Hans Fritz

Frutti di Mare

... oder Die Reise nach San Francisco

Die beiden Freundinnen treffen sich im Stehcafé der Bäckerei Weckler. "Sag mal, warst du dieses Jahr schon im Urlaub?" fragt Susanne. "Tja, ich war", seufzt Katrin. "War wohl nicht so schön?" "Das kann ich wohl sagen". "Wieso?" "Du kennst doch das Blättchen Bunte Woche, das jeden Donnerstag am Kiosk erscheint -" "Ja, kenne ich -" "Nun, ich hatte im April ein Kreuzworträtsel gelöst und das Lösungswort auf einer Postkarte an die Redaktion geschickt." "Und du hast gewonnen?" "Ja, ich habe gewonnen, eine Reise für zwei Personen nach San Francisco, und zwar als Begleitung der vierköpfigen Crew einer Motor-Luxusyacht namens Rondine." "Oh fein! Da bist du zu beneiden. Du bist gereist? Und mit wem?" "Mit der Helga -" "Wieso denn? Warum nicht mit Rolf, oder mit Emil, deinem Sohn, mich hättest du im Übrigen auch fragen können." "Den Rolf kenne ich erst seit ein paar Wochen. Emil ist gerade mal zwölf und ich glaubte ihm eine so lange Reise nicht zumuten zu können. Ich schickte ihn zu meinen Eltern, es war ja erst mal noch Ferienzeit. Aber warum gerade mit Helga? Nun, schon seit Jahren liegt sie mir mit ihrer 'Freundin in Kalifornien' in den Ohren. Es fehle ihr aber das Geld für den Flug, behauptet sie hartnäckig. So dachte ich, die Fahrt nach San Francisco sei doch eine willkommene Gelegenheit -" "Ah so, ich verstehe -" "Als der Brief mit der Einladung kam, war ich zunächst ein wenig misstrauisch, weil nach meinem Dafürhalten zu wenige Details angegeben waren. Ich versuchte bei der Redaktion anzurufen. Doch jedesmal lief das Band: 'Unsere Anrufzentrale ist zur Zeit überlastet. Versuchen Sie es später noch einmal.' Das tat ich, so gegen sieben Uhr abends, doch da kam wieder die Antwort vom Band. Ich gab es dann auf." "Was enthielt der Brief?" "Die Empfehlung an die Reiseleiterin, eine Frau Mercedes, ohne Zuname -" "Vielleicht Benz?" "Susanne, bitte!" "Entschuldige Katrin, doch erzähle weiter!" "Ausser der vierzeiligen Bestätigung der Reise enthielt der Umschlag zwei Flugtickets, München-Genua. Die Tickets für den Rückflug würden am Reiseziel ausgehändigt, hiess es in einer Fussnote." "Komisch. Aber wie ging es weiter?" "Wir trafen uns am Münchner Flughafen, Helga war mit dem Auto angereist, ich mit dem Zug einschliesslich dreimal Umsteigen.

In Genua standen wir nun mit unseren Rollkoffern vor dem Flughafengebäude und warteten der Dinge, die da kommen sollten. Notfalls könnte uns ein Taxi die paar Kilometer zum Hafen bringen. Doch da tauchte ein Mann mit roter Jacke und blaubebändertem Strohhut auf. Er schwenkte ein Schild mit der Aufschrift Rondine. Wir gingen auf den Mann zu und er fragte halb auf italienisch, halb auf deutsch: "Die beiden Damen sind die zwei Personen für die Reise nach San Francisco?" Wir bejahten, stiegen in den Rangerover und in rasender Fahrt brachte uns Tonio, so hiess der Mann, zum Hafen.

Da lag sie, die Rondine. Unter einer Luxusyacht hatte ich mir etwas anderes vorgestellt, aber nun hiess es die Dinge nehmen wie sie kamen. Kaum war unser Gepäck unter Deck verstaut, als das Schiff ablegte. Die Crew bestand übrigens aus zwei Frauen und zwei Männern, der eine, Tonio, hatte uns zum Hafen kutschiert, der andere hiess Pedro und war der äusserst wortkarge Käpt'n. Die ältere Frau gab sich als Mercedes zu erkennen und nahm meinen Brief entgegen. Anstelle eines Dankeschön mussten wir uns mit einem heftigen Kopfschütteln zufrieden geben. Die offenbar jüngere Frau bekamen wir nur für ein paar Augenblicke zu sehen, dann verschwand sie unter Deck. Auf dem Heck stand eine grosse gelbe Truhe herum, die mir, ich weiss nicht warum, irgendwie unheimlich war. Ich fragte den Käpt'n nach dem Inhalt der Truhe. "Brimikos", war die knappe Antwort. Ich wollte mich nicht damit blamieren, nicht zu wissen was Brimikos sind und fragte nicht weiter. Auch Helga fragte nicht. Doch da lag das Meer vor uns, herrlich in der Abendsonne. Traumwetter, dass so richtig auf San Francisco einstimmte, die Stadt mit der berühmten Golden-Gate Brücke, der Kabelbahn, den Chinesenvierteln, den Luxushotels, den malerischen Strassen.

Nach einem üppigen Mahl mit viel Meeresfrüchten und einem süffigen Wein, zogen wir uns in die nett eingerichtete Gästekajüte zurück.

Es war irgendwann am Morgen, als das Schiff plötzlich anlegte. Sonderbar, das kann ja noch nicht San Francisco sein, es sei denn wir haben die ganze Reise verschlafen. Aber es war Barcelona. Mercedes ging von Bord. Was tun, wenn sich die Reiseleiterin so sang- und klanglos absetzt? Aber schon Minuten später ging es weiter. Die Schiffsglocke lud zum ausgiebigen Frühstück, für meine Begriffe fast schon ein 'Spätstück'. Nein, nicht schon wieder Meeresfrüchte! Zum Glück gab es ein paar aufgebackene Brötchen und Marmelade. Der Kaffee war phantastisch, fast so gut wie der hier im Café. Mir kam da der Gedanke, dass wir uns auf einer 'Kaffeefahrt' befinden und uns die Crew ein paar Teppiche verkaufen wolle.

Ein paar Gewitterwolken zogen auf, aber die Fahrt ging weiter als sei das heraufziehende Wetter das gewöhnlichste der Welt. Bald - die Zeit auf der Rondine verging wie im Flug - läutete Tonio wieder die Glocke und rief: 'Halten Sie sich bereit, meine Damen, wir sind gleich da!' 'Wie, was?' fragte Helga entsetzt, 'ich dachte wir sind auf dem Weg nach San Francisco, durchs Mittelmeer, den Atlantik, den Panamakanal -' 'Ich weiss nicht welches San Francisco man Ihnen versprochen hat, aber wir legen wirklich bald im Hafen La Savina auf Formentera an, von da gehts mit dem Jeep nach Sant Francesc de Formentera, auf spanisch San Francisco", sprach nun die an Bord gebliebene jüngere Frau, Cornelia. Also, der Hauptort der kleinen Baleareninsel Formentera!" "Oh Gott!"

"Der erste Gedanke, den ich an Land fassen konnte, war, wie von hier zurück nach Genua kommen? Erst mal mit einer Fähre nach Ibiza, von dort nach Barcelona, oder fürs Erste nach Palma. Als wir dann im Jeep sassen, sprach Cornelia, die unsere offensichtliche Ratlosigkeit bemerkt hatte: 'Ich besorge Ihnen in San Francisco eine Unterkunft in der kleinen hübschen Pension, die ich kenne. Wir vom Schiff fahren kurz rüber nach Ibiza, laden die Truhe ab und holen Familie Henderson an Bord. Ron Henderson ist nämlich der Besitzer der Yacht. Morgen Abend kommen wir zum Hafen zurück und Ines, die gute Seele der Pension, bringt euch Übermorgen gegen Mittag nach Savina, wo unsere Yacht ankert. Wir fahren dann geradewegs nach Genua. Während der Fahrt gibt Ihnen Tonio die Flugtickets Genua-München. Falls Sie allerdings Ihre im Programm vorgesehenen zehn Tage bleiben möchten, muss ich das sobald wie möglich dem Tonio melden. Sie müssten dann allerdings auf eigene Faust nach Genua zurück reisen.' 'Nein nein, möchten wir nicht', sprach Helga für uns beide und ich ergänzte: 'Fahren wir doch übermorgen mit zurück.'

Wir fügten uns in unser Schicksal. Immerhin hatten wir von der Insel einiges mitbekommen. Alles sehr malerisch, hübsche Läden, eigentlich ein idealer, vor allem ruhiger Ferienort." "Und die Pension?" "Die war sehr komfortabel und die Verköstigung war gut und reichlich. Meeresfrüchte gab es in Hülle und Fülle, aber nur am Abend. Übrigens, Cornelia spricht hervorragend deutsch mit unverkennbarem, 'oberschwäbischem' Akzent.

Die Fahrt zurück nach Genua verlief etwas holprig bei mässig hohem Wellengang. Mercedes kam nicht an Bord zurück, sodass wir Barcelona links liegenlassen konnten, wie ja Cornelia schon sagte. Zwei Kinder kamen an Deck. Sie sprachen englisch miteinander und hielten offenbar Ausschau nach Delfinen. Tonio gab uns die Flugtickets. An Land roverte er uns zum Flughafen."

"Hast du schon daran gedacht, bei der Bunten Woche Schadenersatz anzumelden?", fragt Susanne. "Nein, Helga wollte das erst, dann aber nicht mehr. Du kannst dich doch an die Geschichte mit dem Zeitdiebstahl erinnern, über die die ganze Stadt lachte? So ähnlich wäre es uns wahrscheinlich auch ergangen." "Doch alles in allem", versucht Susanne die Freundin zu trösten, "musst du die Sache auch ein wenig positiv sehen. Es war doch eine hübsche, wenn auch kleine, Seereise. Und auf Formentera muss es ja wirklich wunderschön sein. Mal was anderes. Und, alles in allem, es hat dich praktisch nur die Bahnreise gekostet." "Ja, da hast du auch wieder Recht. Nur, Helga konnte ihre kalifornische Freundin nicht besuchen, das trifft auch mich schmerzhaft." "Kommt Zeit, kommt Rat. Was meint eigentlich Rolf, der Geschäftsmann, zu deiner 'halben' Reise?" "Der meint, die Zeitschrift hätte wohl in der Tat das amerikanische San Francisco als Hauptgewinn ausschreiben wollen, dann aber beim Aufstellen der Kosten bemerkt, dass das finanziell nicht drin wäre. Schliesslich wird das Blättchen von Warenreich & Frustmann gesponsert." "Aha!" "Wann und wo machst du eigentlich Ferien, Susanne?" "Nächstes Frühjahr. Zehn Tage Ibiza, drei Tage Formentera!"

Schlussbemerkungen

Die abenteuerlich-skurrile Geschichte und die darin vorkommenden Personen sind frei erfunden, die erwähnten Ortsnamen sind echt. Frage mich bitte niemand was Brimikos sind; ich weiss es auch nicht.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.06.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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