Manfred Bieschke-Behm

Der Vogel und der Bus



Auf Regen war Klaus nicht eingestellt. Nun gut, er hätte zurück in die Wohnung gehen und sich einen Regenschirm holen können. Aber dazu, war die Zeit zu knapp. Sein Bus kommt in vier Minuten und da ist jede Sekunde kostbar. Mir hochgeschlagenem Jackenkragen und Riesenschritten läuft er Richtung Bushaltestelle. Schon als Klaus um die Ecke biegt, sieht er viele Menschen an der Haltestelle stehen. Dicht gedrängt stehen die Fahrgäste unter dem Dach des Wartehäuschens. Für Klaus und anderen ist kein Platz. Deshalb stehen sie zum Teil mit Regenschirmen ausgerüstet, zum Teil, wie Klaus, dem Regen schutzlos ausgesetzt.
Ein junger Mann versucht mit einem Trick unter dem Dach Schutz zu finden. Mit der Frage – die an niemandem gerichtet ist - : „Wann fährt eigentlich der Bus?“ versucht er zum Fahrplan, der an der Rückwand des Wartehäuschens seinen Platz hat, vor zu dringen. „Du brauchst gar nicht zu drängeln“, ruft jemand, der sich durch den jungen Mann bedrängt fühlt und fügt hinzu: „Der Fahrplan hängt schon seit einigen Tagen nicht an seinem Platz. Irgendjemandem hat er offensichtlich gestört.“ Der junge Mann versucht nicht noch weiter nach hinten vorzudringen. Vielmehr dreht er sich mit dem Gesicht zur Straße um und schaut verstohlen nach oben. Ohne, das er sich etwas anmerken lässt freut er sich einen trockenen Platz ergattert zu haben. Klaus dagegen schaut nicht nach oben. Widerstrebend muss er erdulden, wie der Regen gnadenlos an ihm abfließt.
Noch immer ist der Bus nicht zu sehen.
Die Wartenden werden zunehmend unruhiger. „Auf Busse und Bahnen ist auch kein Verlass mehr“, meckert ein Wartender. „Da haben Sie recht“, antwortet ein anderer ohne zu wissen, wer gemeckert hat.
Der Bus kommt noch immer nicht.
Klaus zückt sein Handy. Er will Bescheid geben, dass er sich verspäten wird. Zu allem Übel bekommt er die Auskunft, dass kein Netzempfang möglich ist. „Auch das noch!“ schimpft er und streckt sein Handy zurück in die Jackentasche.
„Kommt heute überhaupt noch ein Bus?“, erkundigt sich eine wütende Mutter die ihr Kind auf dem Arm trägt und es hin und her schaukelt. „Wenn ich das wüsste, würde ich es Ihnen sagen“, antwortet ein neben der Frau stehender Mann und tätschelt dabei das Kind am Bauch das nicht berührt werden möchte und deshalb anfängt zu weinen.
Der überfällige Bus kommt noch immer nicht.
Die Mutter ist damit beschäftig ihr Kind zu beruhigen und Klaus wischt sich mit einem Papiertaschentuch über die Haare. Eigentlich eine sinnlose Beschäftigung denn der Regen denkt nicht daran aufzuhören.
Plötzlich hellt die Stimmung etwas auf. Eine Amsel hat sich auf die äußerste Spitze des Daches des Wartehäuschens gesetzt und bekommt allgemeine Aufmerksamkeit. Der Vogel schaut in die Richtung aus der der Bus schon längst hätte kommen müssen, schüttelt sich den Regen vom Leib und fängt an laut zu schimpfen. Noch während die Amsel wütende Töne von sich gibt, nähert sich der Bus. Allgemeines Aufatmen ist zu vernehmen.
Der Bus hält an. Die Leute drängeln. Jeder will der Erste sein, keiner länger im Regen stehen und die, die bisher im Trockenen standen möchte nicht auf den letzten Metern nass werden. Klitschnass, aber froh endlich im Trockenen zu sein setzt sich Klaus neben einem älteren Herrn. Der ältere Herr nimmt die ganze Sache mit Humor. Es sagt zuKlaus: „Wäre die schimpfende Amsel früher zu uns geflogen, wäre der Bus ganz bestimmt eher gekommen. So aber mussten wir waren, bis der Vogel bereit war uns zu helfen.“ 
Der Bus fährt los. Soweit Klaus kann, sieht er um mich. Er sieht, dass der ältere Herr nicht nur bei ihm ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat.
 
 

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