Christa Astl

Der Morgen



(im Altenheim)
 

 
Ein paar Tage später. Drei Tage bin ich nun im Altersheim, Nach einem Sturz gehbehindert, war es mir nicht mehr möglich allein in meinem Haus zu bleiben und den Haushalt selber zu besorgen. 
Mittlerweile kenne ich mich in der näheren Umgebung meines Zimmers aus. Am Morgen nach meiner Ankunft hier bin ich schon allein mit meinen beiden Krücken in den Speiseraum gegangen, - sofern man das "gegangen" und nicht geschlichen oder gehumpelt oder gehatscht nennen sollte. Über diese Beeinträchtigung ärgere ich mich am meisten, und dass es so lange dauert, bis die alten Knochen wieder zusammen wachsen. Normal laufen werde ich sicher nicht mehr können, aber diese Krücken... wenn ich die nur los wäre!
Gestern war der Arzt hier, ein recht freundlicher, älterer Herr, der die Heimbewohner betreut und jede Woche mal zur Kontrolle vorbei schauen wird.  Man will mich nochmals röntgen und dann könne ich versuchen, wieder ohne Krücken zu gehen. Er würde mir aber das Verwenden eines Rollators empfehlen. Ja, diese Gehhilfen sieht man jetzt sehr häufig, man wäre doch recht flexibel damit, könnte sogar wieder Busse und Straßenbahnen benützen, vielleicht sogar den Zug, um einmal in mein Dorf zu fahren? Die würden schauen!!
Nein, ich gehe hier nicht unter, ich gehöre noch nicht zum alten Eisen. Aus- und Anziehen tue ich mich alleine, da habe ich die hilfreiche oder helfende Schwester gleich abgewiesen. Beim Duschen bin ich allerdings froh, wenn jemand in der Nähe ist, ich habe doch Angst vor einem neuerlichen Sturz, der würde dann wohl das Ende meiner Mobilität und Selbständigkeit bedeuten.
Mit meiner Tischnachbarin habe ich mich mittlerweile ein wenig angefreundet. Sie war wie ich leidenschaftliche Bergsteigerin und noch mehr als ich Naturfreundin. Sie kennt wohl alles, was so grünt und blüht mit Namen. Was sie wohl für einen Beruf hatte? Sicher einen, der den Geist frisch hält...? Aber der Herr gegenüber von meinem Platz war früher Arzt, und jetzt ist er völlig dement, kennt nicht einmal seine Familie! Ich hoffe, dieses Schicksal bleibt mir erspart, aber das weiß niemand. Solange ich kann, werde ich meinen Geist anstrengen, damit er fit bleibt.
Apropos Fit bleiben - am Seniorenturnen durfte ich auch mal teilnehmen, Es tut recht gut, gewisse Übungen zu machen, man spürt ja direkt, wie eingerostet man schon ist. - Und vor allem geht es bei dieser Stunde recht fröhlich zu, dafür sorgt schon die schwungvolle Musik, übrigens Musik aus der Zeit, als wir jung waren und noch fast alle das Tanzbein geschwungen haben.
Übermorgen, am Sonntag, werde ich erstmals auch den Gottesdienst in der Heimkapelle besuchen. Mit meinen Gehhilfen komme ich ja noch nicht weit, ... aber dann, später,  werde ich schon auch andere Kirchen besuchen. Ob die Gottesdienste in der Stadt feierlicher sind als in meinem Dorf? Aber die Leute hier singen und beten sicher nicht so eifrig mit wie bei mir zu Hause!
Dorf- und Stadtmenschen sind halt doch verschieden. Wahrscheinlich vergessen mich meine Dorfnachbarn eh bald, eine der Ihren war ich sowieso nie.
Am späten Nachmittag wird meine Tochter kommen. Ich habe ihr eine ganze Liste aufgeschrieben,  was sie mir noch bringen könnte, um mein neues Daheim gemütlicher einzurichten. So allmählich fühle ich mich schon heimisch, auch wenn es mein wirkliches Zuhause nicht ersetzen wird. Es ist doch was anderes, ob man ein ganzes Haus, eine ganze Wohnung für sich hat oder nur ein Zimmer. Aber eigentlich braucht man gar nicht mehr, so ist in kurzen Wegen alles erreichbar.
Manche Heimbewohner haben sogar Möbel von sich zu Hause mitgebracht! Nein, das möchte ich nicht, die passen  gar nicht zu denen vom Heim. Im Prinzip ist Nostalgie ja nicht das Meine, die Zeit und alles was sich in der Zeit ereignet, ist doch vergänglich. Ich brauche ja nicht mehr viel, denke sogar, dass ich bereits zu viel an Kleidung hier habe, man zieht ja doch immer die gleichen, bequemen Sachen an.
Alles, was in der Hauswäscherei gewaschen wird, habe ich bereits gekennzeichnet. Im Heim kommt außerdem noch ein Stempel mit meinem Namen dazu.
Zufällig  habe ich gehört, wie sich eine Frau furchtbar aufgeregt hat, weil ihr angeblich Sachen aus dem Kleiderschrank gestohlen wurden. Sicher wird bei der Menge an anfallender Wäsche  hin und wieder was verwechselt, das fürchte ich auch, aber so wertvolle Unterwäsche habe ich nicht, und wenn ich jemand in meinem Pullover sähe, würde ich diejenige ansprechen oder eine Schwester darauf aufmerksam machen.
Nach dem Mittagessen werde ich mal einen ersten Spaziergang in den Heimgarten machen. Die Wege dürften trocken sein, vielleicht gibt es Bänke in der Sonne, da ließe es sich dann aushalten. Einen Mittagsschlaf im Bett halte ich nur selten, dazu ist mir die Zeit zu kostbar. Lieber lese ich, eine Bibliothek habe ich auch schon entdeckt!
Nein, so schlimm ist das Leben im Heim wirklich nicht, wie es immer heißt. Es kommt wahrscheinlich darauf an, wie man sich selber fühlt und wie gut man beisammen ist.
Die Menschen, die nur noch den ganzen Tag im Bett verbringen, tun mir leid, aber sie sind hier doch geborgen. Es schaut ab und zu jemand herein, ehrenamtliche Besuchsdienste nehmen sich Zeit und setzen sich für eine Weile dazu. Das tut gut. Vielleicht kann ich das auch mal machen, wenn ich mich wieder sicher bewegen kann?
Ich bin froh, diesen Platz gefunden zu haben und werde alle Möglichkeiten ausschöpfen, die Zeit, solange ich kann, noch gut zu gestalten, denn in Heimen wird ja nicht nur gestorben, sondern bis es so weit ist, gelebt!
 
 
ChA 16.03.16

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.03.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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