und wechselt ein paar Worte. Viel zu selten werfen Vorübergehende einen Euro oder weniger in einen verbeulten Pappbecher den er zwischen seinen Füssen platziert hat. Seine müden Augen versuchen den Gebern anzulächeln, sein Mund schafft es nicht. Viel lieber wäre ich an deiner Stelle, denkt Kurt wenn ihm ein Gutgekleideter, Wohlriechender gegenüber steht. Er ist nicht neidisch, nur traurig, unendlich traurig. Die Zeiten, wo er von seinem Zuviel abgeben konnte, sind längst vorbei. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen an die Zeit wo er zunächst seinen Job verlor, dann seine Frau und seine kleine Tochter ihn verließen und letztendlich er sein zu Hause einbüßen musste. Kurt schämt sich für sein Äußeres. Er schaut auf seine abgewetzten Schuhe, in dem halberfrorene Füße stecken. Es waren einmal schöne Schuhe. Braune Lederschuhe. Polierte Schuhe. Gepflegte Schuhe. So wie auch er früher gepflegt durchs Leben ging. Er weiß, das die Sachen die er trägt nicht gut riechen. Wann habe ich das letzte Mal gebadet, fragt er sich und richtet seien Blick auf seine zerschlissene Hose unter der er eine weitere abgetragene trägt. Dankbar streift er mit beiden Händen über den dicken Pullover den er vor ein paar Tagen in einer Mülltonne fand. Unter dem dunkelblauen viel zu großem Pullover trägt er zwei dünnere zum Teil mit Löchern versehende Pullover. Für einen Moment träumt sich Kurt in eine warme Stube in der er frisch gebadet, rasiert, frisiert mit frischer Wäsche versorgt sitzt und genüsslich eine heißte Tee schlürft. Auf dem Tisch liegen verschiedene Obstsorten fein sortiert in einer Schale, zusätzlich steht eine dampfende Mahlzeit vor ihm, die nur darauf wartet verspeist zu werden. Aus einer Musikanlage dringt schöne Musik an sein Ohr und er hört seine Tochter sagen ....... „Mutti warum steht der Mann da und bettelt?“ Kurt wacht aus seinem Tagtraum auf. Er sieht eine Mutter mit ihrer Tochter vor sich stehen. „Komm Jana“, sagt die Mutter und zerrt an ihrer Tochter. Kurt spürt, dass die Mutter möglichst schnell weiter gehen möchte. Die Tochter lässt sich nicht wegziehen. Im Gegenteil. Sie versteht es ihre Mutter zum stehenbleiben zu bewegen. Die Tochter wiederholt ihre Frage:  „Mutti warum steht der Mann da und bettelt?“ „Das weiß ich nicht“, erklärt die Mutter und versucht mit „komm jetzt.“ Das weitergehen zu erzwingen. Die Tochter lässt sich nicht beirren. Sie will eine erklärende Antwort hören. Nachdem Jana begriffen hat, dass sie keine befriedigende Antwort zu erwarten hat löst sie sich aus der Hand der Mutter und geht auf den Obdachlosen zu. Sie stellt sich vor ihm hin und betrachte Kurt von oben bis unten wie man das tut wenn man sich ein beeindruckendes Denkmal ansieht. Kurt versucht das Mädchen zaghaft anzulächeln was ihm kaum gelingt. Mit einem Auge schaut er auf das Mädchen und mit dem anderen Auge schielt er hinüber zur Mutter die nur wenige Schritte von ihm entfernt steht und voller Ungeduld die Szene beobachtet. „Komm jetzt, Jana“, ruft sie ungehalten. Jana tut so, als würde sie ihre Mutter nicht hören. Vielmehr schaut sie gebannt auf Kurts Hände die er übereinander geschlagen vor seinem Bauch hält und sagt: „Deine Hände sind ganz blau. Hast du keine Handschuhe?“ Während Kurt sagt: „Nein Kleines, Handschuhe besitze ich nicht“, sieht Jana auf ihre in rosarot eingepackten Hände. Flugs zieht sie ihre Handschuhe aus und reicht sie Kurt mit ausgestreckten Armen. Kurt ist gerührt und sagt: „Das ist lieb von dir. Aber deine Handschuhe sind viel zu klein für meine großen Hände“. Während er das sagt schaut er angeekelt auf seine ungepflegten Hände und schämt sich dafür. Dabei merkt er nicht das sich Jana auf drängeln ihrer Mutter von ihm entfernt hat. Dafür sieht er neben seinem fast leeren Pappbecher Janas rosarote Handschuhe liegen. Kurt bückt sich, hebt die Handschuhe auf und legt sie zwischen seine Hände. Er presst beide Hände ganz fest zusammen und spürt wie Wärme durch seine Körper fließt. Er ruft „Kleines, du hast deine Handschuhe liegen lassen.“ Jana, wieder an der Hand ihrer Mutter Richtung Kaufhauseingang gehend, dreht sich um und legt ihren rechten Zeigefinger auf ihren Mund und lächelt. Kurt lächelt zurück. Verstohlen wischt er sich eine Träne weg.
 

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