Florian Brigg

Dorothy

 

Dorothy

Fatale Leidenschaft
 
Ich lernte Cecil Duncan anlässlich einer Party des lokalen Reitclubs kennen. Uns verband vom ersten Augenblick ein gemeinsames Desinteresse: und das waren – verwunderlich, da ja Cecil Duncan einen kleinen Reitstall sein Eigen nannte – Pferde! Wenige Tage nach unserem ersten Treffen erreichte mich im Hotel sein Anruf, ob ich ihn wohl auf seinem Gut Willington Mansion besuchen wollte? Gerne folgte ich seiner Einladung, und es war ein wirklich kurzweiliger Besuch. Cecil Duncan erzählte von seiner Heirat vor 10 Jahren mit Rose Willington, deren Vater das Gut, die kleinen Ländereien verwaltete und den Reitstall betrieb. Im fünften Ehejahr verstarben kurz hintereinander Rose’s Eltern, und so sah er sich gezwungen, seinen Job bei Barkleys Bank aufzugeben und die Führung des Gutes zu übernehmen. Rose unterstütze ihn bei diesen Aufgaben, war sie doch seit vielen Jahren mit der Betriebsführung vertraut, eine exzellente Reiterin und hingebungsvolle Tierliebhaberin.
 
Cecil Duncan bewarb sich um einen Parla­mentssitz, engagierte sich an einer Interessensplattform der mittelständischen Gutsbesitzer der Grafschaft und wurde schließlich zum ‚Sir’ geadelt.
 
Dann kam der Tag, der durch drei Ereignisse Sir Cecil‘s Leben von Grund auf verändern sollte. Aus Australien traf der Brief von Dorothy Willington ein, und Rose’s Arzt rief an und ersuchte um eine Besprechung ihrer zwischenzeitlich erstellten Befunde in seiner Ordination. Mike Dewers übersandte ein Bewerbungsschreiben als Stallaufsichtsorgan.
 
Der Inhalt des australischen Briefes setzte Sir Cecil in Erstaunen. In wenigen Zeilen stellte sich Dorothy als weit entfernte Verwandte von Rose Duncan vor, die ein Betriebswirt­schaftsstudium in England anstrebte. Sie würde im Herbst eintreffen und auf Wunsch der Eltern einen Besuch auf Willington Mansion machen. Im Gespräch mit ihrem Mann glaubte Rose, sich an Erzählungen über den australischen Zweig der Familie erinnern zu können. Sie griff zum Telefon und erreichte prompt Mrs. Willington in Brisbane im äußersten Osten Australiens. Es war ein herzliches Gespräch, das über Tausende Meilen und über längst vergangene Zeiten geführt wurde. Am darauffolgenden Tag wurde die entfernte Verwandte Dorothy offiziell und herzlich zum Besuch auf Willington Mansion schriftlich eingeladen.
 
Nun aber zum Anruf von Sir Cecil’s Hausarzt. Sir Cecil‘s Gattin litt seit geraumer Zeit an Schmerzen im Oberbauch und häufigem Erbrechen, wodurch ein unbeeinflussbarer Gewichtsverlust eintrat. Sie suchte daraufhin den Hausarzt auf, der sie an das Community Hospital verwies, wo Röntgen- und Ultraschall­untersuchungen vorgenommen wurden. Nun hatte der Hausarzt wohl die Befunde erhalten. Sir Cecil begleitete seine Gattin in die Ordination, wo beide die niederschmetternde Diagnose erfuhren: Pankreaskarzinom. Diese Form von Krebs bleibt lange Zeit unerkannt, erst im fortgeschrittenen Stadium zeigen sich Symptome. Lady Duncan starb fünf Wochen darauf.
 
Sir Cecil hielt nun das Bewerbungsschreiben von Mike Dewers in Händen. Dessen Herkunft war unbekannt. Es gab in der Ortschaft das Gerücht, er wäre ein ausgesetztes Kind, für dessen Betreuung das Sozialamt der Witwe Dewers‘ eine laufende Rente ausgesetzt hatte. Schließlich adoptierte die Ziehmutter den Knaben, um eine Erhöhung der Bezüge zu erreichen. Sie hatte es jedoch mit der Aufzucht des Kindes wahrlich nicht leicht. Mike war seit Kindheitstagen kleinwüchsig. Der zu groß geratene Kopf stand in keinem üblichen Verhältnis zu seinem Körper. Seine ebenfalls zu klein geratenen Gliedmaßen strotzten jedoch von Bündeln von Muskeln. Über seine Intelligenz gingen die Meinungen auseinander. Witwe Dewers bezeichnete ihn als bauern­schlau und gerissen. Bei seinem Weiter­kommen in der Schule hatte sie ihre liebe Not. Was immer sein Charakter und seine Intelligenz auch sein mochten, er verstand sich in späteren Jahren ausgezeichnet auf Pferdehaltung, Pflege der Tiere und war trotz seines körperlichen Defizits ein passabler Reiter. Jahre verbrachte er auf dem Nachbars­gut der Duncans‘, wo er es bis zur Position des Stallmeisters brachte. In seinem Bewerbungsschreiben an Sir Cecil gab er ‚Weiterbildung’ als Grund für seinen beruf­lichen Veränderungswunsch bekannt. 
      
