Peter Mack

Der Alien

Ich löffelte gerade mein Müsli und schaute mit einem Auge die Nachrichten, als die Schlagzeile über den Monitor lief.

"Breaking News: Alien am Flughafen verhaftet"

Unglaublich! Zuerst dachte ich, das wäre ein Witz, aber dann war da eine ernst schauende Reporterin zu sehen, die den Sachverhalt erklärte.
Scheinbar war heute Morgen bei einer Sicherheitskontrolle am Flughafen mit einem der neuen Scanner ein junger Mann aufgefallen. Äußerlich war er ein Mensch, aber anhand seines inneren Aufbaus war zu erkennen, dass da etwas ganz und gar nicht stimmte. Zum Beispiel war bei dieser Person da, wo bei einem normalen Menschen das Gehirn ist, so etwas wie ein Herz. Sofort wurde die Polizei informiert und der junge Mann wurde verhaftet. Es gab sogar ein Bild von der Verhaftung. Ein ganzer Ring von Polizisten mit Helmen und schusssicheren Westen war zu sehen, die ihre Maschinenpistolen auf einen schlanken, jungen Mann richteten.
Der junge Mann war inmitten der vielen Polizisten kaum zu sehen. Ich schaute genauer hin. Mir blieb der Mund offen stehen. Das war ein Kollege von mir! Ich kannte ihn schon ein paar Jahre. Er war immer freundlich und höflich. Wenn er mal traurig oder wütend war, lies er das nie an Unbeteiligten aus. Wenn es etwas Unangenehmes zu erledigen gab, meldete er sich oft freiwillig. Ich hatte ihn auch oft im Sommer am See gesehen, wie er mit seinen Kindern im Wasser planschte. Jetzt konnte ich im Fernsehen stehen, sehen wie er die Polizisten freundlich anlächelte.

Im Anschluss wurde eine in Tränen aufgelöste Frau gezeigt. Die hatte ich auch schon mal gesehen. Es war die Frau dieses Kollegen. Ich hatte sie oft gesehen, wie sie gemeinsam mit den Kindern und dem Hund spazieren gingen. Sie war völlig verzweifelt. Sie klagte, weil sie immer befürchtet hatte, dass einmal so etwas passieren würde. Sie war so glücklich gewesen mit ihrem Mann und den Kindern, das konnte wohl nicht so weiter gehen. Sie war so froh gewesen diesen Mann kennenzulernen, damals nach dem Desaster mit ihrer ersten Ehe. Auch die Kinder hatten diesen Mann sofort geliebt, der an allen ihren Problemen interessiert war und der immer Zeit für sie hatte.

Als ich dann in der Firma ankam, war der Alien das einzige Thema in allen Büros. Jeder hatte etwas zu diesem seltsamen Kollegen zu sagen, der immer so verdächtig nett gewesen war.

"War doch klar, dass mit dem Typen etwas nicht stimmte", sagte die Frau aus der Personalabteilung. "Immer freundlich, immer hilfsbereit, sehr kompetent und fleißig, bei seinen Kollegen und bei allen Kunden beliebt. Da musste einfach etwas faul sein!"
Sie stellte ihre Tasse in den Kaffeeautomaten und drückte auf den Knopf. Als das Glucksen des Automaten aufgehört hatte, fuhr sie fort.
"Wenn ich nur an die Sache mit der Beförderung denke ..."
Eigentlich wollte ich ja in mein Büro gehen und mich an die Arbeit machen. Aber heute schien niemand zu arbeiten. Alle waren nur an dem Alien interessiert. Ich muss zugeben, dass mich die Sache mit der Beförderung auch interessierte. Vor einem Jahr war ein Abteilungsleiterposten zu besetzen gewesen. Wie alle war auch ich davon ausgegangen, dass der kompetenteste Kollege – der Alien – die Stelle bekommen würde.
Die Überraschung war groß, als verkündet wurde, dass stattdessen die Qualle befördert wurde. Natürlich hieß die Kollegin nicht wirklich Qualle; das war nur ein Spitzname. Sie wurde vor allem wegen des fehlenden Rückgrats so genannt, aber auch weil sie praktisch unsichtbar war (besonders wenn es etwas zu arbeiten gab) und natürlich auch, weil sie irgendwie giftig war. Besonders schlank war sie natürlich auch nicht.
Die Frau aus der Personalabteilung schaute in die Runde. Die ganze Aufmerksamkeit war ihr sicher. Sie erzählte, wie sie damals gemeinsam in ihrem Büro gesessen hatten, sie, die Qualle und der Alien.
Man hatte ganz sachlich darüber diskutiert, wer von den beiden der neue Abteilungsleiter werden sollte. Die Qualle zählte auf, dass sie gut delegieren konnte und immer ihren Willen durchsetzte. Außerdem erklärte sie, dass sie den Alien für völlig ungeeignet für diesen Posten hielt. Schließlich hatte er gerade erst gestern abgelehnt am Abend länger zu arbeiten, weil er seiner Adoptivtochter versprochen hatte, zu ihrer Schultheateraufführung zu kommen.
Die Frau aus der Personalabteilung konnte es kaum fassen. Sie vergaß vermutlich deshalb zu fragen, ob stattdessen die Qualle länger dageblieben war.
Der Alien hatte damals nur freundlich gelächelt und gesagt, dass er sehr gerne Zeit mit seiner Familie verbrachte.
"So jemandem kann man einfach keine Verantwortung übertragen!" schloss die Personalfrau ihren Bericht.
"Das geht wirklich nicht!"
Stimmte ihr die Qualle zu.

