Irene Beddies

Lächeln


 
 „In wenigen Minuten erreichen wir Hamburg.“
Es war Donnerstagmorgen.
Der Mann klappte seinen Laptop zu. Er hatte die ganze Strecke - von Frankfurt an - die Geschäftszahlen seiner Firma durchgespielt, um zu sehen, ob ein Konkurs noch abzuwehren war. Er hatte bei keinem Halt aufgeschaut, so vertieft war er in die Materie. Nun schaute er zum ersten Mal auf sein Gegenüber.
Eine junge Frau machte sich bereit, ebenfalls ihre Sachen zusammenzupacken. Sie hatte verweinte Augen, letzte Tränenspuren waren noch auf ihren Wangen zu sehen. Sie reckte sich gerade hoch, um einen Koffer aus dem Gepäcknetz zu hieven. Der Mann packte den Koffer und stellte ihn in den Gang. Die Frau starrte den Mann einen Moment verwundert an. Dann schenkte sie ihm ein Lächeln, das tief aus ihrem Innern zu kommen schien, denn es spiegelte sich in ihren Augen.
Der Mann war seltsam betroffen. Seine Sorgen traten für Augenblicke in den Hintergrund.
 
In der Bahnhofshalle kaufte sich der Geschäftsmann einen Kaffee. Neben ihm wartete eine ältere Frau in einem grauen Mantel. In Gedanken an sein Erlebnis im Abteil lächelte der Mann der Frau aufmunternd zu und verschwand.
Die ältere Frau schien ein wenig aufzublühen. Wie lange hatte ihr kein Mann – ob jung oder alt – mehr zugelächelt. Mit beschwingteren Schritten eilte sie zum Buchladen, um sich eine Reiselektüre für die Fahrt am nächsten Tag zu kaufen.
 
Da sie nicht gleich die Abteilung fand, die sie suchte, wandte sie sich an eine junge Verkäuferin in einem roten Pulli. Die  starrte in den Computer und hatte offenbar die Welt um sich herum vergessen. Als sie sich plötzlich unsanft aus ihren Gedanken gerissen sah, wollte sie schon geschäftsmäßig kalt die ältere Frau abwimmeln, da traf sie ein freundliches Lächeln. Sie lächelte zurück. Dann half sie der Kundin, die rechte Abteilung zu finden und sie auch noch über einige interessante Neuerscheinungen zu informieren. Die Kundin war von so viel Freundlichkeit überrascht. Sie verließ den Laden zufrieden mit ihrer Neuerwerbung und lächelte in der Vorfreude auf ihre Lektüre die Kassiererin an.
 
Die Verkäuferin begab sich wieder an der Computer. Da kam schon ein neuer Kunde mit einer Frage. Sie lächelte ihn an, nicht nur mit dem üblichen einstudierten Lächeln, sondern mit einem, an dem auch die Augen beteiligt waren.
Der Kunde war ein etwas schüchterner junger Mann. Er wurde rot. Er war überwältigt, dass ihn eine junge Verkäuferin mit einem solchen Lächeln bedachte.

Der Tag fing gut an!
 
 
©I. Beddies



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.01.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Irene Beddies hat in diesem Band ihre Märchen für Jugendliche und Erwachsene zusammengestellt.
Vom Drachen Alka lesen wir, von Feen, Prinzen und Prinzessinnen, von kleinen Wesen, aber auch von Dummlingen und ganz gewöhnlichen Menschen, denen ein wunderlicher Umstand zustößt.
In fernen Ländern begegnen dem Leser Paschas und Maharadschas. Ein Rabe wird sogar zum Rockstar.
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