***
Der unerwartete Tod seiner Gattin stellte Sir Cecil vor viele Probleme. Neben seiner politischen Tätigkeit, die ihn zumindest einmal die Woche nach London führte, gab es plötzlich niemanden an seiner Seite, der ihm bei der Gutverwaltung hilfreich zur Hand ging. Das Stallwesen und die Pferdebetreuung waren verwaist. Da kam ihm das Bewer­bungsschreiben von Mike Dewers gerade recht. Infolge der guten nachbarschaftlichen Beziehungen hatte Sir Cecil zuvor schon viel Gutes über den Zwerg gehört, was ihn bewog, diesen umgehend in Dienst zu nehmen. Glaubte der Gutsherr, vorläufig nach dem Rechten sehen zu müssen, wurde er sehr bald eines Besseren belehrt. Mike verwaltete die Stallagenden mit großer Umsicht, wurde von den beiden Stallburschen geschätzt und bewegte persönlich die für das Turnier vorge­sehenen Pferde mit großer Kompetenz. Er führte Neuerungen in der Nahrung der Tiere ein und verordnete ein längeres Verweilen auf der Koppel. Der betreuende Veterinär konnte anlässlich seiner Routinebesuche Sir Cecil für seinen missgestalteten Stallmeister nur das beste Zeugnis ausstellen.
 
Der Zufall wollte es, dass Sir Cecil bei einem seiner Besuche in der lokalen Filiale von Barkleys ein junger Mitarbeiter vorgestellt wurde, dem der Bankdirektor fachliche Kompetenz und betriebswirtschaftliche Kennt­nisse  attestierte. Außerdem sei er ein exzel­lenter Reiter. Sir Cecil konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, welch tragischen Mittelpunkt dieser junge Mann in seinem Leben demnächst  bilden würde.
 
***
Die Fülle der jüngsten Ereignisse auf Willington Mansion ließen die Ankunft der australischen Verwandten in den Hintergrund rücken. Aber eines Tages stand sie vor der Tür. Mittelgroß, sonnengebräunt und mit einer Fülle ungebändigtem Blond über einem hübschen Antlitz. Sie saß Sir Cecil in dessen Arbeitszimmer gegenüber und berichtete von Familie und ihrem Leben in  Brisbane. Sie war eine äußerst eloquente Dame, die es aber auch verstand, ihrem neuen englischen Verwandten interessiert zuzuhören, der sich gleich zu Anfang des Gesprächs Dorothy‘s Anrede ‚Onkel’ verbat. Es wurde viel über das bevorstehende Studium gesprochen, Sir Cecil bot jede mögliche Hilfe bei der Quartier­beschaffung und des Transportes des recht umfangreichen Gepäcks an. Die Zeit verlief wie im Fluge und Sir Cecil schlug während des Essens vor, Dorothy möge doch die ersten Tage bei ihm auf Willington Mansion ver­bringen, was die junge Dame herzlich gerne annahm.
 
Während dieser frühen Herbsttage machte Sir Cecil die junge Frau mit dem Leben am Gut und dem Betrieb des Stalls bekannt. Er musste sich eingestehen, von der herzlichen Fröhlichkeit dieses australischen Mädchens beeindruckt zu sein. Ähnlich erging es dem Zwerg Mike, dessen Ausführungen über den Stallbetrieb und die Pferdehaltung Dorothy mit großem Interesse verfolgte. Bald sah man die beiden auf der Koppel, wo Mike sie mit der Springkunst der Pferde beeindruckte. Ein Beobachter der Szene würde wohl geschmun­zelt haben, Dorothy bei Mike untergehakt den Feldweg zurück zum Gut gehen zu sehen. Bei dieser Gelegenheit erwähnte der Zwerg die im kommenden Jahr anstehenden Distrikt-Spring­turniere, wohin Sir Cecil auf Mikes Empfehlung ein bestimmtes Pferd aus seinem Stall entsenden würde. Es wäre ein Jammer, dass man sich eines externen professionellen Jockeys mangels eines guteigenen Reiters werde bedienen müssen.
 
