Hans K. Reiter

Immer nachts...(1)

Den Hut tief in die Stirn gezogen, war das Gesicht des Mannes im mageren Schein der Straßenlaterne nicht zu erkennen. Exakt das gleiche sagten mehrere Passanten aus, als sie später von der Polizei danach befragt wurden. Einer meinte, im aufkommenden Nebelreißen sei nicht sehr viel auszumachen gewesen, eine Gestalt eben mit Hut und Parka, vielleicht oliv, wie sie auch beim Militär getragen werden.

Dagmar Hochfellner war nicht überrascht. Zeugen irrten sich häufig, was den Wahrheitsgehalt ihrer Wahrnehmungen anbelangte. Ihre Arbeit am LKA bestätigte dies jeden Tag. Alleine bei der Beschreibung von Kleidungsstücken differierten die Aussagen von Zeuge zu Zeuge oft fundamental bei ein und dem selben Vorgang. Noch eklatanter war es bei der Angabe von Farben. Was der eine mit Sicherheit als rot gesehen zu haben glaubte, war bei einem anderen mit gleicher Sicherheit grün oder schwarz gewesen.

Fakt war, dass keine hundert Meter von dem Ort entfernt, an dem die Person mit dem Hut gesehen worden sein soll, ein schwerer Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft stattgefunden hatte, bei dem der Ladeninhaber schwer verletzt worden war und später im Krankenhaus an den Folgen verstarb.

Während sich die Kriminalhauptkommissarin noch durch die Protokolle der Zeugenaussagen quälte, sassen mehrere Männer um einen Tisch gruppiert in einem Haus am Stadtrand und sprachen ausgedehnt den verschiedensten alkoholischen Getränken zu. Ihre Mäntel und Jacken an der Garderobe glänzten noch feucht vom Nebel auf den Straßen.

Jede Unterhaltung erstarb, als sich die Türe öffnete und ein weiterer Ankömmling das Haus betrat. Mit einem gekonnten Schwung warf der Neue seinen Hut auf einen Garderobenständer. Jetzt erst nahmen die Männer das üppige, blonde Haar wahr, das das Gesicht einer Frau einrahmte, die mit zwei geübten Griffen und einer Nadel die blonde Pracht nach rückwärts bändigte. Mit einem Kopfnicken quittierte sie einige spärlich gemurmelten Grüße.

Der Juwelier ist tot. War das notwendig?, bohrte sich die Stimme der Frau in die Gehirne der Männer. Energisch hatte sie ihr Kinn nach vorne geschoben, was ihr eine gewisse majestätische Ausstrahlung verlieh. Sie, etwa Mitte dreißig, war zweifellos hübsch, aber jeder der Anwesenden, der sich vielleicht einmal Hoffnungen gemacht hatte, hatte schnell lernen müssen, wie wenig gut mit ihr Kirschen essen war. Also ließen sie es bleiben, ebenso wie jede Anzüglichkeit. Manch einer hatte seinen Wagemut bereut, wenn er ihre beringten Finger unversehens schmerzlich auf der Nase oder anderen Gesichtspartien zu spüren bekam. Sie war der Boss, daran gab es nichts zu rütteln.

Es war Teil unseres Planes, fuhr sie fort. Betreten blickte die Männer um sich. Es war nicht unsere Schuld, versuchte einer eine Erklärung abzugeben. Ich weiß, sagte die Frau. Sie wissen?, warf einer der Männer verblüfft ein, woher?, fügte er noch an. Spielt keine Rolle, sagte die Frau, es hätte trotzdem nicht passieren dürfen. Wird es reichen?, fragte sie in die Runde. Ich denke schon, gab einer zur Antwort. Ich treffe morgen unseren Gewährsmann, dann wissen wir mehr.

Gut, sagte die Frau, wir treffen uns dann morgen am vereinbarten Ort. Bringt das Geld mit und ein paar Sachen für zwei drei Tage. Keine Ausweise, Pässe, Schlüssel oder was euch sonst identifizieren könnte. Haben wir uns verstanden? Die Männer nickten, dann verließen sie nacheinander in kurzen Abständen das Haus. Die Frau blieb noch zurück.

Dagmar Hochfellner indessen nahm das verschlossene Kuvert der Gerichtsmedizin, das ihr Assistent wortlos auf den Tisch gelegt hatte, öffnete es, nahm den Bericht, las und runzelte die Stirn. Kurz entschlossen rief sie ihr Team zusammen. Bitte mal herhören!, sagte sie bestimmt; nachdem, was hier steht, ist der Juwelier mit großer Wahrscheinlichkeit nicht an den Folgen eines physischen Angriffes gestorben. Die fragenden Blicke ihrer Leute verlangten nach Aufklärung.

Erklär du es!, sagte sie und reichte dem Assistenten den Bericht. Also, hob dieser an, der genaue Obduktionsbericht kommt noch, aber, was die Chefin meint, ist, die Verletzung des Mannes am Hinterkopf rührt nicht von einem Schlag her, sondern ist offensichtlich auf einen Sturz des Mannes zurückzuführen. 

