Manfred Bieschke-Behm

Alle meine Entchen - eine Kriminalgeschichte für Kinder

 

Kinderliedertexte bilden die Grundlage für Kurzgeschichten: Diesmal "Alle meine Entchen"

Alle meine Entchen
 
Alle meine Entchen
schwimmen auf dem See,
schwimmen auf dem See,
Köpfchen in das Wasser,
Schwänzchen in die Höh´.
 
Alle meine Täubchen
gurren auf dem Dach,
gurren auf dem Dach,
fliegt eins in die Lüfte,
fliegen alle nach.
 
Alle meine Hühner
scharren in dem Stroh,
scharren in dem Stroh,
finden sie ein Körnchen,
sind sie alle froh.
 
Alle meine Gänschen
watscheln durch den Grund,
watscheln durch den Grund,
suchen in dem Tümpel,
werden kugelrund.
 
 
Das Dorf Kleinau, in dem die Geschichte passierte, spielte im Großen und Ganzen keine Rolle. Weder in der Tagespolitik noch sonst wie. Das Dorf Kleinau ist ein Dorf, wie es viele im Lande gibt. Auch in diesem Dorf kennt jeder jeden. Die Dorfbewohner kommen, mit wenigen Ausnahmen, mehr oder weniger alle gut miteinander aus. Einer spricht mit dem Anderen, und der Andere wieder mit anderen und über andere. Wie überall, so gibt es auch im Dorf Kleinau immer etwas zu tratschen und zu berichten. Das ist Alltag im Dorf Kleinau! Lässt sich im Dorf mal ein nicht Ansässiger blicken, erregt das eher Verwunderung, als Aufmerksamkeit. Jeder hat mit sich zu tun oder tut wenigsten so, als hätte er was zu tun.
 
Mitten im Dorf befindet sich ein kleiner See. Fremde würden eher sagen, dass es sich hierbei um einen größeren Tümpel handelt und nicht um einen See. Aber die Kleinauer meinen, dass es sich bei dem Tümpel um einen See handelt und halten an dieser Meinung fest. Der Tümpel-See ist von grünen Wiesen umgeben. Einige ungleich hoch gewachsene Büsche und eine alles überragende Trauerweide sowie ein paar rot angestrichene Bänke, die rund um den See aufgestellt sind, geben dem Ganzen ein harmonisches und beruhigendes Aussehen.
 
Der See (wir bleiben jetzt bei der übertriebenen Bezeichnung See um keine Unruhe zu stiften) der See also, ist nicht nur für die Kleinauer ein beliebter Treffpunkt, sondern auch für Bewohner aus den Nebendörfern, die ein bisschen neidisch sind, weil sie selbst kein Gewässer ihr eigen nennen können. 
 
Jedes Jahr, wenn der Frühling den Winter des Landes verwiesen hat, befinden sich Enten auf dem See. Keiner weiß wo sie herkommen. Sie sind einfach da. Sie drehen gemütlich ihre Runden, putzen sich, schnattern manchmal zu viel und zu laut und dösen, wenn ihre Zeit es erlaubt, vor sich hin. Sie verdrehen ihre Hälse und stecken, wenn ihnen danach ist ihre Köpfe unter einem ihrer Flügel und lassen sich treiben.
 
Gestern war es, als sich Bauer Klein – wie jeden Tag gegen dreizehn Uhr – auf den Weg machte, um seiner Schwiegermutter warmes Essen vorbeizubringen. Und wie jeden Tag führte der Weg zur Schwiegermutter vorbei an den See. Zunächst fiel ihm nichts Erwähnenswertes auf, dann aber musste er feststellen, dass nicht eine Ente auf dem See schwamm. Vielleicht haben sie sich in das Gebüsch zurückgezogen, dachte Bauer Klein. Ganz bestimmt schwimmen sie wieder auf dem See, wenn ich von der Schwiegermutter zurückkomme, denkt er, und geht seines Weges.
 
Bauer Klein begab sich auf den Heimweg. Er stellte fest, dass noch immer keine Enten auf dem See schwammen. Das machte ihn stutzig. Gerade als er dabei war nach Gründen für das Nichtvorhandensein der Enten nachzudenken, lief ihn Bauer Klaus Ostermichel über den Weg.
 
