Christiane Mielck-Retzdorff

Luftverschmutzungszertifikat



 
In dem kleinen italienischen Restaurant waren die 10 Tische voll besetzt. Nur am Fenster war einer frei geblieben, doch offensichtlich reserviert. Ein Ehepaar mit zwei Kindern speiste fröhlich Pasta, eine Gruppe von Geschäftsleuten sprach reichlich dem Aperitif zu, zwei junge Frauen vergaßen vor lauter Reden beinahe ihre Mahlzeit zu vertilgen. Neben italienischer Musik erfüllte ein Geräuschpegel aus Gesprächen den Raum.

Gegen 20 Uhr trat ein modisch gekleidetes Pärchen durch die Tür und steuerte sogleich auf den Inhaber des Restaurants zu. Sie flüsterten ihm etwas ins Ohr und er nickte grinsend. Dann begaben sich die beiden zu ihrem Tisch, setzten sich aber nicht.

„Darf ich kurz um ihre Aufmerksamkeit bitten.“, übertönte die tiefe Stimme des Mannes das laute Gemurmel.

Beinahe erschrocken hielten die anderen Gäste inne und schauten auf den Redner.

„Verzeihen Sie bitte, dass ich ihre Gespräche unterbreche, aber wir möchten Ihnen ein Angebot machen.“
Damit war die Neugierde der Leute geweckt. Sie ließen ihr Essen ruhen und blickten erwartungsvoll stumm auf den Mann.

„Meine Frau und ich sind Raucher.“, fuhr dieser fort. „Doch wie Sie sicher wissen, ist hier wie in anderen Restaurants das Rauchen verboten. Der Grund dafür ist, dass wir mit dem Qualm ihre Atemluft beeinträchtigen. Deswegen bieten wir an, Ihnen Luftverschmutzungszertifikate abzukaufen. Jeder Gast bekommt von uns 50,- €, womit er uns erlaubt zu rauchen und damit die Luft zu verschmutzen. Allerdings müssen wir darauf bestehen, dass sich alle Anwesenden einig sind, damit weder wir noch der Wirt Ärger bekommen. Da wir ja in einer Demokratie leben, halte ich eine Abstimmung für sinnvoll, deren Ergebnis sich dann alle fügen. Bei einer für uns positiven Entscheidung, würde das Geld sofort in bar ausgezahlt und unsere Gemeinschaft zu einer geschlossenen Gesellschaft erklärt. Ein entsprechendes Schild wird draußen an der Tür angebracht. Unser Wirt ist mit diesem Vorgehen einverstanden.“

Die Gäste schauten den Mann erstaunt an, der sogleich ein Bündel Geld aus der Tasche zog, um zu beweisen, dass er über die nötigen Barmittel verfügte. Dann flogen Sätze im Raum umher.
„50 €, dann hätten wir sogar nach dem Bezahlen noch was übrig.“
„Wurde nicht gerade in den Nachrichten über Luftverschmutzungszertifikate gesprochen?“
„Opa raucht doch auch bei uns zuhause, also wird es den Kindern nicht schaden?“
„Ich lass mir doch nicht beim Essen die Luft verpesten.“

Wieder erhob der Mann seine Stimme.
„Ich fürchte, ihr Essen wird langsam kalt. Können wir also zur Abstimmung kommen. Wer ist dafür, Luftverschmutzungszertifikate an uns zu verkaufen, damit wir unbehelligt rauchen können?“
Zaghaft hob sich die erste Hand. Dann folgten weitere, bis sich eine deutliche Mehrheit zeigte.
„Gegenstimmen?“
Nur einer stellte sich mit seinem Votum gegen die Übermacht.
„Enthaltungen?“
Dazu rang sich das Ehepaar mit den beiden Kindern durch, um nicht als Rabeneltern dazustehen.
„Gut, dann ist unser Antrag angenommen.“

Schon begann der Mann die 50,- € Scheine zu verteilen. Die meisten bedankten sich erfreut. Dann wendeten sich alle wieder ihrem Essen und den Getränken zu, als wäre nichts Außergewöhnliches geschehen, während der Mann und seine Begleiterin sich setzten und eine Zigarette ansteckten. Ein Kellner, der natürlich auch sein Geld bekommen hatte, eilte  dienstbeflissen mit einem Aschenbecher herbei.

Daraufhin erhob sich der bekennender Gegner des Qualms und wollte unter Prostest das Lokal verlassen. Doch seine Begleiterin griff nach seiner Hand und sagte besänftigend:
„Aber Liebster, ich schätze Dich doch als ehrbaren Demokraten, der sich auch unliebsamen Entscheidungen der Mehrheit fügt. Also setzt Dich bitte wieder.“

Wenig später entzündete eine junge Frau an einem anderen Tisch eine Zigarette. Sogleich machte sich Entrüstung unter den Gästen breit. Ein Mann stand auf und sprach mit ernster Stimme:
„Unterlassen Sie das. Sie besitzen kein Luftverschmutzungszertifikat, habe ihres gerade verkauft. Wenn Sie also rauchen wollen, gehen Sie vor die Tür.“

Beifälliges Gemurmel unterstützte den selbst ernannten Vertreter der Gemeinschaft. Hastig ging die Sünderin nach draußen und vergnügter Frieden kehrte wieder in dem kleinen, italienischen Restaurant ein.
  
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.06.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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