Hans Pürstner

Recht oder Gerechtigkeit Teil 1

 
Dumpf hallen meine Schritte auf den breiten Treppen und langen Fluren des Hamburger Landgerichts. Eben hatte ich die penible Eingangskontrolle für Besucher überwunden, mein Smartphone in Verwahrung gegeben und mache mich nun auf die Suche nach dem Verhandlungssaal. Dessen Nummer hatte mir der freundliche Herr der Secutity am Eingang gegeben, ebenso wie der Sicherheitsbeamte an der Schleuse ein Mann mit offensichtlichem Migrationshintergrund. Ich schmunzelte unwillkürlich, versuchte, mir Freunde und Bekannte vorzustellen, allesamt „besorgte Bürger“, wenn sie dies in einem so urdeutschen Gebäude wie einem Gericht sehen würden.
Endlich taucht ein Pulk von wartenden Menschen vor mir auf. Das musste er sein, der Saal 237 des Hamburger Landgerichts.
Angeklagt Alfredo S. wegen Totschlags steht auf der sogenannten Terminrolle.
Ein Gerichtsdiener öffnet die Tür zum Besucherraum, jeder sucht sich einen Platz. Ich mustere interessiert den Verhandlungssaal, es ist mein erstes Mal, so was kannte ich bisher nur aus dem Fernsehen.
Das Gericht betritt den Saal, der Staatsanwalt, die Nebenkläger mit Anwalt setzen sich. Der Angeklagte wird hereingeführt, nimmt neben seinem Verteidiger Platz. Rechts davon nimmt die Gerichtsschreiberin ihre Arbeit auf.
Der Vorsitzende Richter fragt, ob die Lautsprecher für den Besucherraum funktionieren, es muss ja „die Öffentlichkeit gewahrt bleiben“.
Nach der Vereidigung der Schöffen übergibt er das Wort an den Staatsanwalt, um die Anklage zu verlesen.
Meine Gedanken gehen zurück an den Tag vor sechs Monaten, als ich im Fernsehen in den Lokalnachrichten die Meldung hörte: Koch erschießt Schutzgelderpresser und mauert ihn anschließend im Fußboden seines Restaurants ein.
Ein Fressen für die Medien, ein Krimi vor der Haustür, nur in Echt. Ein leiser Schauer lief mir damals über den Rücken, eigenartigerweise fühlte ich eher mit dem Koch als mit dem Erschossenen.
Im Hintergrund erkannte ich die Umgebung des Tatorts. Mensch, das ist doch direkt neben dem Lokal meines alten Freundes und Berufskollegen, oftmals hatte ich ihn zuvor in seinem Lokal besucht.
Am nächsten Morgen hatte ich die Zeitung aufgeschlagen und war geschockt. Der Tatort war sein Lokal und die Tat von ihm begangen worden.
Lange hatte ich danach versucht, eine Besuchserlaubnis für ihn in der Untersuchungshaftanstalt zu bekommen, als ich sie in den Händen hielt, nutze ich sie dann doch nicht, weil ich aufgrund der begrenzten Anzahl von Besuchsterminen und Besuchsberechtigten sonst einem seiner zahlreichen Familienmitglieder den Platz weggenommen hätte.
Aber nun, hier im Gericht, war der Zeitpunkt gekommen, um zu erfahren, wie sich diese schreckliche Tat abgespielt hatte.
Schutzgelderpressung. So was kannte ich bisher nur aus Krimis und Mafiafilmen. Nun höre ich in der vom Verteidiger vorgelesenen schriftlichen Einlassung Alfredos, wie subtil so eine Erpressung vorbereitet wird.
Der Erschossene, ein mehrfach vorbestrafter Türke, war vor zwei Jahren in Alfredos Restaurant aufgetaucht und hatte sich als Freund von Bruder Manuel vorgestellt und nach dessen Befinden erkundigt, da er selbst wegen Verbüßung einer Haftstrafe lange nichts von ihm gehört habe. Die Antwort, dass Manuel vor einiger Zeit verstorben sei bot natürlich weiteren Gesprächsstoff und durch die bekannt große Gastfreundschaft meines Freundes trank man in nächster Zeit öfters mal einen Kaffee zusammen. Gin Gin, wie der häufige Besucher in der Gastronomie Szene der Nachbarschaft genannt wurde, berichtete von seiner Freundschaft mit Li, dem Wirt eines nahegelegenen Koreanischen Restaurants und ehe Alfredo es sich versah, tauchten beide zusammen bei ihm auf. Nach kurzer Zeit bat ihn Li, ihm bei einem kurzfristigen finanziellen Engpass auszuhelfen, was Alfredo, ein herzensguter Mann auch sofort großzügig zusagte.