„Hallo Klaus“, grüßte Bauer Franz seinen herannahenden Nachbarn mit offenen Armen.
„Grüß dich“ erwiderte Klaus und breitete ebenfalls beide Arme aus.
„Sag mal Klaus, fällt dir etwas auf?“
„Nö. Was soll mir denn auffallen? – hast du ne neue Weste?
„Quatsch. Wieso soll ich eine neue Weste haben. Die alte tut es doch allemal. - Na schau doch mal auf den See“, forderte Franz  Klaus auf und löste sich aus der Umarmung.
„Was gibt es denn auf dem See zu sehen?“
„Na eben nichts“, beklagte sich Bauer Klein.
„Ich verstehe Bahnhof und weiß nicht, was du von mir hören willst“, erklärt Bauer Klaus.
„Na schau doch mal genau hin!“
Bauer Klaus schaute nunmehr gereizt zum wiederholten Male auf den See. Um irgendetwas zu sagen, erkundigte er sich ob der See heute besonders viel Wasser hätte.
„ Nee, der See hat heute nicht besonders viel Wasser – warum auch? Hat doch seit Tagen nicht geregnet. Fällt dir nicht auf, dass sich keine Enten auf dem See befinden?“
„Jetzt wo du das sagst, fällt es mir auf.“  
Nach kurzem Überlegen erkundigte sich Bauer Klaus: „Wo sind denn die Enten?“
„Das weiß ich doch nicht. Meinst Du, ich habe sie mit nach Hause genommen in den Ofen gesteckt und goldgelb gebraten?“
Beide Bauern mussten lachen und wurden anschließend gleich wieder ernst (den die Sachlage erlaubte es nicht zu lachen).
„Vielleicht sollten wir im Gebüsch nach den Enten suchen“ schlug Bauer Franz Klein vor.
„Ja, das können wir ja machen.“
 
Gesagt, getan.
Beide Bauern suchten in den Büschen nach Enten, konnten aber keine finden. Bauer Klaus und Bauer Franz stellten übereinkommend fest: Die Enten sich weg.
Für ihr Verschwinden fanden sie keine Erklärung und überlegten deshalb, was jetzt zu tun sei.
„Wir sollten den Verlust dem Dorfpolizisten melden“ bestimmte Bauer Klaus.
„Ja das sollten wir tun“ erwiderte Bauer Klein.
 
Beide Bauern machten sich auf den Weg zur Schreibstube in der sich der Dorfpolizist Herrn Bremer über die Mittagszeit gerne aufhält um ihm die Situation zu erklären. Herr Bremer ist ein gemütlicher, in eine Uniform gesteckter, Mittfünfziger. Seine Uniformjacke, für seinen Bauchumfang etwas zu eng geschnitten, ließ es nicht zu, die letzten drei Knöpfe zu schließen. Sein grauer Oberlippenbart war üppig und sorgfältig gepflegt. Er gab der Person eine gewisse Respektierlichkeit.
 
„Was kann ich für die Herren tun?“ fragte der Dorfpolizist die zwei ihm, nicht nur aus dem Wirtshaus, gut bekannten Bauern.
Während er nach ihrem Anliegen fragte, legte der Dorfpolizist sein angebissenes Wurstbrot etwas widerwillig zur Seite und begab sich hin zum Tresen.
„Wir wollen einen Verlust melden“, erklärte Bauer Klein.
„So, so einen Verlust wollt ihr melden. Was ist denn Verlust gegangen?“
Beide Bauern antwortet wie auf Kommando: „Die Enten vom See sind verschwunden!?“
„Die Enten vom See sind verschwunden?“, wiederholte der Dorfpolizist. „Wie das denn?“ wollte er wissen und zwirbelte dabei beide Bartenden, so dass diese akkurat nach oben standen.
„Ja das wissen wir nicht!“ antwortete Bauer Klaus.
„Ich vermute“ sagt Bauer Franz, ich vermute, dass jemand die Enten gestohlen hat.“
 „Gestohlen? – Wer stiehlt den Enten in unserem Dorf?“ wollte der Dorfpolizist wissen und schluckte den Rest von seinem abgebissenen Stück Brot samt Wurstbelage ohne noch einmal darauf rum zu kauen hinunter.
Noch bevor die Bauern überhaupt auf die Frage hätten reagieren können, setzte der Dorfpolizist nach, und meinte dass möglicherweise ein Fuchs die Enten geholt hat.
 
Noch eine ganze Weile gingen Fragen mit ‚Hätte’ und ‚könnte’ hin und her. Zum Schluss blieben mehr offene Fragen übrig als zufriedenstellende Antworten. 
 
Um der Unterhaltung ein Ende zu setzen, sagte der Dorfpolizist zu den beiden Bauern: „Ich werde mir bis morgen überlegen was zu tun ist. Wenn ich zu einem Ergebnis gekommen bin, gebe euch bescheid. Und jetzt lasst es gut sein. Ich möchte mein Wurstbrot gerne in aller Ruhe zu Ende essen“.
 
Bauer Klaus und Bauer Franz verließen die Amtsstube, verabschiedeten sich und trabten getrennt laufend zu ihren Häusern, wobei Bauer Klein schon in Sorge von seiner Frau erwartet wurde.
 
„Du warst heute aber lange bei deiner Schwiegermutter?“
„Nicht länger als sonst.“
„Und warum kommst du dann erst jetzt nach Hause?“
„Ich war nach dem Besuch bei deiner Mutter mit Bauer Klaus noch beim Dorfpolizisten.“
„Was machst ihr denn beim Dorfpolizisten?“ wollte die neugierige Ehefrau wissen.
„Wir haben Enten als vermisst gemeldet“
„ Enten? Was denn für Enten?“
 „Na die Enten von unserem See. Sie sind weg – verstehst du – siiiiie siiiiid weg!“
„Sag mal Franz, kann es sein, dass dir meine Mutter heute ein Glas Schnaps zu viel gegeben hat“.
„Wo denkst du hin!? Dafür ist deine Mutter doch viel zu geizig!“
 
Ob sich die Eheleute noch lange zu diesem Thema unterhalten haben, ist nicht bekannt. Vermutlich nicht, denn es gab noch andere Sachen zu besprechen, die mit dieser Geschichte nichts zu tun haben und deshalb auch nicht erzählt werden müssen.
 
Am nächsten Tag machte der Entenverlust im Dorf schnell die Runde. Jeder Bewohner hatte seine eigene Version zum Verlust der Enten. Es herrschte, was selten vorkam,  große Aufregung im Dorf Kleinau. Vermutungen wurden ausgesprochen und gleich wieder zurück genommen, weil ein anderer Dorfbewohner eine andere mehr oder weniger erhellende Idee hatte. Keiner wollte glauben, dass sich ein Fuchs die Enten geholt haben könnte. Dagegen sprach die Tatsache, dass am Tatort keine ‚Restfedern’ zu entdecken waren. Die einzige Möglichkeit, den Verlust zu erklären, war Diebstahl. Aber wer um Himmels Willen stielt Enten vom Kleinauer See? Das war die beherrschende Frage die alle Dorfbewohner beschäftigte.
 
Herr Bremer, der Dorfpolizist war umlagert von fast allen Dorfbewohnern. Er fühlte sich bedrängt und fing an sichtbar zu schwitzen. Mit einem großen weiß-blau-karierten Taschentuch versuchte er seine Stirn trocken zu legen. Immer wieder bildeten sich neue Schweißperlen die an seine Wangen hinunter liefen.
 
Alle Dorfbewohnen sprachen durcheinander, so dass niemand sein eigenes Wort verstehen konnte.
 
„Ruuuuhe“ brüllte der Dorfpolizist in die Runde.
„Ruhe“ rief er nochmals. Diesmal noch lauter, als beim ersten Mal.
„So kommen wir doch nicht weiter. Ich frage euch jetzt: „Hat irgendwer irgendwas beobachtet? Derjenige, der was zu berichten hat, sollte sich jetzt melden und uns seine Beobachtung mitteilen“.
 
