Kinderfreundlich

7:00 Uhr morgens
Rita Lindemann duscht, wäscht das Haar und freut sich auf den Tag. Kinderfreundlich und gemütlich ist ihr Apartment im Erdgeschoss der Mutter-Kind Abteilung in der großen Kurklinik. Sie ist sicher, dass auch ihre 5 jährige Tochter Pia sich hier die ganze Zeit wohlfühlen wird. Schon bei der Ankunft vor 6 Tagen fand sie schnell Freunde im großen Spielzimmer .

An alles hat man dort gedacht. Babypuppen, Kaufladen, bunte Schminke mit Schminktisch für die Mädchen, Autos ,Roller, Ritterburg mit  Helden für die Jungen. Aktuelle Märchenvideos, althergebrachte Gesellschaftsspiele, Legosteine, ein Indianerzelt und vieles Andere liegt nach Altersstufen fein säuberlich sortiert in den  Regalen .
Jeden Abend erzählt Pia in ihrem eigenen kleinen Zimmer, bevor sie ins Bettchen klettert, dem Plüschkätzchen Minka von ihren Erlebnissen und schläft dann meistens gleich nach dem Gute Nacht Küsschen schnell ein.

Rita zieht nach dem Duschen gleich den weißen Bademantel der Kurklinik an, füllt ein Glas mit kaltem Wasser und geht, um Pia nebenan nicht zu stören, leise durch die offenstehende Tür. Draußen vor der Terrasse zwitschern die Vögel. Die Gipfel der Berge am Horizont, selbst jetzt im Juli noch weiß, sehen aus wie die Kulisse in einer Schneekugel. Rita setzt sich auf den gepolsterten Stuhl, genießt die Idylle und schaut sich um.

Voller Entsetzen sieht sie ihre Tochter im Sandkasten des Gemeinschaftsspielplatzes der Kuranlage mit einem Fremden plaudern. Rita Lindemann beginnt zu zittern und der Schweiß bricht ihr aus.

„Pia, Pia“, ruft sie völlig aufgelöst und läuft los. „Lassen sie meine Tochter in Ruhe, sonst hole ich die Polizei, was machen sie hier eigentlich zu so früher Stunde“, schnauzt sie den Fremden auf der Holzschaukel zornig an .

„Mama, Mama der Onkel ist nicht böse wie du immer sagst, ich darf, wenn ich artig bin, sogar bei ihm sein Kätzchen streicheln, welches genauso aussieht wie meine Minka“, ruft Pia und blickt den Fremden dabei erwartungsvoll an.

Rita würdigt ihn keines Blickes. Ungeduldig nimmt sie die Hand ihrer Tochter und zieht sie heftig bis zur Terrasse hinter sich her. Sie bückt sich und drückt schweratmend ihr Kind an sich. „Versprich mir, nie wieder ohne mich das Apartment zu verlassen und auch nicht mit Fremden zu sprechen oder mitzugehen“, flüstert sie ihrer Tochter eindringlich zu ins Ohr.

„Ja, ja ich verspreche es“, antwortet Pia schnell und schaut dabei über die Schulter ihrer Mutter zum Spielplatz. Der Fremde sitzt noch immer auf der Schaukel,
hebt die Hand, winkt, öffnet eine Packung Kinderschokolade, steckt einen Riegel in den Mund und geht.

                                                                      (C) Martina Wiemers

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