Und schon hatten 1500 hart verdiente Euro ihren Besitzer gewechselt und die Beiden wussten, hier geht noch mehr. Nur Alfredo wusste es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Dies sollte sich jedoch bald ändern. Nachdem er nach einiger Zeit immer deutlicher nach der versprochenen baldigen Rückzahlung gefragt hatte, kam Gin Gin mit besorgter Miene in sein Lokal und berichtete, dass Li überaus erzürnt sei, weil Alfredo angeblich schlecht über ihn reden würde und ihn in der Nachbarschaft in Verruf bringe. Da er mit Li gut befreundet sei, bot ihm Gin Gin an, die Sache mit Li in Ordnung zu bringen. Das koste natürlich, hätte er ihm grinsend gesagt.
In den nächsten Wochen kam zwar keine Rückzahlung der 1500 Euro, aber weitere Schreckensmeldungen von Gin Gin, unter anderem habe es eine Prügelei gegeben, was ebenfalls mit der leidigen Rückzahlungsforderung zu tun gehabt hätte. Dies müsste in Alfredos Interesse natürlich schnellstens von Gin Gin wieder geradegebogen werden, nicht auszudenken, würden solche Sachen in Zukunft vor Alfredos Lokal stattfinden. Was wohl seine Gäste davon halten würden.
Auch das kostete wieder etwas. Natürlich.
Da Gin Gin offenbar nicht nur bei ihm abkassierte, tauchte er immer öfter in der Gegend auf und betrachtete das Lokal wohl als eine Art fliegendes Büro. Immer öfter brachte er auch noch diverse Begleiter mit, lud diese großzügig ein, auf Alfredos Kosten letztendlich. Immer wieder ein Wink mit dem Zaunpfahl, alles geschähe nur, um das Restaurant aus den ganzen Streitigkeiten rauszuhalten, eine Belästigung der Gäste zu vermeiden.
Und Alfredo zahlte. Es war schon ein Wunder, dass der Erpresser die monatlich etwa tausend Euro nicht von dessen Konto abbuchen ließ. Was auf Grund des kriminellen Hintergrunds wohl doch nicht so schlau gewesen wäre.
Bald erfuhr mein Freund, dass die ominöse Prügelei gar nicht stattgefunden hätte und da fiel es ihm endlich wie Schuppen von den Augen, dass er nur verarscht wurde. Zumal Li natürlich nicht im Traum daran gedacht hatte, seine Schulden zurückzuzahlen.
Er startete jetzt leise Versuche, den Geldhahn zuzudrehen, worauf Gin Gin sich was Neues ausdenken musste, um die Kuh weiter melken zu können.
Im Sommer hatte das Kellerlokal draußen auf der Straße einige Tische aufgestellt, die bei Schönwetter auch rege von den Gästen genutzt wurden. Ganz zufällig prügelten sich nun ab und zu einige Leute genau vor dem Lokal, einmal wurden nachts Fenster eingeworfen. Alles Dinge, die man beim nahegelegenen Polizeirevier natürlich anzeigen konnte, doch ohne große Hoffnung, dass dabei mangels Tatverdächtiger etwas rauskäme.
Und schon war Gin Gin wieder mal nicht vergebens mit seiner Geldforderung gekommen.
Doch Wut und Verzweiflung bei Alfredo waren gewachsen. Er, der in Personalunion Koch, Kellner, Kinderbetreuer und Alleinunterhalter seines Lokals war, oft bis zum Umfallen gearbeitet hatte, sah immer weniger ein, dass dieser kriminelle Nichtsnutz und dessen Sippschaft auf seine Kosten existieren sollten.
Immer häufiger lehnte er weitere Zahlungen ab, verwies Gin Gin der Tür, um wenig später doch wieder einzuknicken.
Ich muss zugeben, dass ich diese ganze Vorgeschichte noch immer nicht wirklich begreifen kann, auch wenn ich Alfredos Gutmütigkeit kenne. Doch sein Lokal, seine Gäste wollte er halt schützen. Um fast jeden Preis. Nur so kann man sein Verhalten nachvollziehen. Einigermaßen wenigstens.
So kam der finale Tag im November. Wieder hatte er den ungebetenen Gast vor die Tür geschickt mit dem Hinweis, keinen Cent mehr zahlen zu wollen.
Logischerweise hatte der sich nicht damit zufriedengegeben. Aus alter Erfahrung glaubte er zu wissen, irgendwann wird Alfredo nachgeben.
So wartete Gin Gin, bis die letzten Gäste das Lokal verlassen hatten und tauchte erneut im Gastraum auf. Er setzte sich an einen Tisch nahe der Küche, wo Alfredo nun seine Aufräumarbeiten begonnen hatte. Auf den Tisch drapierte er demonstrativ seine Pistole. „Einer von uns Beiden wird heute sterben“, lautete seine unmissverständliche Drohung.
Seufzend hatte sich Alfredo dann halt doch an den Tisch gesetzt und immer wieder beteuert, nicht mehr zahlen zu wollen. Und es im Übrigen auch gar nicht zu können, da ihn trotz gutgehendem Geschäfts mittlerweile Schulden drückten. Was ein Wunder, wenn da noch jemand auf kriminelle Weise mitkassierte.
Eine Erklärung, die Gin Gin mit süffisantem Lächeln zu dem Vorschlag veranlasste
„Deine fünf Töchter können doch auch arbeiten!“ Was „arbeiten“ für ihn bedeutete, war offensichtlich.