Als ich am Abend wieder zuhause war, schaltete ich den Fernseher ein. Der Alien war immer noch das einzige Thema auf allen Kanälen. In einer Reportage befragte der Reporter ein älteres Ehepaar. Er wollte von dem Paar wissen, wie lange sie schon wussten, dass ihr Sohn ein Alien ist.
"Schon immer", antwortete der ältere Herr ganz entspannt. Der Reporter war völlig sprachlos. Der ältere Herr erzählte dann im gelassenen Plauderton, wie sie damals vor ungefähr zehn Jahren im Urlaub waren. Damals hatte ihr Sohn - also ihr richtiger leiblicher Sohn - gerade die Schule geschmissen. Sie waren gemeinsam in den Urlaub gefahren, um darüber und alle anderen Probleme der Familie in Ruhe zu sprechen.
Aber die Diskussionen führten zu nichts. Da waren sie eines Abends am Strand diesen merkwürdig gekleideten Personen begegnet. Sie waren alle etwas blass und ihre Augen waren vielleicht etwas größer als bei den Erdenmenschen aber sie machten einen sehr angenehmen Eindruck. Die alte Dame machte die Bemerkung, dass diese Leute auch immer sehr höflich gewesen waren. Nach einiger Zeit sagten ihnen diese Leute, dass sie von einem anderen Planeten wären und gerne die Menschheit besser kennenlernen würden. Es sei interstellarer Brauch, dass man dazu jeweils ein Geschöpf des einen Planeten gegen ein Geschöpf des anderen Planeten austauscht. Ihr Sohn – ihr richtiger leiblicher Sohn – sei sofort Feuer und Flamme gewesen, berichtete der alte Herr. Der wollte hier ohnehin alles hinschmeißen und einfach abhauen.
So hatten sie also ihren Sohn gegen diesen Alien ausgetauscht. Dieser Alien war ihnen von Anfang an sympathisch gewesen. Er war sehr wissbegierig und immer hilfsbereit. Auch die Nachbarn mochten ihn sofort. Ihr leiblicher Sohn war ein Punk, Gothic oder so etwas Ähnliches gewesen. Der Alien dagegen kleidete sich immer adrett. Freunde hatte ihr Sohn eigentlich auch nicht gehabt und so viel niemandem etwas auf und alle waren zufrieden.
Der Reporter war völlig verdattert und stammelte "Damit ge-gebe i-ich zurück ins Studio."