Warum er gestürzt sei, ob es hierzu Annahmen gäbe und ähnliche Fragen mehr, stürmten auf den Assistenten ein, der etwas hilflos auf Dagmar Hochfellner blickte. Er scheint gegen eine der Vitrinen gefallen zu sein, sagte diese.Warum weiß ich auch nicht. Frag‘ bitte bei der Spurensicherung nach, wann wir deren Bericht bekommen, wies sie den Assistenten an. Das Blut des Opfers müsste ja irgendwo festgestellt worden sein, nicht wahr?

Die blonde Frau wartete noch einige Minuten, verließ das Haus, sperrte sorgfältig ab und deponierte den Schlüssel in einem Versteck hinter dem Haus. Sie trug jetzt allerdings lockiges, kastanienbraunes Haar, das bis über den Kragen einer modischen Jacke reichte. Ein tiefroter Schal war mehrfach um ihren Hals geschlungen. Vorsichtig blickte sie sich um, aber niemand war in der Nähe, der sie hätte bemerken können.

Einige Büros im LKA waren noch hell erleuchtet und in einem davon grübelte Dagmar Hochfellner über den Juwelier, dessen schicksalsträchtigen Sturz, über die Höhe der Beute und einiges mehr. Ah, du bist noch hier, schreckte sie die Stimme einer Kollegin hoch. Hast den Kurzbericht bekommen? Ich war gerade in der Gerichtsmedizin und hab‘ darum gebeten, dass man euch das Wichtigste sofort mitteilt. 

Danke dir, sagte Dagmar Hochfellner und dachte, als die Kollegin wieder ging, eine hübsche Frau, blond, alles was ein Mann sich so wünscht, dann war sie mit ihren Gedanken schon wieder beim Überfall. Die haben nur Leichtverkäufliches geklaut, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Warum lassen die Diebe weitaus wertvollere Schmuckstücke liegen?, sinnierte sie noch eine Weile, dann war es ihr klar. Die brauchen Geld und zwar schnell! Und das ging nur mit Schmuck, der von einem Hehler auch schnell umgesetzt werden konnte. Aufwändiger, zu teurer Schmuck war hierfür nicht geeignet.

Es klopfte, Dagmar Hochfellner blickte auf und sah den Assistenten abwartend an der Türe stehen. Komm rein!, sagte sie und wies auf einen Stuhl. Wissen Sie…, begann der Assistent gerade, als Barbara ihn zum x-ten Male unterbrach und anmerkte: Du – wir sagen hier alle Du zueinander. Vorsichtig, die Anrede mit Du vermeidend – Dagmar Hochfellner hatte nichts anderes erwartet –  startete er den Versuch, seine Theorie über den Sturz des Juweliers darzulegen.

Ja, so könnte es gewesen sein, pflichtete Dagmar seinen Ausführungen bei und fügte hinzu, er solle darüber eine Notiz anfertigen und seine Hypothese bei der Frühbesprechung vortragen. Ich soll…? Natürlich du, wer denn sonst?, fiel ihm Dagmar ins Wort und ihr entging nicht, mit welchem Stolz ihn ihre Worte erfüllten.

Die Frau mit der schicken Jacke nahm ein Taxi, sank auf die Rückbank und ließ die nächsten Schritte Revue passieren. Wenn der Schmuck genügend einbrachte, konnten sie bereits übermorgen ihren Plan, ja, es war IHR Plan, umsetzen. Danach, mit einer Menge Geld im Bunker, würde die weitaus schwierigere Phase beginnen. Stillhalten! Für sie kein Problem, aber würden es auch die Männer durchstehen? Sie war nicht sehr optimistisch, hatte aber auch hierfür einen Plan parat, einen gemeinen Plan, wie sie zugestand, aber sie würde sich nicht ein paar gieriger Idioten wegen einem nicht kalkulierbaren Risiko aussetzen. Nein, das würde sie nicht tun!

Fortsetzung folgt schon bald!

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Hans K. Reiter).
Der Beitrag wurde von Hans K. Reiter auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.02.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

Bild von Hans K. Reiter

  Hans K. Reiter als Lieblingsautor markieren

Buch von Hans K. Reiter:

cover

Tilt - Tödliche Affäre eines Konzerns von Hans K. Reiter



Im Januar 2007 und den Folgemonaten berichten die Medien über massive Vorwürfe von Korruption und der Bildung schwarzer Kassen in einem deutschen Konzern. Gierige Manager haben hunderte von Millionen verschoben, aber die Öffentlichkeit scheint mit der Zeit das Interesse zu verlieren, als immer neue Fragmente des Skandals bekannt werden. Kontrollorgane des Konzerns sind in den illegalen Handel verstrickt. Durch Zahlung gewaltiger, millionenschwerer Bußgelder zieht der Konzern den Kopf aus der Schlinge. [...]

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (2)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Spannende Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Hans K. Reiter

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Wetterumschwung von Hans K. Reiter (Skurriles)
Ein Tag wie jeder andere... von Rüdiger Nazar (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen