Sebastian Müller

Eine therionische Legende

Einst gab es ein Geschwisterpaar, dem hatte im Leben schon früh eine Krankheit die Eltern genommen, sodass der Bruder auf seine jüngere Schwester allein aufpasste. Da er keinen anderen Weg sah, um an ein paar Münzen für etwas zu essen zu kommen, begab er sich jeden Tag in die Stadt und auf die Straße, um dort zu betteln. Diebstahl oder andere Missetaten wollte er nicht begehen, um den Hunger besser bekämpfen zu können. Sein Leben wollte er rechtschaffen und gut verbringen. So brachte er Tag ein, Tag aus nur Kleinigkeiten mit sich, aber es reichte, um zu überleben.
Eines Tages, nachdem das Betteln ihm keinerlei Münze beschert hatte und er von einer Stadtwache verscheucht wurde, sah er am Wegesrand etwas Glänzendes. Voller Freude nahm er es auf und entfernte grob den Dreck, in der Hoffnung, es würde sich um eine Münze handeln, doch so war es nicht. Es handelte sich um einen Anhänger, eine Art Amulett, aus einem hellen Silber gefertigt, schlicht und elegant. Das Schmuckstück nahm er an sich und verstaute es. Seiner Schwester erzählte er vom Fund nichts und auch als er am nächsten Tag wieder zum Betteln ging, vermied er einen Gedanken an das Fundstück. Hätte er dieses verkauft, hätte er mit Sicherheit genug Münzen für einige Monde gehabt, um sich und seine Schwester zu versorgen, doch das Amulett gehörte ihm nicht und so sah er davon ab. Er wollte nichts tun, was nicht rechtens war.
Eine Krankheit befiel seine Schwester und so sehr er sich auch bemühte, konnte er ihr dennoch nicht helfen. Am Vorabend ihrer letzten Nacht übergab er ihr das Amulett und erzählte ihr, woher er dieses hatte. Es war ein Abschiedsgeschenk und er wollte es seiner Schwester in diesen schweren Stunden an ihrem letzten Tag überlassen. Als er am nächsten Morgen sich vom Lager erhob und nach seiner Schwester sah, fand er diese vollkommen gesundet vor. Rasch erkannte er, dass das Amulett an dem schuld sein musste und so nahm er es wieder an sich, um mit diesem in die Stadt zu ziehen.
Bald darauf wurde in der Stadt die Kunde von einem Wunderheiler bekannt, der mit bloßer Hand jegliche Krankheit zu lindern vermochte. Die ganze Stadt sah ihn als einen Heiligen an, der den Kranken ein neues Leben brachte und so konnte er sich schon bald dank der Spenden, die man ihm hinterließ, denn nicht nur die Armen suchten ihn auf, eine kleine Praxis kaufen, in der er sein Werk vollrichtete. Von nah und fern kam man zu ihm, um seinen Segen und seine Kunst zu erbitten. Wenn er dieses Amulett schon nicht zurückgeben konnte, so wollte er mit diesem Gutes vollbringen, als Ausgleich für den indirekten Diebstahl.
Eines Morgens fand seine Schwester ihn tot in seinem Zimmer vor. Sie konnte sich nicht erklären, an was er gestorben war und nach einigem Nachdenken fiel ihr Augenmerk auf das Amulett, welchem sie die Schuld gab und es an sich nahm. Mit dem Schmuckstück machte sie sich auf den Weg, um nach Zauber- und Sagenkundigen zu suchen, die das silberne Amulett untersuchen sollten und ihr sagen, ob ein Fluch auf diesem lastete. Wen immer sie auch danach befragte, der versicherte ihr, dass dieses Amulett mächtig sei, aber rein und niemals jemanden töten würde.
Bis in die Nordlande war sie gereist auf ihrer Suche, um dort Antworten zu finden. Eine Priesterin fand sie und auch diese versicherte ihr, dass das Amulett rein war. Nachdem das Mädchen ihm die Geschichte des unheilvollen Bruders erzählt hatte, lächelte die Priesterin milde und ließ sie wissen, dass nicht das Amulett am Tod ihres Bruders schuld sei, sondern seine aufopfernde Selbstlosigkeit. In seiner Güte hatte er vergessen, sich selbst der Krankheiten und Gebrechen zu entledigen, die er hatte und war an diesen gestorben.
Von der Antwort erschüttert, aber mit dieser zufrieden, kehrte das Mädchen in ihre Heimat zurück und beschloss, die Praxis ihres Bruders mittels des Amulettes weiterzuführen, doch dabei sich nie selbst zu vergessen, auf dass sie das Schicksal ihres Bruders nicht ebenso ereilen möge. Innerhalb der Praxis ließ sie ihn begraben und schon bald erinnerte man sich seiner Taten im Guten, wie auch im Schlechten, denn seine Geschichte war eine Warnung an all die, die in ihrer Großzügigkeit sich selbst vergessen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.02.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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