Jeder schaute jetzt jeden an und hoffte, etwas vom anderen zu erfahren. Es hatte eine Weile gedauert, bis sich Bäuerin Wilhelmsburg zu Wort meldete. Alle, einschließlich des Dorfpolizisten schauten nun gespannt auf Frau Wilhelmsburg.
„Erzähle uns Frau Wilhelmsburg was du beobachtet hast“ forderte der Dorfpolizist die Bäuerin auf.
„Ich habe nichts beobachtet“, erklärte sich Frau Wilhelmsburg aufgeregt und spielte mit den Schleifenenden ihrer Bluse.
„Nichts beobachtet und dann meldest du dich zu Wort?“
Als der Dorfpolizist das sagte schaute er nicht nur Bäuerin Wilhelmsburg entgeistert an, sondern auch alle drum herum stehenden Bürgen von Kleinau.
„Ich habe nichts beobachtet“ wiederholt sich Frau Wilhelmsburger, „ich habe etwas zu berichten.“
„So, so! Du hast uns etwas zu berichten. Was hast du uns denn zu berichten?“
Die Bäuerin stellte sich jetzt auf wie eine Schauspielerin, die auf einer Bühne steht und ihren Text aufzusagen hat: „In der vergangenen Woche hatte ich meine Freundin Agnes besucht. Ihr wisst, die Agnes Beuteler die im übernächsten Dorf wohnt. Und meine Freundin Agnes erzählte mir, dass ihrer Nachbarin, der Frau Klauert (ich glaube so heißt sie), also der Nachbarin Frau Klauert sechs Tauben gestohlen wurden.“
„Sechs Tauben“, wiederholten einige Zuhörer voller entsetzen.
Andere erkundigten sich, was die Tauben von Frau Klauert mit unseren Enten zu tun haben.
„Na nun wartet doch mal ab“, beschwichtig Bäuerin Wilhelmsburg ihre Zuhörer. „Die Geschichte ist doch noch nicht zu ende erzählt.“
Nachdem die Bäuerin tief Luft geholt und in erwartungsvolle Augen der Herumstehenden geschaut hatte, fährt sie bühnenreif fort: „Zunächst dachte Frau Klauert, das ihre Tauben nur ausgeflogen wären und irgendwann wieder kämen. Abends ging sie zum Taubenschlag … und was glaubt ihr was sie dort vorfand?“
„Schlafende Tauben“ witzelte einer der Dorfbewohner.
„Sehr witzig“, bemerkte die Bäuerin etwas brüskiert und erklärte dann: „Sie fand keine schlafenden Tauben vor, sondern einen handgeschriebenen Zettel.“
„Und was stand auf dem Zettel?“ fragte der Dorfpolizist ungeduldig.
„Ja was stand denn auf dem Zettel drauf?“ wollten nun auch die Anwesenden möglichst schnell  erfahren.
„Auf dem Zettel stand handgeschrieben ..., die Bäuerin machte einen kleine Pause und fuhr dann fort „ auf dem Zettel stand der Text des Kinderliedes „Alle meine Entchen.“
„Alle meine Entchen? Taubenschlag? Fehlende Enten auf dem See? Gibt es hierfür einen Zusammenhang“ fragten sich nicht nur Bauer Klaus und Bauer Franz, sondern auch der Dorfpolizist Bremer und alle die bisher mehr oder weiniger aufmerksam zugehört hatten.
Bäuerin Wilhelmsburg merkte, dass sie gut beraten ist, wenn sie ihre Geschichte jetzt möglichst schnell zu Ende erzählt.
„Also das Besondere an dem Zettel mit dem Kinderlied war die Tatsache, dass die zweite Strophe ....“
„Ja was war denn mit der zweiten Strophe“, möchte ein Zuhörer aus der ersten Reihe wissen.
„Wenn ich laufend unterbrochen werden, komme ich nie dazu meiner Geschichte zu Ende zu erzählen“, beschwerte sich Bäuerin Wilhelmsburg und fuhr fort: „Der Text der zweiten Strophe , die da lautet; Alle meine Täubchen gurren auf dem Dach, gurren auf dem Dach, fliegt eins in die Lüfte, fliegen alle nach,  war schwarz umrandet.“
 
Alle Zuhörer, einschließlich der Dorfpolizist Bremer, waren wie vom Blitz getroffen stumm und steif. Keiner wagte sich zu rühren oder gar etwas zu sagen, denn eine solche Geschichte hatten sie noch nie gehört.
 
Endlich fand der Dorfpolizist seine Fassung wieder und fragte mehr sich als die Anderen: „Und welche Rückschlüsse lassen sich aus diesem doch sehr merkwürdigen Vorfall ziehen?“
 
Noch als diese Frage bei den Zuhörer ihre Runde machte, meldete sich der zehnjährige Klaus-Dieter (Klaus-Dieter ist der zweitjüngste Sohn vom Bauer Kronenwirt, der mit seiner Familie am Dorfrand ein Bauernhaus besitzt und selbst nicht anwesend war).
„Ja was ist Klaus-Dieter? Was hast du zu berichten?“ fragte freundlich aber leicht gereizt der noch immer schwitzende Dorfpolizist.
Klaus-Dieter ist sichtbar aufgeregt. Er hat doch noch nie vor so vielen Leuten gesprochen und auch noch nie wurde er von der Polizei befragt.
Klaus-Dieter versuchte tief durchzuatmen und fing danach an zu erzählen: „Gestern Abend war es. So gegen sieben Uhr. Ich bin zum See gelaufen um den Enten ein bisschen Futter zu bringen. Am See angekommen musste ich feststellen, dass auf ihm keine Enten schwammen. Ich wunderte mich. ‚Wo haben sie sich denn versteckt?’, dachte ich und suchte die nähere Umgebung ab. Ich konnte keine Enten nicht finden. Aber das…..“
Während Klaus-Dieter …aber das…. sagte, hielt er mehrere Zettel für alle sichtbar gebündelt in die Luft. Der Dorfpolizist bat um die Herausgabe der Zettel und bekam sie umgehend überreicht. Neugierig lass er das was, was auf den Zetteln stand. Während er sich in die Texte vertiefte, bildeten sich zu seinen Schweißperlen Falten auf der Stirn, die nichts Gutes vermuten ließen.
Die Dorfbewohner, deren Anzahl inzwischen noch angewachsen war, hielten es vor Neugierde nicht mehr aus. Sie wollten doch all zu gerne wissen, was auf den Zetteln stand. Am liebsten hätten einige Dorfbewohner dem Dorfpolizisten die Zettel aus der Hand gerissen aber das wagte dann doch keiner. Und deshalb baten sie fast flehentlich um die Bekanntgabe der Texte.
 
Bevor Der Dorfpolizist bereit war zu erzählen was auf den Zetteln stand, fragte er Klaus-Dieter: „Sag mal Klaus-Dieter, wo hast Du denn die Zettel her?“
„Fast alle Zettel lagen unter der Trauerweide. Ein Zettel war an einem zweig der Trauerweide aufgespießt - War es falsch die Zettel wegzunehmen, fragte Klaus-Dieter ängstlich und sah dabei dem Dorfpolizisten zweifelnd ins Gesicht.
Während der Dorfpolizist den Kopf von Klaus-Dieter tätschelte sagte er zu ihm: „Auf keinen Fall war es falsch die Zettel mitzunehmen. Du hast genau das Richtige getan“.
 
Der Dorfpolizist spürte, dass die Spannung der Dorfbewohner fast nicht mehr aushalten war und entschloss sich deshalb sein Wissen weiter zu geben: „Auf allen Zetteln stand der gleiche Text. Es handelte sich um den Text des Kinderliedes ‚Alle meinen Entchen’. Auf jedem Zettel war jeweils eine Strophe schwarz umrandet. Auf dem Zettel mit dem Loch war es die erste Strophe die schwarz umrandet war. Der Dorfpolizist hob alle Zettel in die Höhe und zeigte sie der staunenden Menge. Alle Anwesenden waren fassungslos und erschrocken.
Eine Bäuerin, aus dem Nachbardorf – ja, mittlerweile waren auch Bewohner aus dem Nachbardorf herbeigeeilt, weil sie hörten, dass in  Kleinau etwas Ungewöhnliches passiert ist. Also die Bäuerin aus dem Nachbardorf konnte nicht an sich halten und rief klagend: “Wir haben es ganz bestimmt mit einem Serientäter zu tun!“
 
„Wie furchtbar“
„Wie grausam.“
Was ist zu tun?“
 
„Ja was ist zu tun“, fragte sich auch der Dorfpolizist.
 
