Unser kleiner Ort, ein ehemaliges Fischerdorf am nördlichsten Teil der Costa Brava, versteht es seine Feste zu feiern. Er feiert sie bunt, fröhlich und laut, und die meisten von ihnen machen dabei auch die Nacht zum Tage.
Eines davon ist der Heiligen Carmen gewidmet, der Schutzpatronin aller Fischer und Seeleute, und hat deshalb für die Menschen an der gesamten Küste Kataloniens traditionell grosse Bedeutung. Es wird immer Mitte Juli gefeiert und dauert in unserem Ort insgesamt drei Tage.
Der Auftakt dazu jedoch ist immer die Huldigung der Schutzpatronin und sie beginnt mit einer Heiligen Messe in der kleinen Kapelle im Hafenviertel des Ortes. Das Ende der Messe wird immer von 12 Böllerschüssen kundgetan, die den Beginn der anschliessenden Prozession ankündigen, jedoch auch so manchen uneingeweihten Touristen, der gerade ahnungslos im Wasser plantscht oder auf seiner Terrasse ein Glas Rotwein geniesst, damit ziemlich unsanft aus seiner entspannten Ruhe aufschrecken. In der knappen Viertelstunde, in denen diese Böller auf dem vorgelagerten Felsenhügel gezündet werden, versammeln sich die Menschen vor der Kapelle und nach dem letzten abgefeuerten Schuss setzt sich der Prozzessionszug dann langsam in Richtung Fischereihafen in Bewegung.
Vorne weg an der Spitze des Zuges, die Honorationen des Ortes, gefolgt vom Pfarrer, den Messdienern und den Trägern der Statue der Schutzpatronin auf ihrer hölzernen Sänfte. Dabei blickt sie mit ihren sanften Augen und dem zarten Lächeln ihres zarten Porzellangesichtes auf die Menschenmenge herab.
Hinter ihr bilden die Musiker den unüberhörbaren Teil des Festzuges, deren Repertoire so manchen fremden Beobachter überraschen mag, doch für die Menschen, die in unserem Ort zuhause sind, ist es die normalste Sache der Welt, bei solchen Anlässen ganz unbedarft festliches Liedgut mit modernen Klängen zwischen Pop und Dixie zu vermischen.
So gelangen die Schutzheilige und ihr Gefolge nach einer guten halben Stunde schliesslich am Kai des Fischereihafens an, der, selbst gut beschützt durch eine hohe, massive Mauer und einen aufwendigen Wall steinerner Wellenbrecher, die ortseigene Fischereiflotte beherbergt.
Am Tag der Heiligen Carmen liegen die schweren Fischerboote dort vor Anker, eines von ihnen, ein weiss-rotes, mit elegant geformtem Rumpf und getauft auf den Namen unseres Ortes, ist dann immer auch reichlich mit Blumen geschmückt. Auf dieses Schiff bringt man dann die Schutzpatronin, die Honorationen und die gesamte Musikkapelle, während sich die Menschen des Prozessionszuges, und auch so mancher interessierte fremde Besucher, an Deck der anderen Schiffe begeben. Jeder wird dort vom Kapitän des Kutters mit Handschlag begrüsst und an Bord willkommen geheissen.
Wie man sich vorstellen kann, dauert dieses “Beladen” der Schiffe eine ganze Weile, in der sich zwischenzeitlich allerdings auch im anliegenden Yachthafen grosse Betriebsamkeit bereit macht. Denn dort verlassen nun beinahe ausnahmslos alle Schiffe, Segelboote und Yachten ihre Liegeplätze und machen sich daran, auf dem offenen Meer vor der Hafenausfahrt ein Spalier zu bilden. Dass dabei dieses Manövrieren von kleinen und grossen, schnellen und behäbigen Wasserfahrzeugen nicht immer geordnet vor sich geht, liegt wohl in der Natur der Sache, doch es gibt der bis dahin augenscheinlichen Ernsthaftigkeit des Feierns eine angenehm auflockernde Note. Irgendwann hat sich dann auch der vorwitzigste Freizeitkapitän in seinem Schlauchboot seinen Platz zwischen den mächtigen Schiffsbäuchen anderer gesichert und es beginnt damit wieder Ruhe und Ordnung in das Spalier aus unzähligen Schiffen einzukehren, da erklingt dann plötzlich das Horn des geschmückten Fischkutters und verkündet damit, dass es sich nun in Bewegung setzen wird. Gefolgt wird das Schiff mit der Schutzpatronin an Deck von der gesamten einheimischen Fischereiflotte unseres Ortes, die nun, jeder der Kutter in gebührendem Abstand hintereinander, durch das Spalier der Wartenden Kurs auf das offene Meer nehmen. Begleitet von den Klängen der Musikkapelle neben der Statue und dem, zwar weniger melodischen, jedoch nicht weniger lauten Konzert sämtlicher Schiffshörner und den Jubelrufen der Menschen an Bord.
Wenn das blumengeschmückte Schiff schliesslich am Ende des Spaliers angekommen ist, verstummt der Lärm und auch die Musik, und es setzt dann seine Fahrt noch eine kleine Weile in Richtung Horizont alleine fort, bevor die Motoren angehalten werden. Damit ist nun der Moment gekommen, an dem der Pfarrer den Segen der Heiligen Carmen für die Fischer des Ortes erbitten kann und dann dem Meer, ohne dessen Mithilfe ja das sichere Heimkommen dieser Männer niemals gelingen kann, die vorbereiteten Blumengebinde übergibt. Wenn dies alles erfolgt ist, werden die Schiffsmotoren wieder angelassen und der Kutter mit der Schutzpatronin nimmt wieder Kurs zurück auf das Spalier aus den dort immer noch wartenden Schiffen.
