Helena Ugrenovic

Vom Winde verweht

«So einen Typ brauchst du, Mam, so ein Mann passt zu dir! Beziehungsweise - solche Männer!», aufgeregt zeigt der Stern meines mütterlichen Himmels auf die Glotze. Neugierig blicke ich über den Rand meiner Lesebrille und folge ihrem wedelnden Zeigefinger. In ihrer Stimme schwingt die Erkenntnis mit, die ich schon längst in mir trage, doch äusserst widrige Umstände, klammernde Ehefrauen, Six-Pack-Victoria's Secret Models und sonstige Green-Smoothie-Vegan-Addicted-Null-Size-Trägerinnen ein Zusammenkommen mit eben besagten und zu mir passenden Hollywood-Kerlen sabotieren. Über die Mattscheibe flimmert The Expendables. Genüsslich betrachte ich die knallharten Agenten, Elite-Einheit-Spezialtrupp-Stars in schweren Stiefeln und Kampfausrüstung. Enge schwarze Shirts spannen sich um ihre breite, durchtrainierte Brust. Auf den gebräunten, muskulösen und sehnigen Armen glitzern Schweissperlen über den Tattoos, Handgranaten und silberne Dolche baumeln an den Hosentaschen der Retter des Planeten und der Testosteron geschwängerte Tornado wirbelt direkt aus der Glotze in mein Wohnzimmer. Bevor ich mich in ungezügelten, nicht jugendfreien Phantasien verlieren und dabei vergessen kann, dass mein Ein und Alles neben mir sitzt und nicht eine Freundin, mit der ich eines der typischen und unter Tochter-Zensur stehenden Champus-Gott-ist-der-Typ-heiss-Freundinnen-Gespräche führen kann, ohrfeigt mich mein Verstand und reisstnmich in die Realität zurück.

«Du meinst aber nicht Sylvester Botox Stallone, Mickey die Ruine Rourke oder Jet Liliput Li?», misstrauisch fixiere ich die Rose meines Lebens. «Sicher nit! Spinnsch?», empört sich mein Ein und Alles, «Jet Li ist zwar cool, aber viel zu klein für dich. Ne Mann, Jason Statham, Dolph Lundgren, Steve Austin, Eric Roberts oder Gary Daniels! Ich meine so rein vom Aussehen her, so richtige Männer halt, weisste?» Ich weiss, du treffsicheres Orakel meines Daseins. Seufzend blicke ich dem Rauch meiner Zigarette nach, der genauso in der Luft verpufft wie die Wahrscheinlichkeit, von Jason Statham, Dolph Lundgren oder Eric Roberts  aus den Fängen böser Guerilla-Kokain-Krieger gerettet und danach bis ans Ende unserer Tage auf liebestolle Rosen gebettet und mit heissen Küssen übersät zu werden. «Und dann erst der Typ damals am Flughafen! Aber haaalllooo, DAS war auch ein saucooles Schnittchen! Der hätte auch meeeeeega gut zu dir gepasst, aber du hast es ja vermassel!», doppelt die allergrösste Liebe meines Lebens nach.
 
Hong Kong International Airport. Um 23:40 Uhr werden wir den A380 von Emirates besteigen, zái jián und bis bald flüstern und zurück nach Europa fliegen. Zurück zu normalen Kleidergrössen und in eine Ecke der Welt, in der wir uns nicht wie Hagrids inmitten von zierlich kleinen Hobbits fühlen. Das letzte chinesische 20-Töpfe-und-Teller- Gourmet-Menü ist verputzt und wir schlendern gemütlich zur Raucher-Lounge. Fieberhaft krame ich in meiner Handtasche nach den Flugangst bekämpfenden Tranquilizern und laufe hinter meinem schnatternden Stern in die Lounge. Wo sind meine kleinen, runden Babys ohne die und türkisblauem Bombay Saphire ich keinen Fuss in so einen Vogel setze? «Hast du sie?» «Yep!» Erleichtert wende ich den Kopf und blicke direkt in das lächelnde Gesicht eines hochgewachsenen Mannes. Dunkelblaues Jackett, verwaschene Jeans und ein weisses Hemd. Die fast kinnlangen Haare hängen ihm verwegen ins Gesicht. Unwillkürlich bleiben meine Augen an seinen haften. Und da ist er. Dieser winzige und unerklärbare Moment, der unerwartet und plötzlich wie glitzernder Goldstaub in der Luft hängt. Irritiert starre ich ihn an und verfalle spontan ich in die typische Frauenhaltung, Kopf hoch, Brust raus, Bauch rein und verfluche das chinesische 20-Personen-Menü. Der Blick des Unbekannten ist wie warmer Sommerregen und ich setze mich verlegen neben mein Ein und Alles, die an ihrem iPad hantiert. Unkonzentriert streiche ich über den Display meines Handys und frage, «Guckt er mich an?» «Yep.» Jackpot! Zufrieden kichere ich. Ich bin Xena, Aphrodite, Athene; ich bin kein Victoria's Secret Engel, ich bin der weibliche Vicky-Gott! Ich bin ein fliegendes Pony, das durch New York's Skyline fliegt, dabei lauthals wiehert und mit den Hinterhufen Fensterscheiben einschlägt. Yippie-ay-ey.