„Da, dass Kinderlied insgesamt vier Strophen hat, muss davon auszugehen werden, dass weitere Diebstähle geplant sind“, stellt der Dorfpolizist fest und teilte seine Befürchtung den um ihn Stehenden mit.
 
„Ich kenne nur die erste Strophe des Kinderliedes. Wie lauten denn die dritte und vierte Strophe?“, wollte ein Jungbauer, der in der hinteren Reihe stand wissen.
 
Dem Dorfpolizisten fiel es nicht schwer die restlichen Strophen aufzusagen. Er hatte ja die Texte in mehrfacher Ausführung schwarz auf weiß in den Händen haltend: „Die dritte Strophe lautet: Alle meine Hühner scharren in dem Stroh, scharren in dem Stroh, finden sie ein Körnchen, sind sie alle froh. Und die vierte Strophe:Alle meine Gänschen watscheln durch den Grund, watscheln durch den Grund, suchen in dem Tümpel, werden kugelrund.“
 
Plötzlich rannte ein Mann aus der letzten Reihe los, und rief laut für alle hörbar „Oh Gott meine Hühner, oh Gott meine Hühner. Hoffentlich sind meinen Hühner noch da, hoffentlich sind meine Hühner noch da?“
Alle Anwesenden drehten sich um und sahen, wie der Rennende immer schneller wurde und eine große Staubwolke hinter sich ließ.
 
Nun hatte es auch Bäuerin Eisenbaum eilig nach Hause zu gehen. Bäuerin Eisenbaum war bekannt für ihre gut gemästeten Gänse und hatte die große Befürchtung, dass sie, beziehungsweise ihre Enten, die nächsten Opfer sein könnten.
 
Nachdem sich die noch Anwesenden ein wenig beruhig hatten bat die Ehefrau vom Bauer Klein sich einen der Zettel näher ansehen zu dürfen. Der Dorfpolizist reichte ihr mit großzügiger Geste einen Zettel und bat um sorgfältige Behandlung, denn der Zettel sei schließlich ein Beweisstück.
 
Sehr genau betrachtet die Bauersfrau, die gleichzeitig auch Chorleiterin des hiesigen Gesangvereins ist, den ihr gereichten Zettel. Nach einer Weile meinte sie, dass sie die Handschrift kenne. Sie behauptete, das dass die Handschrift von Erwin ‚dem Fuchs’ sei.
 
„Erwin ‚dem Fuchs’ wiederholte der Dorfpolizist ungläubig.
„Ja, das ist die Schrift von Erwin ‚dem Fuchs’, dem Fuchs aus dem Dorf Germersdorf“
 
Woher sie das wisse, wollte nicht nur der Dorfpolizist wissen.
 
„Das weiß ich, weil ich von Erwin ‚dem Fuchs’ letzte Woche einen handgeschriebenen Brief bekam. Darin bat er mich eindringlich in der nächsten Singkreisstunde das Kinderlied „Alle meine Entchen“, dass wir zum Kinderfest vorzutragen gedachten nicht einzustudieren. Er beteuerte mir, dass er dieses Kinderlied aus nicht nennen wollenden Gründen nicht mag, und er mir unendlich dankbar wäre, wenn seinem Wunsche entsprochen würde. Ich konnte mir beim Erhalt des Briefes eben keinen Reim auf seinen Wunsch machen – jetzt schon.“ Mit: „So ein schlauer Fuchs, der Erwin ‚der Fuchs’ “, beendete Bäuerin Klein ihrer Bericht. 
 
