Hans K. Reiter

Immer nachts... (2)

Die Frühbesprechung diente dem schnellen Erfahrungsaustausch. Nicht alle Abteilungen im LKA handhabten es so, aber Dagmar Hochfellner legte Wert darauf, ihr Team mit dem aktuellen Stand von Ermittlungen, Laboruntersuchungen und Gerichtsmedizin vertraut zu machen. Manches entwickelte sich tatsächlich brandneu oft erst über Nacht. Sie nickte dem Assistenten zu.

Also, guten Morgen! Die Chefin hat mich gebeten, Ihnen meine Hypothese über den Tod des Juweliers vorzutragen. Er wird es nie lernen, dachte die Kriminalhauptkommissarin und unterdrückte ein Lächeln; er kann es einfach nicht. Und es stimmte. Der Assistent unternahm alles, um niemals jemanden mit Du oder das Team etwa mit Euch anzusprechen. Dann erläuterte er kurz und präzise, was er meinte. Die Spurensicherung, einen Bericht hatte er noch heute früh per Mail angefordert, erhärtete, dass der Juwelier mit großer Wahrscheinlichkeit ganz einfach über den Saum eines Teppichs, der vor einer der Vitrinen lag, gestolpert war, das Gleichgewicht verlor, stürzte und dabei sehr unglücklich mit dem Hinterkopf gegen die Verkaufstheke schlug.

Blutspuren des Opfers an der Theke und mikroskopische Partikel von Schuhcreme am Teppich belegen diese Annahme, schloss der Assistent seine Ausführungen. Also keine Gewalteinwirkung durch die Täter?, bemerkte einer aus dem Team fragend. Nein, keine, bestätigte Dagmar Hochfellner.

Zwei Kommissare aus dem Team bat Dagmar in ihr Büro. Wir haben nicht sehr viel, sagte sie, aber eins geht mir durch den Kopf. Die klauen nur Schmuck, der schnell zu verklopfen ist. Ich meine, diese Leute wollen schnell zu Geld kommen. Du denkst, Geld für einen größeren Coup?, entgegnet einer der Kommissare Genau das!, bestätigt Dagmar. Prüft mal bitte, ob sich in der nächsten Zeit etwas Besonderes tut. Auffallende Werttransporte, etwas mit Edelsteinen oder Schmuck, so in der Art.

Als sie so vor sich hin grübelte, steckte der Assistent den Kopf zur Türe rein und teilte mit, dass sich eine Kommissarin krank gemeldet habe. Sie wissen schon, die Blonde mit dem Hang zum Extravaganten. Ah, deshalb war sie nicht bei der Besprechung, murmelte Dagmar Hochfellner, winkte den Assistenten herein und dachte: Extravagant – was ihm so einfällt, aber treffend beschrieben.

Schau bitte nach, woran sie gerade arbeitet. Mal sehen, wie wir das verteilen, wenn sie länger ausfallen sollte. Eifrig rief der Assistent am Laptop den Dienstplan auf. Schutz, sagte er gedankenverloren, Werttransport vom Flugplatz in die Kardinal-Faulhaber-Straße. 

War ihr da etwas entgangen? Solche Aufträge wurden doch üblicherweise von der Münchener Polizei erledigt. Und, wieso war sie gestern in der Gerichtsmedizin gewesen? Der einzige aktuelle Tote war der Juwelier. Gab es da einen Zusammenhang

Am späten Nachmittag fanden sich die Männer am vereinbarten Ort ein und warteten auf die Chefin. Einer von ihnen, etwas abseits sitzend,  führte einen Aktenkoffer mit sich. Dann kam sie. Die blonde Mähne unter einer Mütze gebändigt, warf sie ihre elegante Lederjacke auf einen freien Stuhl und fläzte sich dann in einen bequemen Sessel, der, wie es schien, extra für sie freigehalten worden war.

Wie sieht es aus, eröffnete sie die Runde. Der Mann mit dem Aktenkoffer trat vor, betätigte die beiden Schnappverschlüsse und öffnete den Deckel. Alles wie geplant erledig, sagte er und zeigte auf den Inhalt. Gut, sagte sie, dann können wir jetzt unser eigentliches Vorhaben starten. Sie zeigte auf den Mann mit dem Koffer und einem neben ihm stehenden und sagte: Nehmt, was ihr braucht und mietet die Fahrzeuge wie geplant. Auf zwei andere deutend: Ihr besorgt die Waffen und die Ausrüstung, wie besprochen. Es liegt alles bereit, ihr müsst nur bezahlen und das Zeug einladen.