Schnell vergingen diese goldenen Tage, und Sir Cecil sah sich am Bahnsteig, wo Dorothy den Zug nach London bestieg. Es wurde vereinbart, dass sie, nachdem sie sich in den Universitätsbetrieb eingelebt hatte, wieder zu Besuch nach Willington Mansion kommen würde. Auf der Fahrt vom Bahnhof zurück auf das Gut überkam Sir Cecil ein bislang unbekanntes Gefühl von Leere.
 
***
Sir Cecil, der aus seinem Desinteresse an Pferden und Stall nie ein Geheimnis gemacht hatte, verbrachte plötzlich viel Zeit mit Mike Dewers in Gesprächen über die bevor­stehende Turniersaison. Er teilte die Meinung seines Stallmeisters über das Fehlen eines guteigenen Reiters, der sich über das ganze Jahr mit dem Turnierpferd beschäftigen würde, während einem externen Jockey bloß wenige Tage vor dem Turnier zur Verfügung stünden. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm der junge Bankangestellte ein.
 
Tags darauf erreichte Sir Cecil den jungen Mann in der Barkleys Filiale. Er stellte sich als Allen Hill vor und nahm gerne die Einladung des Gutsherrn zu einem gemeinsamen Lunch an. Über Steak and Kidney Pie bot Sir Cecil dem jungen Mann an, sich mit Duncan Rose, dem Turnierpferd, zu beschäftigen, es zu trainieren und eventuell beim Springturnier auch zu reiten. Allen, er wollte so von Sir Cecil angeredet werden, war von der Aufgabe faszi­niert und stellte sich am folgenden Wochen­ende auf Willington Mansion ein. Offenbar gefiel dem zukünftigen Reiter das Pferd und dem Pferd der zukünftige Reiter. Nachdem man sich über die finanzielle Seite von Allen‘s zukünftiger Arbeit geeinigt hatte, wies der kleine Mike den neuen Pferde­be­treuer in Aufgabe und Örtlichkeit ein.
 
Die Tage vor dem herannahenden langen Wochenende (der Bank Holiday fiel auf einen Montag) sahen hektische Arbeiten in den Räumen von Willington Mansion. Alles wurde auf Hochglanz geputzt, die Stallung gereinigt, die Pferde gestriegelt und das Fremden­zimmer für den bevorstehenden weiblichen Gast hergerichtet.
 
Dorothy machte kein Hehl aus ihrer Freude, einige Tage am Gut verbringen zu dürfen. Sir Cecil sprach von seinem Entscheid, einen Reiter für das nächstjährige Turnier aus eigenen Reihen stellen zu wollen, und Zwerg Mike machte sich erbötig, Allen der jungen Dame vorzustellen. Dies geschah bereits am darauffolgenden Tag. Mit ihrer offenen Herz­lichkeit begeisterte sie auch den jungen Mann. Er lud sie ein, auf der Koppel seinen Springversuchen beizuwohnen, die Mike mit milder, aber professioneller Kritik bedachte. Auch Sir Cecil gesellte sich zu der kleinen Gruppe. Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn, als er Dorothy‘s glockenhelles Lachen über eine von Allen‘s humorvollen Geschich­ten hörte. In einem aufkeimenden Einver­ständnis sahen sich Sir Cecil und der Zwerg an.
Dorothy‘s 20. Geburtstag fiel auf den letzten Tag des alten Jahres. Sie war bereits kurz vor Weihnachten angereist und genoss den Komfort, die Weitläufigkeit und Behaglichkeit des Gutes. Sie machte sich aber in den Bereichen der betrieblichen Abläufe, Kosten und Buchhaltung nützlich. Sir Cecil hatte sie ohne jeden Vorbehalt mit den Bilanzen des Gutes vertraut gemacht und genoss die fachlichen Gespräche mit der jungen, gut ausgebildeten Dame. Immer wieder schweifte sein Blick von den Akten zu ihrem darüber gebeugten Antlitz. Es beglückte ihn, wenn Dorothy neben dem Prüfen von Ziffern plötzlich hell auflachte und unvermutet einen kleinen Scherz zum Besten gab. Es beunruhigte ihn, dass er den Augenblick herbeisehnte, wenn jedermann zu Bett ging und Dorothy ihm den Mund zum Gutenacht­kuss bot. An diesem besonderen Abend war es aber noch nicht so weit. Sir Cecil hatte nicht nur eine New-Year‘s-Eve-Party, sondern gleichzeitig Dorothy‘s Geburtstagsfest vorbe­reitet. Gutsbesitzer aus der Nachbarschaft waren erschienen, Allen Hill’s Einladung war unumgänglich, war er doch zumindest im Bereich des bevorstehenden Springturniers ein wichtiger Bestandteil des Gutes geworden. Skurril gestaltete sich der Aufzug von Mike Dewers, dessen weißes Dinnerjacket sich vom übrigen Schwarz der Smokings der Herren abhob und seine Missbildung weiter unter­strich. Dorothy, in einem etwas gewagten Abendkleid, sah einfach hinreißend aus. Um Mitternacht ergriff Sir Cecil Dorothy‘s Hand, sprach ein paar Worte zum Jahresausklang und gratulierte ihr zum Geburtstag.
Er öffnete ein kleines Schächtelchen, in dem ein Diamantring hervorblitzte. Er wollte, die darauffolgende Umarmung hätte nie geendet. Mike überraschte Dorothy mit einer Silberkette und einem Anhänger in Form eines springenden Pferdes. Als sie sich zu ihm niederbeugte und ihn umarmte, fiel sein Blick in ihren atemberaubenden Kleidausschnitt. Sein Herz schlug höher. Schließlich meldete sich Allen mit einem Rosenstrauch. Den Anwesenden schien, die Umarmung würde länger als die vorangegangenen ausgefallen sein.
 