«Er sieht cool aus, gell?» Er sieht unverschämt sexy aus. «Yep.» «Soll ich auch gucken?» Ich will zu ihm laufen und eine belanglose, atemlose Unterhaltung beginnen, während der Goldstaub auf uns niederrieselt. «Yep.» «Ja und dann? Dann fliegen wir in verschiedene Himmelsrichtungen?» Der Unbekannte spricht mit holländischem Akzent, wahrscheinlich fliegt er nach Amsterdam, oder auch nicht? Vielleicht lebt er in Asien? Amerika? In meinen Gedanken formieren sich mögliche Flugrouten und meine Synapsen stehen kurz vor der Explosion. «Yep.» Entnervt starre ich die schönste Blume meines Gartens an, «Gibt es noch andere Wörter ausser Yep?» «Nö.» Mutig blicke ich den Unbekannten an, der sich mit einem anderen Reisenden unterhält, sein Blick jedoch immer noch auf mir ruht. Zaghaft lächle ich zurück und widme mich wieder meinem Handy, starre blind auf irgendwelche Seiten, die ich online abrufe, ohne die Buchstaben richtig zu sehen. Ich spüre die Aura des Unbekannten, doch bin ich irgendwie gefangen und reagiere wie ein kleines, verstörtes Mädchen. Oder Vollpfosten. «Guckt er immer noch?» «Ja Mann!», verständnislos schüttelt mein Ein und Alles den Kopf, «mach was!» Würde ich gerne - aber was? Der Unbekannte gefällt mir, laut knallt der Startschuss, doch ich stolpere über hemmende Gedanken und Mutlosigkeit, bleibe sitzen und verharre in Erstarrung.

«Du weisst doch sonst immer, was du sagen sollst! Du redest doch sonst immer so viel! Wenn jemand haufenweise Diskussionsmaterial aus dem Ärmel schütteln kann, dann ja wohl du?!» Genau. Zum Beispiel über die zwei Ego zerstörenden Situationen, eine vor genau sechs Monaten in Bangkok und eine, so frisch wie ein gerade gepflückter Pfirsich vor wenigen Tagen auf dem Weg nach Macau. Als ich damals im Asia Market in Bangkok ein luftiges Sommerkleid für den Stern meines Lebens gesucht hatte und der dürre, winzige indische Verkäufer lächelnd sagte, ich bräuchte ein grösseres Kleid - da zu fett. Als auf besagtem Durchgang zur Fähre nach Macau eine durchgeknallte, winzige, dürre und zahnlose Chinesin zuerst meine Schönheit besang und dann den Satz - vor fünf Jahren warst du aber sicher noch schöner, denn jetzt biste fett! Du solltest mehr Sport machen! Joggen, was hältst du davon? - frontal in mein Gesicht schleuderte. Und obwohl ich nach wie vor nichts von Sport hielt, juckte es mich in den Fingern, vielleicht genau in diesem Moment mit Boxen und einem fetten, rechten Haken zu beginnen. «Mann Mam, der Inder hatte garantiert ein Sprachproblem mit Englisch und diese irre Verrückte vorgestern hatte sowieso einen an der Klatsche! Und übrigens sind wir in Asien, A-s-i-en! Der Kontinent der Zwerge und Hobbits! Wo jedes Victoria's Secret Model wie eine übergewichtige Riesin aussieht! Ausserdem müssen wir los.» Trotz ihrer Worte erliege ich der Mutlosigkeit und verschanze mich hinter dem Wort fett, das noch in meinen Ohren hallt. Gefalle ich dem Typ wirklich? Wieder laufe ich dem hellsten Stern meines Himmels nach. Bevor die Glastür sich hinter uns schliesst, drehe ich mich um, blicke ein letztes Mal in die funkelnden Augen des Unbekannten und lächle. Good bye Unbekannter...vielleicht treffen wir uns irgendwann an einem der Flughäfen dieser Welt wieder... Beschwingt laufe ich mit meinem Ein und Alles zum Gate und spüre den Blick des saucoolen Schnittchens in meinem Rücken.
 
Die Rauchkringel schweben vor der Glotze mit den Anti-Terror-Testosteron-Tattoo-Göttern. Doch der Gedanke an das saucoole Schnittchen am Flughafen in Hong Kong lässt mich nicht los. Ich verfluche meine Feigheit, den Inder in Bangkok, die irre Chinesin in Hong Kong und den ungesagten Satz «Hey hi, und wohin fliegen Sie?» Egal, was geschehen oder nicht geschehen wäre. Ich hätte einfach den Moment und die Möglichkeit wahrgenommen, hätte der Magie eine Chance gegeben, anstatt zwei Jahre später in Gedanken mit dem Kopf gegen eine Wand zu rennen, weil ich etwas nicht gemacht hatte, was ich jedoch sehr gerne gemacht hätte. «Wieso haste den eigentlich nicht angequatscht? Du redest so gerne und so viel, wäre ja kein Problem gewesen, irgendwas zu quatschen?,» stochert mein Ein und alles in der brennenden Wunde. Weil auch ich in so einem Moment verstumme und das Wort fett sich wie eine Zwangsjacke um mich gelegt und mcih gelähmt hatte. «Was meinste, wie viele Flugzeuge sind damals um diese Zeit gestartet?» Im Zeitraum zwischen  23:00 Uhr und 00:35 zirka 25. Der Interessanteste jedoch ist jedoch Cathay Pacific CX 271 nach Amsterdam. So jedenfalls steht es auf der Abflugseite des Hong Kong International Airports.  
 
 
 

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Wenn erst ein laues Lüftchen weht,
das sich naturgemäß dann dreht
und schnelle ganz geschwind,
aus diesem Lüftchen wird ein Wind,
der schließlich dann zum Sturme wird,
und gefahren in sich birgt-
Dann steht der Mensch als Kreatur,
vor den Gewalten der Natur.
Der Mensch wird vielleicht etwas klüger,
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