Noch Fragen?, fragte die Frau und warf einen Blick in die Runde. Gut, dann bis morgen und vergesst nicht: Ihr parkt in verschiedenen Parkharfen und lasst eure Fahrzeuge dort stehen. Dann geht ihr unauffällig rüber zum Deck A. Wir treffen uns am Transporter. Umziehen und Waffen fassen, im Transporter. Keine Ausweise, Pässe und Führerscheine. Das lasst ihr alles in euren Fahrzeugen zurück. Später, wenn der Coup gelaufen ist, fahrt ihr mit der S-Bahn, verstanden, mit der S-Bahn, zurück zum Flugplatz und holt eure Fahrzeuge, fahrt nach Hause und benehmt euch wie immer. Keine Auffälligkeiten, okay!

Die beider Kommissare fanden sich in Dagmar Hochfellners Büro ein, um über ihre Nachforschungen zu berichten. Es gibt die nächsten drei Tage nur einen auffälligen Transport. Eine Maschine aus Frankfurt hat morgen eine riesige Menge an Bargeld geladen, das in die Zentrale der Bank in die Innenstadt, genau in die Kardinal-Faulhaber-Straße, transportiert werden soll. Wir haben gehört, eine Kollegin von uns sei bereits damit befasst?

Dagmar Hochfellner bedeutete den beiden Kommissaren noch zu warten, sie wolle noch zwei Telefonate führen, um dann mit ihnen den Einsatzplan für morgen zu besprechen. Ist ja höchst interessant, hörten die Männer Dagamar sagen und, nein, auf keinen Fall, ich melde mich dann gleich noch einmal, um Ihnen die Einzelheiten zu besprechen.

Du gehst also davon aus, unsere Juwelendiebe haben es auf diesen Transport abgesehen? Ich denke schon, sagte Dagmar und erläuterte, warum sie so sicher war und wie sie vorgehen wollten. Das ist ja der Hammer!, sagte einer der beiden Kommissare, als sie das Büro verließen. Hoffentlich hat sie sich da nicht vertan, meinte der andere.

Pünktlich um 15:30 landete die LH aus Frankfurt kommend am Münchener Flughafen. Nichts Auffälliges geschah, Routine, wie jeden Tag. Erst verließen die Passagiere die Maschine, dann folgte deren Gepäck und schließlich nach einer Weile noch eine Palette, die mit einer Plane verzurrt war. Was sich unter der Plane befand, war nicht zu erkennen. Ein Gabelstapler nahm die Palette auf und fuhr mit seiner Fracht auf einen Seiteneingang zu.

Jetzt erst war zu erkennen, dass dort ein Transportfahrzeug, wie es Geldinstitute verwenden, wartete, in das die Palette verladen werden sollte. Einige Personen mit Maschinenpistolen sicherten den Ablauf. Dazwischen eine Frau in Zivil, die offensichtlich das Kommando hatte. Dann setzte sich der Transporter in Bewegung.

Die Maschine der Lufthansa aus Frankfurt stand noch an der gleichen Stelle wie vorhin. Dagmar Hochfellner und ihre Kollegen beobachteten, wie aus dem Flugzeug eine weitere Palette rollte, die der vorherigen auf das Genaueste glich, Polizei die Umgebung absicherte und schließlich ein Transporter, dem vorherigen sehr ähnlich, eskortiert von einigen Polizeifahrzeugen die Palette abtransportierte.

Inzwischen hatte sich ein Teil von Dagmars Leuten in Zivilfahrzeugen an den ersten Transport angehängt. Unauffällig verfolgten sie diesen, wechselten mehrfach die verfolgenden Fahrzeuge und näherten sich so zügig der Stadt.

Dagmar war in Funkkontakt mit den Verfolgern und so fortlaufend über den aktuellen Stand des Geschehens informiert. Mit Blaulicht und Martinshorn jagten sie jetzt Richtung Stadt, Dagmar im vorderen Fahrzeug.

Transport eins hatte die Autobahn mittlerweile verlassen und bewegte sich auf dem Frankfurter Ring in Richtung Milbertshofen. Für die Verfolger wurde es jetzt durch das geringere Verkehrsaufkommen etwas mühevoller, unauffällig zu bleiben und trotzdem den Anschluss nicht zu verlieren.

Dagmar und ihre Begleiter waren nicht mehr sehr weit entfernt vom Geschehen und schalteten deshalb Blaulicht und Signal ab. Drei weitere Zivilfahrzeuge, wie sie in dieser Gegend nicht unüblich waren.

Achtung!, sagte Dagmars Funkkontakt, sie sind jetzt auf ein Gelände einer ehemaligen Kaserne gefahren. Wir können nicht mehr näher ran, haben aber noch ein Motorrad im Einsatz. Eine Weile hörte Dagmar nichts mehr, dann die Stimme des Motorradfahrers: Ich bin gerade an ihnen vorbeigefahren. Kein Problem, sie haben nichts gemerkt. Dagmar notierte die Positionsbeschreibung des Transporters und erteilt über Funk ihre Anweisungen.

Das gesamte Gelände war mittlerweile weiträumig abgesperrt. Bei einigen Gebäuden der Kaserne, zur Linken und Rechten des Gebäudes an dem der Transporter Halt gemacht hatte, entstiegen vermummte, schwer bewaffnete Polizisten eines Sondereinsatzkommandos den Mannschaftswagen und brachten sich in Stellung.

Die Crew des Transporter, sowie die Frau und zwei Männer des Begleitfahrzeuges stiegen aus und begaben sich eiligst ins Innere des Gebäudes. Kurz darauf bewegte sich ein Gabelstapler auf den Transport zu. Zwei Männer öffneten die rückwärtige Türe des Transporters, brachten mit vereinten Kräften die Palette zum Rollen, zogen diese nach aussen und brachten sie ohne Mühe zum Stehen. Während der Gabelstapler die Palette aufnahm, entfernte sich der Transporter bereits vom Gelände.

Er sollte nicht sehr weit kommen. Wie aus dem Nichts befand sich plötzlich eine Straßensperre vor dem Transporter. Mittels eines Seilzuges hatte man diese blitzschnell über die Fahrbahn gezogen. Der Transporter war noch nicht richtig zum Stillstand gekommen, als er auch schon von zwei Dutzend SEK-Männer umringt war. Jede Gegenwehr war so völlig zwecklos.

Im Gebäude mit der Palette waren indessen die Frau und die Männer zugange, die Halteseile nebst Plane zu entfernen, bis schließlich das Ersehnte unverhüllt vor ihnen stand. Wir haben es geschafft!, sagte die Frau, bedeutete den Männern zurückzutreten, nahm einen der grünen Leinwandbündel, setzte ein Messer an, um die Verschnürung zu durchschneiden, schnitt und…

Ihr ungläubiger Blick verzerrte das sonst so hübsche Gesicht zur Fratze. Mit einem wütenden Fluch schleuderte sie das Bündel von sich. Papier, einfach nur Papier!

Alle stürzten jetzt auf die Palette zu. Sie konnten und wollten nicht glauben, was sich ihren Augen bot. Es war nur Papier! Wo ist das schöne Geld?, rief einer fragend in den Raum.

Aus dem Hintergrund zerschnitt Dagmar Hochfellners Stimme das Getöse. In Sicherheit, das Geld ist in Sicherheit. Und Sie lassen bitte alle schön die Arme nach oben gestreckt. Auch Sie, verehrte Kollegin. Hatten Sie sich nicht krank gemeldet? Und dann so etwas?

Binnen weniger Sekunden war der Spuk vorüber, die blonde Frau und ihre Leute mit Handschellen gefesselt und in Polizeiwagen abtransportiert.

Die Schlagzeilen am nächsten Tag berichteten ausführlich über Dagmar Hochfellners klugen Schachzug. Wie sie auf die Idee mit der fingierten Palette gekommen war und überhaupt, warum ihr Verdacht auf eine Kollegin des LKA fiel. Es war am Ende ganz einfach, sagte die Kriminalhauptkommissarin, erstens: Der Auftrag, Sicherung des Geldtransportes durch das LKA, war gefälscht und zweitens, es ergab sich kein plausibler Grund dafür, warum die Kollegin vor zwei Tagen in der Rechtsmedizin gewesen war. Es konnte hierfür nur einen Grund geben, sie wollte wissen, wie es um den Juwelier stand. 

So einfach sei es im Grunde genommen, wie sie noch meinte, einen Kriminalfall mit etwas logischem Denken zu lösen und Tätern auf die Spur zu kommen.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Hans K. Reiter).
Der Beitrag wurde von Hans K. Reiter auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.02.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

Bild von Hans K. Reiter

  Hans K. Reiter als Lieblingsautor markieren

Buch von Hans K. Reiter:

cover

Tilt - Tödliche Affäre eines Konzerns von Hans K. Reiter



Im Januar 2007 und den Folgemonaten berichten die Medien über massive Vorwürfe von Korruption und der Bildung schwarzer Kassen in einem deutschen Konzern. Gierige Manager haben hunderte von Millionen verschoben, aber die Öffentlichkeit scheint mit der Zeit das Interesse zu verlieren, als immer neue Fragmente des Skandals bekannt werden. Kontrollorgane des Konzerns sind in den illegalen Handel verstrickt. Durch Zahlung gewaltiger, millionenschwerer Bußgelder zieht der Konzern den Kopf aus der Schlinge. [...]

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (2)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Spannende Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Hans K. Reiter

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Wetterumschwung von Hans K. Reiter (Skurriles)
Meine Bergmannsjahre (vierzehnter und letzter Teil) von Karl-Heinz Fricke (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen