Hans Fritz

Meteoriteneinschläge 2050

Fundstücke

Im Norden Kanadas stossen Ranger auf eine riesige Gesteinstrümmermasse, die aus einem fast kreisrunden Krater ragt. Es handelt sich zweifellos um ein Fragment des Asteroiden, der vor wenigen Tagen auf dem Kurs zur Erde von Abwehrraketen der Intercontrol zerstört worden war. Die grösseren Bruchstücke verglühten jedoch nicht in der Atmosphäre, sondern stürzten auf die Erde. Ein weiteres Bruchstück zerschellte in den mediterranen Seealpen oberhalb von Turin auf felsigem Boden. Ein drittes schlug in der Mongolei ein, ein viertes soll westlich der Azoren im Bereich des Atlantischen Rückens niedergegangen sein.

Erste Gesteinsproben der drei auf dem Festland entdeckten Fragmente zeigen ein Muster, wie es für bisher untersuchte Meteoriten allgemein gültig war, zunächst ohne Auffälligkeiten und vor allem ohne Hinweise auf organische Substanz.

Es wird vermutet, dass die Brocken bestimmten Regionen eines in tausende Stücke auseinandergebrochenen Planeten entstammen und sich nach einem Zufallsprinzip der Erde genähert haben - vielleicht im Verlauf von Millionen Lichtjahren. Übrige Stücke sind wahrscheinlich auf anderen Himmelskörpern gelandet oder irren noch im All umher. Einige könnten nach dem Eindringen in unsere Galaxis vom Jupiter eingefangen worden sein. Die Ursache der Zerstörung des Himmelskörpers dürfte für immer im Grau des Alls verborgen bleiben. Gab es eine Kollision mit einem anderen Himmelskörper? Vielleicht spielte sich ein ähnlicher Prozess ab wie bei der Kollision der "Protoerde" mit dem Protoplaneten Theia vor viereinhalb Milliarden Jahren, wobei aus den Massen der beiden Planeten der Mond entstand. Theia wurde dabei übrigens zerstört.


Analyse

Zunächst zum kanadischen Impakt. Akribisch wird nach aussergewöhnlichen Stücken gestöbert und bald findet sich die bisher grösste Sensation, die jemals bei der Untersuchung von Meteoritenmaterial zutage kam. Da ist nämlich ein gut erhaltenes quadratisches Kapitell, von der Art, wie sie in der Antike unsere irdischen Paläste und Kultstätten zierte. Es sind Zeichen (Schriftzeichen?) eingraviert, die fürs Erste auch vom gewieftesten "Symboliker" nicht zu entziffern sind. Auffallend sind ein Schirm - oder Pilz? - auf zwei Seiten sowie eine schraffierte Raute auf der jeweils gegenüberliegenden Seite. Die Schraffur der einen Raute zeigt Spuren einer roten Farbe. Sogar von der Säule ist ein Stück des oberen Schafts samt feinen Riefelungen erhalten. Das Material stellt sich als ein Silikatmarmor heraus, ein auf der Erde eher selten zum Bauen gebrauchter Stein.

Weitere überraschende Funde lassen nicht lange auf sich warten. Einer zwanzig Zentimeter langen zweizinkigen Gabel aus Chrom-Vanadin-Stahl wird weltweit grosse Beachtung geschenkt. Sie könnte das Kapitell schon bald in den Schatten des Vergessens verweisen. Ein Gabelgriff ist noch in Resten vorhanden und könnte aus einem perlmutterähnlichen Material bestanden haben. Ob es sich bei dem Fund um den Teil eines Essbestecks oder ein Werkzeug handelt, gibt reichlich Raum für Mutmassungen. Dass beide Zinken vorn abgestumpft und leicht verbogen sind, spricht eher für ein Werkzeug. Jedenfalls ist die Gabel, soweit es die Altersbestimmungen des Materials gestatten, ein paar Jahrzehntausende älter als das Kapitell.

Ein zinnoberroter, kreisrunder Chip von gut drei Zentimetern Durchmesser gleicht einer Riesendragee. Dem Gewicht nach zu urteilen könnte es sich um einen Metallkern mit hitzebeständigem Überzug handeln. Um den Chip nicht zu beschädigen, sollen allzu strapaziöse Tests vermieden werden. Eine Röntgenanalyse zeigt hantelförmige Gebilde unterschiedlicher Grösse an, die in eine feinkörnige, gallertige Masse eingebettet sind. In der Nähe eines Vibrationsmessgeräts abgelegt, erzeugt das Ding einen feinen Summton. Handelt es sich um einen Datenspeicher? Zeitmässig ist der Chip als ein offensichtlich spätes Produkt der Zivilisation der "oberen Kapitellperiode" einzuordnen. Generationen von Forschern können sich um die Entschlüsselung gespeicherter Daten bemühen. Tage später graben Archäologen zwei weitere Chips aus, die aber durch Einkerbungen und Risse stark beschädigt sind.

Ein Agglomerat aus rotbraunem Gesteinsgrus gibt winzige Doppelschalen frei, die Kleinlebewesen umschlossen haben könnten. Das feste Material der möglichen Mikrofossilien besteht überwiegend aus Strontiumsulfat, wie es bei einigen irdischen Radiolarien vorkommt. Das Alter wird auf zweieinhalb Milliarden Jahre geschätzt.

Ein paar Cellulosefasern lassen auf Pflanzenwachstum schliessen. Ob das Material zum Bast eines Holzgewächses, also Baum oder Strauch gehörte, sei dahingestellt.