Doch noch bevor das Schiff mit der Schutzpatronin an Bord dieses Spalier wieder erreicht hat, beginnt sich dieses dann ganz plötzlich aufzulösen, die bis dahin im Leerlauf stampfenden Maschinen nehmen wieder Fahrt auf und es beginnt damit nun der heitere Teil dieser Zeremonie. Wie auf ein lautloses Kommando hin beginnt nun eine Art von “Wettrennen” zwischen den anwesenden Wasserfahrzeugen, zumindest all denjenigen, die sich ihrer Geschwindigkeit und ihrer mächtigen Wasserverdrängung bewusst sein können. Während die Kapitäne der schweren, aber keineswegs trägen Fischkutter ihre Passagiere an Deck damit zu wahren Begeisterungsstürmen veranlassen, in dem sie für die Rückfahrt zum Hafen versuchen, ihren Motoren wirklich das Äusserste abzuverlangen, erleben die Insassen der vielen kleineren Boote ihrerseits ein nicht ganz so unbeschwertes Vergnügen. Ihre Freizeitkapitäne sehen sich nämlich in jenen Augenblicken urplötzlich dazu gezwungen, sich mit grösst möglichem Geschick aus den beeindruckend schnell entstandenen und ziemlich hohen Bugwellen der Schwergewichte herauszumanövrieren, ohne dabei die eigene Nussschale zum Kentern zu bringen. Von einem folgenreichen Unfall bei diesem etwas ungestümen Messen so ungleicher Kräfte habe ich jedoch noch nie gehört.
Am Abend dann, wenn die Kutter schon längst wieder fest vertäut im Fischereihafen liegen und auch alle anderen Schifflein und Böotchen wieder träge an den Molen im Yachthafen schaukeln, laden zahlreiche Schausteller mit ihren Karussels und Buden die Besucher des Festes ein, sich somit auf der weitläufigen Hafenpromenade bestens zu unterhalten.
Auf dem grossen Parkplatz am Meer spielt eine Band auf einer extra dafür errichteten Bühne und lädt die Passanten zum Tanzen ein. An kleinen, hölzernen Buden wird Kunstandwerk jeglicher Art verkauft, aber auch einheimische Spezialitäten aus der Region wie Wein, Käse, Honig und Wurstwaren, und in den zahlreichen Restaurants, Cafes und Bars im gesamten Hafenbereich ist es an jenem Abend beinahe unmöglich nun noch einen freien Platz zu ergattern.
Kurz vor Mitternacht jedoch beginnen sich die bis dahin so zwanglos umherschlendernden Menschenmassen zu formieren, sich auf den Holzplanken der Molen, auf mitgebrachten Decken im Sand des Strandes oder auf den Felsen und den kleinen Mäuerchen der Hafenanlagen niederzulassen. Und nur kurze Zeit später beendet dann auch die Band ihr Programm, die Fahrgeschäfte beginnen still zu stehen und draussen auf dem nächtlichen Wasser kann man die unzähligen Positionslichter der Schiffe erkennen, die in den vergangenen Stunden aus allen Richtungen herbeigekommen sind und nun dort voranker liegen.
Pünktlich um Mitternacht werden dann auch noch alle Lichter gelöscht, auch die der Strassenbeleuchtung, und so liegt der Ort ganz plötzlich völlig im Dunkeln. Nur die stampfenden Motoren des Polizeischiffes sind nun noch zu hören, wenn es dann seinen Platz im Hafen beginnt zu verlassen, um draussen auf dem Wasser auch seine Position zu beziehen.
Und dann ist es soweit. Oben auf dem felsigen Hügel hinter der Hafenanlage werden die ersten Raketen des grossen Feuerwerkes gezündet. Beeindruckend, prächtig, und unbeschreiblich schön, wenn zischende Feuerschweife sich ihren Weg in den Sternenhimmel bahnen, um dort oben ihre spektakulären Kompositionen aus Farben und Formen in das Dunkel der Nacht zu malen, bevor sie wieder zurück, hoch über den Köpfen der Beobachter, wie Herden wild gewordener Sternschnuppen im Nichts verglühen. Den staunenden Menschen vergeht dabei die Zeit wie im Fluge, und sie honorieren dabei jede neue Feuerformation mit begeistertem Applaus.
Das spektakuläre Ende bildet dann in den letzten Minuten eine ganze Serie von Feuerwerksraketen, die aus dem Wasser abgefeuert werden. Wenn dann schliesslich die allerletzte Rakete gezündet und das allerletzte Feuerrad aufgehört hat sich zu drehen, dann folgt noch einmal ein minutenlanger tosender Applaus hinaus ins die dunkle Sommernacht, bevor dann die Strassenbeleuchtungen wieder eingeschaltet werden, die funkelnden Lichter und der Lärm der Fahrgeschäfte, Buden und Schausteller wieder zurückkehrt, die Scheinwerfer die Bühne wieder in ihr farbiges Licht tauchen, und sich die Musik der Band erneut mit den anderen Geräuschen des Festes vermischt.
Erst wenn der Nachthimmel schon wieder im Begriff steht seine Dunkelheit für das erste morgendliche Dämmerlicht einzutauschen und das Funkeln der Sterne damit verblasst, geht der erste Tag der Fiesta de la Carme zu Ende.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.04.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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