Der Tag des Springturniers näherte sich. Dieses Ereignis bildete den Gesprächsstoff innerhalb der Bevölkerung. Noch weit vor dem Bewerb wurden im Pub Fishermens Retreat Wetten abgeschlossen. Gesprungen wurde in der Klasse S**, was eine Hürdenhöhe von 150 Zentimetern und eine Tiefe von etwa zwei Metern bedeutete. Alle Guts- und Stallbesitzer aus der Umgebung waren bei diesem Turnier vertreten. Unter die lokalen Reiter mischten sich professionelle Jockeys. Willington Stables war mit Allen Hill auf Duncan Rose zum ersten Mal mit einem stalleigenen Reiter vertreten. Obwohl Sir Cecil Allen‘s Reitkünste vorbe­haltlos anerkannte, konnte er sich doch eines gewissen unguten Gefühls nicht erwehren. War dieser junge Mann wirklich imstande, ein derart professionelles Springturnier zu über­stehen? Was waren die Chancen auf einen Gewinn? Mike Dewers‘ häufig geäußerte Bedenken, Allen wäre zwar ein guter Reiter, aber bei weitem kein Springjockey, trugen zu Sir Cecil‘s Bedenken bei.
 
Die Tage bis zum Turnier verliefen wie im Fluge. Allen verbrachte viel Zeit auf der Koppel, wo er von den Stallburschen provi­sorische Hürden verschiedener Höhen auf­bauen ließ. Er selbst wählte die Ge­schwindigkeit beim Anlaufgalopp und die Absprungdistanz und schlug Mike‘s gute Ratschläge in alle Winde. War das Training vorbei, sah man Allen mit Dorothy durch die Gegend schlendern.
 
Im Stall von Willington Mansion wurden Duncan Rose der Sattel aufgelegt und die Steigbügel justiert. Unter Aufsicht von Mike Dewers legten die Stallburschen die Man­schetten um die Gelenke des Pferdes. Dann fuhr der Transportwagen vor das Stalltor. Allen half den Stallburschen beim Niederklappen der Treppe. Nun befanden sich bloß Sir Cecil und Mike Dewers vor der Box des Pferdes. Der Stallbesitzer ersuchte Mike, aus dem Medi­zin­schrank die Spritze und die Ampulle mit der schmerzlindernden Substanz Capcaicin her­bei­zuschaffen, eine unver­zicht­bare Vor­sichts­maßnahme bei jedem Wett­bewerb. Sollte sich ein Pferd verletzen, konnte man es mithilfe dieser leichten Droge vorerst schmerzfrei stellen. Sir Cecil streifte sich Einweghand­schuhe über und nahm Spritze und Medika­ment in Empfang, dann wies er Mike an, die Stallmannschaft herbeizuholen, um das Pferd auf den Transporter zu geleiten.
 
***
Die Tribünen am Turniergelände waren zum Bersten voll. Es gab in der Region kaum Menschen, die nicht am Reitsport interessiert gewesen wären. Zudem kannten sich die Stallbesitzer, deren Beschäftigte und Familien persönlich, was dem Ereignis ein intimes, feudales Gepräge verlieh. Es war ein sonniger, nicht allzu warmer Tag. Auf den Rängen drängten sich die Zuschauer, in den Logen schlürften die Stallbesitzer ihre Getränke. Sir Cecil betrat das für Willington Stables reservierte Abteil, wo er bereits von Dorothy erwartet wurde. Nach und nach gesellten sich die Angestellten und Freunde der Familie hinzu.
 
