Inge Hoppe-Grabinger

Johanna (Teil 2)

Ich habe Johanna dann viele Jahre nicht gesehen. In der Zeit war sie wohl mehrere Jahre Sekretärin in einem sehr bekannten  Bestattungsinstitut, wo sie vermutlich dafür verantwortlich war, ob die Särge einwandfrei waren oder Mängel aufwiesen, die möglicherweise  zu beanstanden waren. Das kann
nur so sein, denn dieser kleine  Umstand spielte in ihrem späteren Leben noch eine merkwürdige Rolle.

Als ich sie wiedersah, trug sie bereits statt des strengen Dutts eine strenge Perrücke. Ich war inzwischen Studentin im letzten Semester und suchte
eine Wohnung, und Johanna hatte eine Freundin, Anni,  die ein vierstöckiges Miethaus geerbt hatte.  Anni, eine Zeit lang glaubte ich immer,
Anni würde zu ihrer Freundin "honey" sagen ,  war zwar die Besitzerin, aber das Sagen hatte Johanna.  Streng kontrollierte sie jeden Tag die
Müllkästen, und es war immer etwas zu beanstanden, weshalb auch eine Schaufel daneben stand,  die sie mit Kraft und Wut zum Unterdrücken
des angefallenen Mülls verwendete. Johanna war es, die bestimmte, wer einziehen durfte. Ich gehörte zu den Glücklichen, zu den Auserwählten.
 Ich musste mich entscheiden, ob ich  das gesamte Mobiliar einer  9o-jährigen Lehrerin übernehmen wollte, darunter auch ein Klavier, auf das ich
mein Auge geworfen hatte, oder die Wohnung - besenrein.  In Examensnöten  entschloss ich mich schweren Herzens,  auf alles zu verzichten, auch
auf da Klavier.  Bis jetzt  grummelt es noch in mir, der Verzicht auf das Klavier (und die riesige Anrichte  vom Ende des l9. Jahrhunderts, die riesigen
 Spiegel für den Korridor, den großen Ausziehtisch  mit den schweren Stühlen , .... etc. etc. etc.)
Anni wohnte im zweiten Stock, gegenüber von Frau Genilke, die Dienstmädchen im Hause Cassirer gewesen war. Frau Genilke hatte etliche sehr
schöne geschenkte "Kleinigkeiten"  in ihrem Besitze, die sie mir gerne verkaufte, leider  nicht das schöne Bild von Leistikow, was mich immer noch
wurmt.......  Johanna wohnte  im vierten Stock,  mir gegenüber. Aber eigentlich wohnte sie dort gar nicht, die Wohnung war ein Lagerhaus  für
alles, was im Leben wichtig ist und irgendwann gebraucht werden wird.
Gelebt wurde bei Anni, im zweiten Stock,  da wurde so geheizt, dass man es vor Wärme kaum aushielt, wenn man die Miete bezahlte, und
beide Damen qualmten ihre Zigaretten so ausgiebig, dass die Luft immer zum Schneiden war. Gelüftet wurde vermutlich nie, denn dann wäre ja
die Wärme entwichen!
Johanna herrschte über alles,  über die Müllkästen, die Wohnungen, die Mieten, und über ihr Reich, das Schatzhaus.
Über viele Jahre hinweg wurde da gehortet, was supergünstig per Versand  zu erwerben war, alles neu!   Selbstverständlich hatte Johanna
für alle irgendwie denkbaren Fälle   unausgepackte Werkzeuge  in allen Größen. Leider verlor sie irgendwann doch den Überblick,  so dass
im Bedarfsfalle  aufgrund der komplizierten  Verschachtelung aller Werkzeugkisten die einzig richtige Kiste nicht gefunden werden konnte.
Messer besaß sie  in allen Größen und Schärfen, jeweils im Fünfer-Set,  unausgepackt, noch jungfräulich, falls man das bei Messern
sagen darf. ...

Demnächst folgt  Johanna Teil III




 

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