Beim sieben Zentimeter langen, keulenförmigen Splitter könnte es sich um ein Knochenfragment handeln. Die Analyse einer Probe ergibt tatsächlich Ähnlichkeiten mit der Knochensubstanz unserer höher organisierten Wirbeltiere, mehr in der Struktur als in der Zusammensetzung, wobei ein hoher Strontiumanteil auffällt. Altersmässig fügt sich der Splitter in die "Gabelzeit" ein.

Die haufenweise herumliegenden murmelgrossen, durchscheinenden Kugeln mit grauen Schlieren dürften das Produkt unter Hitzeeinwirkung geschmolzener Glassplitter sein. Unter Lupenvergrösserung sichtbare winzige Perlen sind wohl aus Sandkörnen entstanden.

Und das Fragment aus den Seealpen? Als Erstes fällt ein etwa meterlanger massiver, dreikantiger Metallstrang aus Chrom-Vanadin-Stahl mit leicht zerkratzter Oberfläche auf. Also die gleiche Legierung wie die der Gabel, nur ein paar zehntausend Jahre jünger. Daneben liegt eine offenbar fast unbeschädigte, längliche Platte aus schwarzem Basalt mit einer Rille. Schon kommt der Gedanke an eine Einschienenbahn auf. Die Funde könnten genauso gut zum Schiebetor eines Gebäudes gehört haben.

Auch hier werden Splitter einer knochenähnlichen Substanz ausgesiebt, mit einem vergleichsweise nur geringen Strontiumanteil.

Ein weiterer spektakulärer Fund des Seealpenbrockens ist die Salzschicht auf einer freigelegten Steinplatte. Ein Hinweis auf Meersalz auf dem Grund eines Gewässers? Die Zusammensetzung des vermutlichen Meeeresbodenbelags gleicht in verblüffender Weise dem Salz des Toten Meeres in Israel. In ein paar Salzkristallen befinden sich Spuren organischen Materials. Nun, bei uns auf der Erde gibt es in Salz eingeschlossene Bakterien. Ein paar Kunststofffetzen werden von einer Grauschieferplatte halb verdeckt. Fachleute tippen auf die Takelage eines Wasserfahrzeugs. Nicht nur auf der Erde dürften Plaste meist beständiger als Holz sein. Die Zusammensetzung des Fundstücks gleicht jedoch keinem der heute verwendeten irdischen Kunststoffe.

Ein Riesenrätsel gibt das Metallstück auf, das beim Impakt in der Äusseren Mongolei auf grobsandigen Boden traf. Metallurgen sind sich zunächst nicht darüber einig, ob es sich vielleicht um ein "irdisches" Flugzeugteil handelt. Oder um ein Teil des von der Intercontrol abgefeuerten Abwehrsystems. Dem ist aber nicht so, wie sich bald herausstellt. Denn vor Jahrzehntausenden dürfte es auf der Erde noch keine Flugzeuge gegeben haben, geschweige denn ein Abwehrsystem für Meteoriten.


Deutungsversuch

Zweifellos weisen die Funde auf eine von menschenähnlichen Wesen geschaffene Kultur hin. Für ein grösseres, ja monumentales Gebäude sprächen allein das Kapitell und das Stück Säulenschaft im kanadischen Fragment. Erhebliche Unterschiede im Alter der aus jenem Fragment geborgenen Gegenstände könnten auf Sammlungen in einem Museum hinweisen.

Gab es da einen mit Meersand angefüllten Schaukasten? War der Sand mit Zeugen vorgeschichtlichen marinen Lebens bestückt und enthielt Mikrofossilien mit harten Schalen? Alternativ wäre die Annahme, dass das Museum in Meeresnähe im Küstensand errichtet worden war. Gabel und Lieferant des Knochensplitters sind der frühen Geschichte des Planeten zuzuordnen und dürften schon aus diesem Grund Publikumsmagneten gewesen sein.

Hinweise auf Organismen ergeben sich auch aus dem Einschluss im Salzkristall des Seealpenfunds sowie aus den kanadischen Cellulosefasern.

Nicht zuletzt die Metallgegenstände der drei Fundstellen weisen auf eine "menschlich" geprägte Zivilisation hin. Das hohe Alter der Gabel lässt auf früh entwickelte handwerkliche Fähigkeiten schliessen.

In den Chips aus der "Kapitellzeit" könnten tatsächlich Daten gespeichert sein. Vielleicht über die Geschichte des Planeten. Oder war es ein Vademekum in handlicher Knopfform für den Bummel durchs Museum?


Szenario

Letzte Menschen sind vom Ufer des grossen Meeres ins ausgetrocknete Schelf gewandert, dann weiter bis zum Rand des kilometertiefen Beckens, wo sich letzte Meerestiere einfanden. Denn dort war noch Wasser vorhanden, dessen Aufbereitung jedoch eine auch noch so hoch entwickelte Technik vor enorme Schwierigkeiten gestellt haben dürfte. Bald ist der Planet menschenleer und übrige Organismen jedwelcher Art existieren auch nicht mehr. Die Pflanzenwelt ist verdorrt, Wasser nur noch in letzten Spuren vorhanden. Der Planet gerät immer mehr aus der Umlaufbahn um sein Zentralgestirn und zerbirst infolge einer Kollision mit einem anderen Himmelskörper - oder infolge eines anderen Ereignisses.

Eine auch nur vage Rekonstruktion der Zerstörung des Planeten ist nicht möglich. Jedenfalls gelangten nach jahrmillionenlanger Reise durchs All Bruchstücke als "Meoriten" auf die Erde und wohl auch auf andere Gestirne. Aus aufgebrochenen Fragmenten strömte glutflüssige Innenmasse des Planeten nach aussen und bedeckte, ja konservierte gleichsam Belege einer von Hominidenhand gschaffenen Kultur.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.06.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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