Außer sich vor Erregung war Alfredo aufgesprungen. Zwei Jahre hatte er sich demütigen lassen. Jetzt war das Fass zu Überlaufen gekommen. Für den Nichtsnutz wahrscheinlich unverständlich, hatte der doch von ehrlicher Arbeit keine Ahnung, von solcher „Arbeit“ aber schon.
Der Tisch kam in Bewegung, die auf der Tischdecke liegenden Sachen wie Handy fielen zu Boden, ebenso die anscheinend entsicherte Waffe. Beide Männer gerieten ins Straucheln, plötzlich hatte Alfredo, wie auch immer, die Waffe in der Hand und einfach abgedrückt. Gin Gin lag auf dem Boden, rührte sich nicht mehr. Alfredo kam langsam zu sich und sah, was er da angerichtet hatte.
Das Opfer rührte sich nicht mehr und er rief in Panik einfach ein Taxi und fuhr in seine Wohnung. Dort war niemand und so ging er zu Fuß wieder zurück, kam während des langen Weges an einer Polizeiwache und anschließend an einem Konsulat vorbei, rang innerlich mit sich selbst, hineinzugehen und alles zu beichten.
Entschloss sich aber anders und ging zurück ins Lokal. In einem Nebenraum war vor kurzem eine Grube ausgehoben worden, da wegen ständiger Geruchsbelästigung der neue Fettabscheider eingebaut werden sollte. Kurzerhand schleifte Alfredo den Leichnam in die Grube und deckte sie mit dem danebenliegenden Erdreich notdürftig ab.
Da dies nicht ausreichte, fuhr er zum Baumarkt, um einen Sack Gips zu besorgen. Weil dieser nicht vorrätig war, rief er seinen Lieferanten vom Großmarkt an, damit ihm dieser neben Gemüse und Obst einen Sack Zement mitbringen sollte.
Dieser Umstand entbehrt nicht einer gewissen Komik, so dass ich und die anderen Zuhörer kopfschüttelnd grinsen. Doch das Lachen bleibt einem im Halse stecken, versetzt man sich in die reale Situation.
Die ganze Nacht hatte er nicht geschlafen, was man wohl gut nachvollziehen kann, nun versuchte er wohl, die Blutspuren zu beseitigen, und an der Tür ein „Heute geschlossen“ Schild anzubringen.
Daraufhin nahm er Handy des Opfers und die Pistole an sich und lief ziellos durch die Umgebung, an den Elbbrücken „entsorgte“ er die Gegenstände in der Elbe und ging endlich nach Hause.
In den folgenden Tagen erneuerte er mit Hilfe von Freunden(?) den Fußboden im Lokal, was Alfredo danach auf Facebook auch noch groß anpries: („Ihre Füße werden begeistert sein“)
Dies und einiges andere könnte man ihm auch als abgebrühtes Verhalten unterstellen, doch das zu beurteilen ist Sache des Gerichts.
Auf jeden Fall trug dieser Facebook Eintrag dazu bei, dass die Polizei dem heftigen Drängen der Verwandten des Opfers nachgab und die Stelle, an der das Opfer zuletzt gesehen worden sei, etwas genauer unter die Lupe nahm. Der Einsatz des Leichenspürhundes führte danach schnell zum Ziel.
Das Gericht hat aber noch mit einem anderen Umstand zu kämpfen, der bei uns Zuhörern ebenfalls Kopfschütteln verursacht. Bei der ersten, normalerweise wichtigsten Vernehmung war nämlich das Diktiergerät unbemerkt ausgefallen, angeblich wurde die Kassette zweimal umgedreht. Es gibt daher vom eigentlichen Tathergang nur ein Gedächtnisprotokoll.  Meiner Meinung nach kann man auf der dann ja vollen Seite den Aufnahmeknopf gar nicht drücken, das hätte der Kriminalbeamte eigentlich merken müssen. Dies bemerkte auch der Vorsitzende Richter konsterniert, wie überhaupt die Einvernahme des „Kommissars“ überraschend penibel erfolgte, was man als eifriger Konsument von Fernsehkrimis gar nicht erwartet hätte.
Denn ob die Waffe, wie es im Gedächtnisprotokoll steht, beim Verrutschen der Tischdecke auf ihn zugerutscht ist und er sie dann deutlich auf Gin Gin gerichtet oder, wie Alfredo nun aussagt, er sie im Hinfallen der beiden plötzlich in der Hand hatte, könnte durchaus einen Unterschied in der Bewertung machen. Na ja, ich bin kein Jurist, aber ich wünsche mir, dass er, der sofort seine Schuld zugegeben und bereut hatte, bei der Sache einigermaßen glimpflich davon kommt. Mit der Schuld zu leben, kann ihm ohnehin keiner abnehmen.
So verlassen wir den Zuhörerraum und warten gespannt auf die Fortsetzung des Verfahrens und ein hoffentlich gerechtes Urteil.


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.06.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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