Wir waren eine bunt zusammengewürfelte Horde junger Mädels, die nach dem Krieg in Freiburg die damalige „Höhere Töchterschule“ besuchte. Einige wohnten in der Stadt selbst, andere kamen aus den umliegenden Schwarzwald Dörfern jeden Morgen mit dem Bummelzug angereist. In unserer Klasse waren auch Flüchtlingskinder aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die die Anzahl der evangelisch Gläubigen stark ansteigen ließ.
Mit dem Abitur in der Tasche löste sich unsere Gemeinschaft der so unterschiedlichen Schülerinnen schnell auf, jede starte auf ihre eigene Weise ins Leben. Manche blieben noch in Kontakt miteinander, andere entschwanden für immer nach Übersee.
Nach fünfzig Jahren fingen wir wieder an, uns für die ehemaligen Mitschülerinnen zu interessieren. Was war aus ihnen geworden? Es entstand die Idee zu einem Klassentreffen.
Inge war inzwischen in Vancouver verheiratet und konnte nicht kommen. Marlies arbeitete in Kolumbien als Entwicklungshelferin und musste ebenfalls absagen. Brigitte, die in Japan lebte, wollte unbedingt ihre „Ehemaligen“ wiedersehen und gleichzeitig ihre Familie in der Schweiz besuchen. Sie war diejenige, die die weite Anreise nicht scheute.
Da das Treffen in Bonn statt finden sollte, wurde ich gebeten, Brigitte am Bahnhof abzuholen, weil sie einen Tag vor den anderen aus Basel kommend eintreffen würde.
Wie sah Brigitte heute aus? Würden wir uns wieder erkennen? Dummerweise hatte ich seit dem Abitur kein Foto mehr von ihr gesehen. Etwas beklommen fuhr ich zum Bahnhof. Der IC sollte um 16.42 Uhr ankommen, doch wie so oft erschien die Durchsage „etwa 25 Minuten verspätet“. In der Bahnhofs Bücherei besorgte ich mir ein Rätselheft und setzte mich am Gleis 1 auf eine Bank in Erwartung des Zuges.
Brigittes Freundin Helga, eine andere Klassenkameradin, bei der sie übernachten sollte, war auf der Rückreise von Berlin ebenfalls per Bahn erst gegen Abend zu erwarten. Doch sie hatte ihre Pläne geändert und traf schon am Nachmittag in Bonn ein. Durch die Verspätung der Züge fiel ihre Ankunft zeitlich mit der von Brigitte zusammen, und so suchte sie ohne unser Wissen nach uns.
Der IC aus der Schweiz war noch immer nicht eingefahren. Plötzlich stand Helga vor mir. Dann fiel sie einer Frau um den Hals, die auf der selben Bank saß wie ich und ebenfalls wartete. - Brigitte?? - Wir starrten uns an, fassungslos. Brigitte hatte einen früheren Zug erwischt und musste nun so lange warten, bis ich sie um 16.42 Uhr abholen würde. Aber hätten wir uns auch wirklich gefunden?
Die Veränderung nach 50 Jahren ist beträchtlich. Sie hatte mich mit dunklen Haaren in Erinnerung. Heute bin ich blond. Mein Bild von ihr war klein und zierlich mit großen blauen Augen. Heute ist sie pummelig, und die Augen konnte ich nicht sehen, weil mich mein Kreuzworträtsel mehr interessierte als die Menschen um mich herum.
Zur Feier unseres glücklichen Wiedersehens mit Hindernissen fuhren wir zu mir nach Hause, wo schon mein Partner mit einem Glas Sekt und einer Pizza „für drei“ auf uns wartete. Zum Glück hatte er sie größer als geplant gebacken und wir vier wurden problemlos satt.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.08.2016.
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