Später gab es dann noch eine Life - Pressekonferenz direkt aus dem Gefängnis, in dem der Alien inhaftiert war. In einem großen Saal war ein langer Tisch aufgestellt. Ihm gegenüber waren Stühle aufgestellt. Alle Plätze waren mit Journalisten belegt und auch in den Gängen zwischen den Stühlen standen dicht gedrängt die Reporter. Direkt vor dem Tisch waren bewaffnete Polizisten postiert.
Ungefähr in der Mitte des langen Tisches saß der Alien. Er wirkte traurig. Man hatte ihm eine Art Zwangsjacke angezogen und er trug Handschellen.
Die Pressekonferenz hatte gerade begonnen, als sich im Saal eine Unruhe bereit machte. Der Leiter der Pressekonferenz ergriff das Wort.
"Wir erfahren gerade, dass über der Stadt ein UFO gesichtet wurde"
Alle Reporter liefen zu den Fenstern.
Mich hielt es auch nicht mehr in meinem Sessel und ich lief in meinen Garten. Und tatsächlich: Mitten über der Stadt schwebte eine riesige fliegende Untertasse. Sie strahlte hell am dunklen Abendhimmel. Einige Minuten betrachtete ich das UFO. Was hatte das nur zu bedeuten? Ich setzte mich wieder vor den Fernseher um das Neueste zu erfahren.
"... machen sie sich keine Sorgen", sagte der Journalist gerade mit sorgenvoller Mine, "Die Regierung hat uns zugesichert, dass sie nicht zulassen wird, dass weitere Bürger von diesen Aliens entführt werden!"
In diesem Moment war draußen ein furchtbarer Lärm zu hören und ich stürmte wieder in den Garten.
Der Lärm stammte von einigen Jagdflugzeugen, die sich auf das UFO stürzten und es mit ihren Kanonen und Raketen beschossen. Aber der Beschuss war völlig wirkungslos. Die Munition explodierte, bevor sie das UFO erreichte. Die Jagdflugzeuge wurden scheinbar auch abgelenkt sobald sie sich dem UFO bis auf einige hundert Meter genähert hatten.

Irgendwann wurde es wieder still. Die Jagdflugzeuge waren zu ihren Flugplätzen zurückgekehrt und das UFO strahlte weiter über der Stadt. Ich ging wieder nach drinnen und setzte mich vor den Fernseher um mehr zu erfahren.
In einer Lifeschaltung vom Flugplatz war zu sehen, wie die Jagdflieger völlig erschöpft und gedemütigt aus ihren Flugzeugen stiegen.
Auch auf der Pressekonferenz herrschte bedrückte Stimmung. Keiner sprach ein Wort.
Der Alien, der die ganze Zeit nur betrübt und bewegungslos da gesessen hatte, neigte seinen Kopf zur Seite und sein Blick wurde leer, als ob er einer Stimme zuhörte, die nur er hören konnte. Dann lächelte er und stand auf. Der Alien hob seine gefesselten Hände und winkte lächelnd in die Runde. Dann war ein seltsames Geräusch zu hören, eine Mischung aus einem Summen und einem Pfeifen, welches immer schriller wurde. Der Alien wurde durchsichtig; dann war er ganz verschwunden.
Draußen über der Stadt setzte sich das UFO in Bewegung. Erst langsam, dann immer schneller und schneller werdend flog es in Richtung der Sterne davon.
In der Diskussionsrunde löste sich die gedrückte Stimmung. Alle begannen durcheinander zu reden. Offensichtlich waren aller erleichtert dass die Gefahr vorüber war. Auch die Jagdpiloten, die vor kurzem noch so niedergeschlagen waren, jubelten und streckten ihre geballten Fäuste zum Himmel.

Am nächsten Morgen löffelte ich wieder mein Müsli und schaute die Morgennachrichten im Fernsehen. Der Alien war immer noch das einzige Thema. Ein nachdenklicher Kommentator erläuterte seine Sicht der Dinge.
"... war es wirklich notwendig auf das fremde Raumschiff zu schießen? Denken wir doch nur an die wirtschaftlichen Perspektiven, die sich uns durch den Handel mit dieser außerirdischen Zivilisation eröffnen würden ..."
In den nächsten Tagen beruhigten sich die Menschen wieder. Viele Menschen schlossen sich der Meinung des Kommentators an. Die Gewinnerin der letzten Castingshow bot sich sogar an auf dem Planeten der Aliens ein Gratiskonzert zu geben.
Überall begann die Meinung des Kommentators sich langsam durchzusetzen. Man beschloss in die Richtung, in der das Raumschiff verschwunden war, eine Nachricht zu schicken. Man bot den Außerirdischen einen kulturellen Austausch an. Außerdem bekundete man Interesse an der Technologie ihrer Raumschiffe wie zum Beispiel dem Schutzschild, an dem unsere Waffen abgeprallt waren.

Bis jetzt haben wir noch keine Antwort erhalten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.06.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Der bekannte Autor zahlreicher eBooks über verschiedene Taktiken beim Fliegenfischen ist auch ein begabter Erzähler von Anekdoten rund ums Fliegenfischen. Eine kleine Sammlung lustiger, nachdenklicher und niedlicher Geschichtchen; so recht etwas für den Angler, der zu Hause im Sessel einmal seinem Hobby frönen will oder von den Mißerfolgen und Reinfällen Anderer lesen will. Eben'mit Salmonidenwasser geschrieben'.

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