Der Dorfpolizist, und alle anderen, haben mit zum Teil offenstehenden Mündern der Chorleiterin zugehört. Nachdem die Bäuerin ihre Aussage gemacht hatte schob der Dorfpolizist seine Mütze in den Nacken und wischte sich über die Stirn. Er erklärte, dass aus seiner Sicht der Fall kurz vor der Aufklärung stünde. Er teile seinen Zuhörer mit, dass er, bevor Erwin ‚der Fuchs’ auf die Idee kommt die verbleibenden zwei Strophen durch Diebstahl zu belegen, ihn aufsuchen, verhören und festnehmen werde. Wieder gab es Applaus. Wieder fühlte sich der Dorfpolizist wohl in seiner Haut um nicht zu sagen, in seiner Uniform.
Bevor er die Versammlung für beendet erklärte wollte er von der Bäuerin noch wissen, weshalb Erwin aus Germersdorf den Beinnamen ‚der Fuchs’ trägt .
„Erwin“, antwortete die Ehefrau und Chorleiterin, „Erwin wurde vor zwei Jahren beim Diebstahl einer Ente aus dem Stall vom Bauer Schlönauf auf frischer Tat ertappt. Als Bekennerschreiben hinterließ er einen handgeschriebenen Zettel mit dem Kinderliedertext ‚Fuchs, du hast die Gans gestohlen’. Seitdem heiß Erwin ‚Erwin der Fuchs’. 
„So, so!“, sagte Dorfpolizist Herr Bremer. „Nun können wir nur hoffen, dass die Strafe die Erwin ‚der Fuchs’ bekommen wird ausreicht, ihn vor weiteren Diebstählen abzuhalten. Vielleicht könnte ihm das Volkslied „Üb immer Treu und Redlichkeit“ dabei helfen. Ich werde ihm den Text aufschreiben und bei der Festnahme übergeben.“

 
 
 
Üb immer Treu und Redlichkeit
(Ludwig Hölty)
 
Üb immer Treu und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab
 
Dann wirst du wie auf grünen Au´n
Durch´s Pilgerleben geh´n
Dann kannst du sonder Furcht und Grau´n
dem Tod ins Auge seh´n.
 
Dann wird die Sichel und der Pflug
In deiner Hand so leicht,
Dann singest du beim Wasserkrug,
Als wär dir Wein gereicht.
 
Dem Bösewicht wird alles schwer,
Er tue was er tu,
Ihm gönnt der Tag nicht Freude mehr,
Die Nacht ihm keine Ruh.
 
Der schöne Frühling lacht ihm nicht,
Ihm lacht kein Ährenfeld,
Er ist auf Lug und Trug erpicht,
Und wünscht sich nichts als Geld.
 
Der Wind im Hain, das Laub im Baum
Saust ihm Entsetzen zu,
Er findet, nach des Lebens Raum
Im Grabe keine Ruh.
 
Dann muss er in der Geisterstund
aus seinem Grabe gehn
und oft als schwarzer Kettenhund
vor seiner Haustür stehn
 
Die Spinnerinnen, die, das Rad
im Arm, nach Hause gehn
erzittern wie ein Espenblatt
wenn sie ihn liegen sehn
 
Und jede Spinnestube spricht
von diesem Abenteuer
und wünscht den toten Bösewicht
ins tiefste Höllenfeuer
  
Der Amtmann, der die Bauern schund
in Wein und Wollust floss
trabt nachts, mit seinem Hühnerhund
im Wald auf glühendem Roß
 
Oft geht er auch am Knotenstock
als rauher Brummbär um
und meckert oft als Ziegenbock
im ganzen Dorf herum
 
Der Pfarrer, der aufs Tanzen schalt
und Filz und Wucherer war
steht nachts als schwarze Spukgestalt
um zwölf Uhr am Altar
 
Paukt dann mit dumpfigen Geschrei
die Kanzel, dass es gellt
und zählet in der Sakristei
sein Beicht- und Opfergeld
 
Drum übe Treu und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab!
 
Dann suchen Enkel deine Gruft
Und weinen Tränen drauf,
Und Sonnenblumen, voll von Duft,
Blüh'n aus den Tränen auf. 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.08.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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