Allen Hill auf Duncan Rose ging in Position vier an den Start. Wie schon bei seinen Vorreitern, welche die Hürden mehr oder weniger ohne Fehl genommen hatten, be­gleiteten ihn anfeuernde Zurufe aus dem Publikum.
 
In einem für jedermann erkennbaren, allzu schnellen Galopp näherte sich Allen der ersten Hürde und nahm den nach vorn geneigten Springsitz ein. Ein Aufschrei unter den Zuschauern: Duncan Rose scheute und verweigerte den Sprung. Allen trieb das Tier ungeduldig in die Anlaufposition zurück und setzte erneut zum Sprung an. Und da geschah es! Das Pferd hetzte in Richtung Hürde und überwand das Hindernis mit einem gewaltigen Sprung, setzte jedoch danach so unglücklich mit den Vorderhufen auf, dass es zu Sturz kam und sich dabei überschlug. Unter dem Tierleib blieb der Reiter bewegungslos liegen. Die Zuschauer auf den Tribünen und in den Logen waren aufgesprungen, und ein Schrei des Entsetzens ertönte aus vielen Kehlen. Die herbeigeeilten Rettungskräfte bargen Allen‘s Körper, betteten ihn auf eine Bahre und sprinteten zum Sanitätszelt. Dort konnte Dr. Mariner jedoch nur mehr den Tod des Reiters durch Genickbruch konstatieren. Duncan Rose wurde nach dem schrecklichen Unfall auf einer Palette mittels eines Traktors aus dem Gelände gezogen und mit einem Gewehr­schuss von seinen Leiden erlöst.
 
Die Laboruntersuchung ergab einen hohen Gehalt des Pferdedopingmittels Ephedrin im Blut des Kadavers. Dieses Mittel ist in Wettbewerben zur Unterstützung der Leis­tungs­fähigkeit der Tiere verboten. In größeren Dosen führt es zu Überreaktionen und kräfteraubenden, unkontrollierbaren Höchst­leistungen.
 
Die Polizei entdeckte in den Stallungen von Willington Mansion eine Injektionsspritze mit einem Restinhalt einer Konzentration von Ephedrin. Die kriminaltechnische Unter­suchung fand die Fingerabdrücke von Mike Dewers auf dem Instrument.
 
***
Ich saß im Vernehmungsraum des Distrikt­gefängnisses dem Strafgefangenen gegen­über. Der vernehmende Beamte hatte mir erklärt, der Häftling hätte von sich aus angezeigt, dem Pferd vor dem Turnier die verhängnisvolle Spritze verabreicht zu haben, in der Absicht, dem Reiter gesundheitlichen Schaden durch den Sturz des Tieres zuzufügen. Er habe die Tat als Folge einer unbezähmbaren Eifersucht dargestellt. Er gab zu Protokoll, er hätte wissen müssen, dass er niemals die Liebe der jungen Frau aus Australien hätte erringen können. Aber sie in den Armen eines anderen zu wissen war mehr, als er ertragen konnte.
 
Kurz vor Verlassen des Raumes drückte ich als Geste meines Mitgefühls meine Hand an die seine – getrennt durch eine Glasscheibe. Ich blickte noch einmal zurück. Sir Cecil barg das Haupt in seinen Armen. 
 
 
 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Florian Brigg).
Der Beitrag wurde von Florian Brigg auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.01.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Florian Brigg als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Zwei Märchen-Romane: Cinderellas Wahl und Leon, der gestiefelte Kater von Stephan Lill



Cinderellas Wahl

Cinderella liebt den Prinzen. Oder bildet sie sich das nur ein? Was ist mit Tim, dem Stallburschen? Er war ihr treuester Freund in all den Jahren, als sie zu leiden hatte unter den Schikanen von ihrer Stiefmutter und ihren zwei Stiefschwestern.

Leon, der gestiefelte Kater

Wie kann ein Müllersbursche eine Prinzessin erobern? Braucht er ein Schloss dafür, einen Grafen-Titel, die Begabung eines Hofmalers oder ist sein größter Trumpf: Leon, der gestiefelte Kater?

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Sonstige" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Florian Brigg

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Das eben ist der Fluch der bösen Tat von Florian Brigg (Drama)
Smarty von Karl-Heinz Fricke (Sonstige)
Manitoba-Thompson- fünfter Teil von Karl-Heinz Fricke (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen