Horst Lux

Cheerivies Rückkehr

 Viele Monde waren vergangen, die Farben des Waldes hatten sich zusehends verändert, aus dem saftigen Grün war ein leuchtendes buntes Mosaik geworden. Ein schimmerndes Gewirr von Spinnennetzen zog sich zwischen den Zweigen der Bäume des Mischwaldes hindurch. Ein wunderschönes Bild für den Betrachter von aussen, für die Insekten, die die Luft bevölkerten jedoch, waren sie eine tödliche Falle, in der sie schnell ihr Leben beendeten.

Das Moos auf dem Boden des Waldes und auch an den Bäumen hatte sich zu einem Teppich verdichtet. Wenn man nicht so gute Lauscher hatte wie der Rehbock, dazu noch die gute Spürnase eines Fuchses - jeder Bewohner des Waldes hätte sich ungesehen und ungehört im Wald bewegen können.Der alte Uhu wohnte noch immer in dem hohlen Astloch der großen Buche, was hätte ihn auch dazu bewegen können, seine Wohnung zu verlassen?
Höchstens die Anwesenheit der Zweibeiner, die den Kreislauf seines Daseins immer wieder störten. Doch der Alte hatte sich eine stoische Ruhe angewöhnt, anders wäre es auch nicht zu ertragen gewesen. Wenn er sich richtig erinnerte, waren die Störungen vor etwa dreissig Jahren, als er noch jung war, längst nicht so gravierend.Er jedenfalls hatte sich an das Leben, in diesem nun doch stärker begangenen Wald, gewöhnt. Die Zweibeiner bekamen ihn kaum einmal zu Gesicht, da er ja meist den Tag verschlief und nur in der Nacht zu seiner Nahrungssuche unterwegs war. Und darin war er Meister! Kein anderer Vogel seiner Größe konnte so leise fliegen, wenn man unhörbar sagen würde, käme das der Wahrheit schon sehr nah.

Nun, nach seinem nächtlichem Ausflug, sass er gesättigt und zufrieden auf dem Ast vor seiner Baumhöhle und döste in den frühen Abend hinein. Da! Was war das? Ein Geräusch weckte ihn aus seinem Halbschlaf, dieses Geräusch, das hier eigentlich nicht hingehörte.
»Ist da jemand? Gib dich zu erkennen, sonst geht es dir schlecht!« sagte der alte Uhu und drehte seinen Kopf nach hinten. Dieses Vorrecht hatten die Eulen seit jeher von der Natur mitbekommen, um stets verteidigungsbereit zu sein.
Und gerade der Uhu war sehr kräftig und stets abwehrbereit, so leicht nahm es mit ihm niemand auf.

Eine zarte Stimme antwortete ihm: »Hallo.« Dann ein wenig lauter: »Erkennst du mich nicht mehr? Ich bin es, Cheerivie! Hast du mich ganz vergessen?«

Der alte Uhu war ganz aus der Fassung, alles hatte er erwartet, aber nicht die Rückkehr von Cheerivie, die damals alles hinter sich gelassen hatte und dann auf und davon geflogen war.

»Das ist ja toll. Ich bin so überrascht. Habe dich zwar seinerzeit ungern ziehen lassen, weil du mir so symphatisch warst. Doch nie kam mir der Gedanke, dass du wieder heimfindest. Ich freue mich, dass du wieder da bist! Ich freue mich riesig.«

Cheerivie sass vor ihm, das Gefieder ein wenig zerrupft. Schmal war sie geworden, die kleine Cheerivie. Aber ihre Augen waren noch genau so klar wie damals, als sie alles hinter sich lassen wollte. 

»Gut siehst du aus, weiser Uhu! Hast dich kaum verändert.« Sie lächelte verschmitzt. »Hast anscheinend den Sommer gut gelebt, stimmts?«
Der Alte nickte, »Na, man tut, was man kann. Allzu viel zu erwarten habe ich ja nicht mehr.« Er zuckte abwinkend mit den Flügeln.
»Aber erzähl du, wie ist es dir ergangen? War die große Freiheit das, was du dir erträumt hattest? Bist du voll auf deine Kosten gekommen?«

Cheerivie schlug ein paar Mal mit den Flügeln. Dann winkte sie ab.
»Weisst du, Uhu, von aussen gesehen, sieht alles ein wenig anders aus. Wenn die Realität erst einmal Einzug hält, wird der Ernst des Lebens erst sichtbar. Freiheit ist ein kostbares Gut, das habe ich gelernt. Aber was Freiheit wirklich bedeutet, das lernt man erst durch das Leben.«

Die Sonne war schon im Begriff, den Tag zu verlassen und es wurde schon ein wenig kühl. Cheerivie rückte ein wenig näher an den Uhu heran. Dann sagte sie: »Erinnerst du dich an die Worte, die du mir zum Abschied sagtest? Du meintest, dass es dort droben sehr einsam sei und ich ganz allein in der Höhe bin! Erinnerst du dich noch an diese Worte?

Der Uhu nickte leise, natürlich wusste er es noch, war er doch sehr traurig gewesen, dass Cheerivie damals davon flog.
»Ich will etwas erleben, auch wenn ich dabei einsam bin! Das waren damals deine Worte«, sagte er, »nun bist du wieder da und hast deine Erfahrungen gemacht. Wahrscheinlich lernt man nur aus seinen Eigenen?«

Cheerivie nickte, dann sagte sie lächelnd, in dem sie den Uhu anblickte:
»Genau so ist es. Als ich meinen Gefährten verliess, waren die Jungen schon fort. Ich erzählte es dir ja. Wir trennten uns friedlich, so wie es bei vernünftigen Paaren sein sollte. Ich hatte auch keine Gewissensbisse deswegen.«

Der Uhu sah sie an: »Ja, du warst so voller Tatendrang, da wäre jedes Wort zu viel gewesen, das dich davon abhalten wollte. Ein wenig habe ich dich auch beneidet. Wie gern wäre ich auch einmal nach Süden gezogen!«

Sie schwiegen lange, die Dunkelheit schlich langsam durch die Wipfel der Bäume, die Schatten auf der Lichtung waren länger geworden, aus den Farbtönen des Waldes wurde allmählich ein verwaschenes Braun.
Dann sagte Cheerivie: »Ich muss mir nun erst einmal für heute einen Schlafplatz suchen. Bin doch ganz schön müde von der langen Reise.«
»Hier in meinem Baum ist Platz genug,« meinte der Alte, »wenn dir das nicht zu einfach ist?«
»Ich nehme dein Angebot gerne an. Glaub bloss nicht, dass ich unterwegs auf Rosen gebettet war. Ich kenne nun auch die Schattenseiten des Lebens!«
Cheerivie schüttelte fröstelnd ihr Gefieder.
»Ich bin froh, dass ich wieder hier bin. Ich war gern unterwegs, aber ich komme auch gern wieder zurück.«

»Nur zurück? Oder zurück in die Heimat, nach Hause?« Der Uhu fragte es leise, indem er Cheerivie von der Seite anblickte. »Weisst du genau, wohin du zurückkehrst oder ist es nur ein Zwischenaufenthalt auf einer Reise ins Ungewisse?«
Cheerivie schwieg. »Ist unser ganzes Leben nicht ein Zwischenaufenthalt,« fragte sie dann, »wohin unsere Reise - deine und auch meine letztlich geht, weiss niemand. Wenn ich mich entschlossen habe, nun hier zu bleiben, weiss ich denn, was morgen sein wird?«

Der Uhu nickte zustimmend. »Sicher, du kennst nun die Unwägbarkeiten des Lebens. Hast auf deiner Reise viel dazugelernt.«
Er lachte auf. »Eines wissen wir sicher. Nämlich dass nichts sicher ist! Und dazu brauchen wir auch keine schlauen Persönlichkeiten, die uns beibringen wollen, was wir schon wissen.«
Cheerivie hing ihren Gedanken nach, dann meinte sie:
»Da sagst du etwas Unumstössliches, ist nichts sicher. Aber wer niemals etwas wagt, wird sich auch nicht weiter bewegen. Und Wagnis bedeutet auch immer automatisch Risiko. Wie kann ich aber über die Probleme der Welt mitreden, wenn ich niemals aus meinem Wald herausgekommen bin? Ich kenne die Gefahren dieses Waldes. Sind es die gleichen an anderen Orten oder habe ich da mit ganz anderen zu rechnen?
Ach, weiser Uhu, auch wenn du nicht ›der Weise‹ genannt sein willst, alles - alles weisst du auch nicht!«

Der Uhu schaute sie ganz ruhig an: »Hab ich das jemals behauptet? Nein, wer selbst von sich behaupten würde, er sei weise, dem würde ich sagen, dass er ein Lügner wäre!«

Cheerivie berührte leicht das Gefieder des Alten. »Das weiss ich doch, Uhu, gerade deshalb wollte ich deine Freundin sein. Du bist genau der Punkt, zu dem ich zurückkommen wollte. Alles andere ist mir fremd geworden. Du nicht!«

»Du machst mich verlegen«, meinte der alte Uhu, »ich bitte dich: Hör jetzt auf damit!«
»Ja, ist schon gut.« Cheerivie hielt einen Flügel vor ihren Schnabel, »ich mag dich eben, alter weiser Uhu. Wir sehen uns morgen früh wieder, deine Arbeitszeit beginnt ...
Cheerivie steckte ihr Köpfchen unter einen Flügel und schlief kurz darauf sanft ein. Der alte Uhu brummte noch einen Gute-Nacht-Gruss und flog dann auf lautlosen Schwingen hinein in die Dunkelheit des Waldes
 .

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.05.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.

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